© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/02 22. November 2002

 
CD: Klassik
Armer Ritter 
Jens Knorr

Wie deutsch darf deutsche Musik klingen? Wie neutönerisch und wie konservativ? Bereits die Erstlingsoper des zweiundzwanzigjährigen Hilfskapellmeisters Hans Pfitzner stand quer zum Opernbetrieb, den er doch mit ihr zu erobern trachtete.

Dabei scheint das Libretto des in England aufgewachsenen, deutschstämmigen James Grun nicht so sehr dem Versepos des Hartmann von Aue, dafür ganz und gar nachwagnerschem Zeitgeist verpflichtet. Da gibt es den deutschen Ritter Heinrich, der auf seiner Burg an selbst verschuldeter Krankheit vor sich hin siecht. Ihm zur Seite stehen der letzte seiner Mannen, der getreue Dietrich, dessen Frau Hilde und deren Tochter Agnes. Die nun will ihr Leben für die Heilung des Ritters opfern, seine Schuld mit ihrem Blut tilgen. Und obschon er das Opfer angenommen, bringt Heinrich im letzten Augenblick die Kraft zum Verzicht auf, da er die Pein der andern stärker als die eigene zu empfinden vermag.

Manche dramaturgischen, textlichen und mehr noch kompositorischen Anklänge verleiten heutige Hörer gern dazu, in Pfitzners Musikdrama lediglich dessen großes Vorbild Wagner aufzusuchen, angefangen bei Tannhäusers Romerzählung, über Tristans Fieberkurven, Siegfrieds Schmelzlied und Rheinfahrt bis hin zu des siechen Amfortas wilden Schmerzen und wüsten Träumen. Doch verkennen beckmessernde 'Memory'-Spieler die eigentliche Provokation des Pfitznerschen Komponierens. Pfitzner bricht ins Vergangene auf, um vorwärts zu kommen. Seine Musik sucht weniger im Musikdrama aufzugehen, als vielmehr eigenständige Form zu wahren. Das Prinzip der Leitmotivik tritt hinter die Arbeit mit vorwagnerschen Erinnerungsmotiven zurück, und eher reiht sich Sequenz an Sequenz, als daß diese zu freier Tonalität hintrieben, wo sie nur vollends zerfielen.

Von alledem läßt das Spiel des Philharmonischen Orchesters Dortmund wenig hören. Der redlich bemühte Dirigent Alexander Rumpf verortet den Komponisten allein in klassisch-romantischer Musiktradition und läßt dessen Auseinandersetzung mit den großen zeitgenössischen Musikbewegungen unters Pult fallen. Statt jenseits von Modern und Unmodern klingt die Partitur nur unmodern, statt diesseits eines linearen Fortschrittsdenkens nur rückwärtsgewandt. Die läppische Einwegbebilderung durch den Regisseur John Dew wäre heute keiner Erwähnung mehr wert, wenn die mangelnde szenische Durchdringung nicht auch auf die Gesangspartien übergegriffen hätte. Norbert Schmittberg (Heinrich), William Killmeier (Dietrich), Sharon Markovich (Hilde) und Karl-Heinz Lehner (der Arzt) werden den, teilweise exorbitanten, Anforderungen ihrer Partien durchaus gerecht, doch blutvolle Charaktere und Gestalten lassen sie vor dem inneren Auge des Hörers nicht entstehen.

Und so erfüllte die Dortmunder Aufnahme lediglich ein Desiderat des CD-Katalogs und ersetzte die bisher einzig erhältliche, jedoch tontechnisch unzulängliche Münchner Aufnahme von 1948, hätte sie nicht in der Partie der Agnes eine Sängerin aufzubieten, die den Weg von kindlicher Hingabe einer 14jährigen zu der Entschiedenheit einer reifen Frau auszudrücken vermag, mit mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei. Die Sopranistin Michaela Kaune, im 3. Akt allerdings leicht ermattet, vermittelt insgesamt mehr als nur eine Ahnung davon, worum es musikalisch wie szenisch in Hans Pfitzners Musikdrama gehen könnte: um Männertreu und Liebestod, um endliches Begreifen, daß Opfer und Opferung nicht dem andern aufgebürdet, sondern sich selbst abverlangt werden müssen. Denn vor allem Opfer steht die Prüfung und vor allem Opferwillen der Wille zu Wandlung.

Hans Pfitzner: Der arme Heinrich, 2 Cds, Capriccio 60 087


 
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