© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/02 22. November 2002

 
Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen
Die britische Zeitschrift "Salisbury Review" hat einer neuen Generation von konservativen Intellektuellen auf die Beine geholfen
Roger Scruton

Es ist nun zwanzig Jahre her. Die Salisbury Group, ein kleiner Kreis altmodischer Tories um den Marquis von Salisbury und den politischen Vorstellungen seines Ahnherren, des großen, dreimaligen Premierministers, verschrieben, übertrug mir die Aufgabe, eine Zeitschrift zu gründen und zu leiten. 5.000 Pfund waren zu diesem Zweck gesammelt worden und ein Name schnell gefunden: The Salisbury Review - The quarterly magazine of conservative thougth.

Ich hatte gerade meine Studie "The Meaning of Conservatism" veröffentlicht, eine leicht hegelianische Schrift zur Verteidigung der Werte der Tories, an denen die Fraktion der Freimarktwirtschafter soeben Verrat beging. Daß ich völlig antiquiert sei, stand damit fest. So wie die Antiquiertheit des Third Marquess of Salisbury (1830-1903). Die Tatsache aber, daß er gegen einen widrigen Zeitgeist über zwanzig Jahre - mal mehr, mal weniger - sein Land geprägt hatte, tröstete mich.

Die erste Schwierigkeit bestand darin, Leute zu finden, die für eine explizit konservative Zeitschrift zu schreiben bereit waren. Ich hatte Freunde aus der akademischen Welt, die im Privaten durchaus Sympathien für die konservative Sache äußerten. Aber sehr deutlich war ihnen auch das Risiko eines konservativen coming outs bewußt. Sie hatten beobachtet, welche Prügel ich für "The Meaning of Conservatism" bezogen hatte, und nur wenige von ihnen waren mit ihrer akademischen Karriere schon weit genug vorangekommen, um eine ähnliche Abreibung riskieren zu können. Die zweite Schwierigkeit für mich war, eine Leserschaft aufzubauen. Das Geld, das wir zusammengelegt hatten, würde die Druckkosten der ersten drei Ausgaben abdecken. Danach müßte die Zeitschrift sich selbst tragen, wofür mindestens 600 Abonnenten erforderlich schienen. Ich war zuversichtlich, daß in Großbritannien 600 intellektuelle Konservative lebten, die eine Zeitung zur Verbreitung und Erforschung ihrer bedrohten Weltanschauung begrüßen würden. Das Problem war nur, sie aufzuspüren.

Die dritte Schwierigkeit war die des Konservatismus selbst. Maurice Cowling, ein Mitglied der Salisbury Group (wenn auch mit leicht ironischem Einschlag), hatte mir oft zugeredet, ich unterläge einer Selbsttäuschung, wenn ich glaubte, konservative Politik könne man philosophisch abfüttern. Niemals könne man den Konservatismus auf gleiche Höhe wie Sozialismus, Liberalismus, Nationalismus und all die anderen Dinge bringen, die er eben nicht ist. Konservatismus, erklärte mir Maurice, sei eine politische Praxis, das Erbe einer langen Tradition, pragmatisch Entscheidungen zu fällen und menschliche Verrücktheit zu verachten. Diese Haltung in eine Philosophie zu verpacken, das sei ein wunderliches Projekt, welches vielleicht Amerikaner anpacken wollten (für mich einer der unschlagbaren Gründe, nicht in Amerika zu unterrichten, geschweige denn, dort zu leben).

Einer der ersten Mitarbeiter der Salisbury Review war Ray Honeyford, Schuldirektor aus Bradford. In einem Artikel bezeichnete er eine bessere Integrationspolitik für Ausländerkinder als einzigen Weg, in Zukunft ethnische Konflikte zu vermeiden. Er wurde als "Rassist" gebrandmarkt (unter anderem von einigen meiner Kollegen an der Universität Bradford), im Zuge einer fürchterlichen Kampagne an den öffentlichen Pranger gestellt und schließlich aus dem Staatsdienst geworfen. Warum? Weil er damals auszusprechen wagte, was heute jeder als richtig anerkennt. Andere Mitarbeiter unserer Zeitschrift wurden ebenfalls verfolgt und manchmal entlassen, weil sie Ray zur Hilfe kamen. Diese Episode verschaffte der Salisbury Review den ersten großen Erfolg, denn sie brachte uns die nötigen 600 Abonnenten.

Unser nächster Erfolg kam 1985, als Soziologen auf dem jährlichen Kongreß der British Association for the Advancement of Science einen Schauprozeß gegen die Zeitschrift veranstalteten. Sie wurde in zwei Punkten für schuldig befunden: "wissenschaftlicher Rassismus" und "intellektuelle Unfähigkeit". In der Folge sahen sich die Salisbury Review und ihre Mitarbeiter aus der akademischen Welt ausgegrenzt. Bald spürte auch ich Konsequenzen für meine eigene Karriere. Als ich bei der Philosophic Society der Universität Glasgow einen Vortrag halten sollte, entdeckte ich bei meiner Ankunft, daß die philosophische Fakultät alle Welt offiziell zum Boykott meiner Rede aufgerufen hatte. Eine Zeitlang schlenderte ich durch die Universität, wo soeben ein planloser Haufen von Apparatschiks Robert Mugabe einen Ehrentitel verlieh. Endlich rettete mich Flint Schier, auch ein Dissident, der meinen Vortrag als "inoffizielles Seminar" durchführte.

Solche Dinge kannte ich schon aus der Tschechoslowakei. Mit der Zeit gewöhnte ich mich auch in England daran. Alles in allem muß ich jedoch sagen, die Behandlung durch die kommunistische Geheimpolizei war weniger schlimm als die Empfänge, die mir die englische "Socialist Workers Party" bereitete. Die Geheimpolizei wusch einem den Kopf und steckte einen vielleicht eine Nacht ins Gefängnis. Aber die Diskussionen spielten sich auf weit höherem intellektuellen Niveau ab, als man das an unseren Provinzuniversitäten haben kann. Nach einer besonders schrecklichen Erfahrung anläßlich eines Vortrags (ausgerechnet über "Toleranz") an der Universität von York und einer anschließenden Verleumdungskampagne des linksliberalen Observer beschloß ich, meine Universitätskarriere an den Nagel zu hängen. Der Observer war so freundlich, mir die Frühpension zu zahlen - wenn auch nur auf Anweisung eines Richters.

Zu meinem Erstaunen erschien ab 1986 in Prag ein Schwarzdruck der Salisbury Review. Zu diesem Zeitpunkt war ich des Landes verwiesen worden, bei Besuchen in Polen wurde ich regelmäßig beschattet. Nicht viel besser standen die Dinge in Großbritannien, wo die Zeitschrift ebenfalls eine "Samisdat"-Publikation hätte sein können, so heftig waren die Gehässigkeiten gegen die Salisbury Review und ihre Autoren. Mit besonderer Befriedigung erfüllte uns daher die Nachricht, daß die Zeitschrift im "realen Sozialismus" ein solches Ansehen erlangt hatte wie nach meiner Kenntnis kein anderes westliches Periodikum. Man schmuggelte uns Exemplare der Prager Ausgabe zu, deren hauchdünnes Papier (Kohleabzüge in Zehnerbündeln) die spirituelle Qualität von illuminierten Manuskripten hatte. Sie waren ein selbstaufopferndes Zeugnis für den Glauben an das geschriebene Wort.

Das Polizeimuseum in Prag, eine Propagandainstitution, wo Lehrer in Scharen ihre "Jungpioniere" durchschleusten, stellte im Jahr 1987 eine neue Ausstellung über "inoffizielle Geheimagenten" zusammen. Ein zentrales Schaustück war die Figur eines jungen Manns in westlicher Kleidung mit Detektivkamera und Feldstecher, aus dessen offener Tasche (zusammen mit Werken von Platon und Aristoteles!) Kopien der Salisbury Review purzelten. Einige Zeit später wurde Ján Carnogursky, ein regelmäßiger Autor der Zeitschrift, in der Slowakei verhaftet. Die Vorwürfe gegen ihn lauteten auf Staatssubversion und Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten. Als Hauptbeweis führte die Anklageschrift seine Tätigkeit für die Salisbury Review an. Ich vermute, dies war unser größter Triumph: Erstmalig hatte eine Staatsmacht uns als ebenbürtigen Gegner behandelt. Leider jedoch konnte der Prozeß nie stattfinden, denn die Kommunisten waren plötzlich weg von der Macht und Ján auf dem Weg, Premierminister der Slowakei zu werden.

Die Salisbury Review hat auch das britische Intellektuellenestablishment provoziert, nicht bloß mit den Themen "Rasse" und "nationale Identität". Die Zeitschrift pflegte einen kämpferischen (und, wie ich auch meine, scharfsinnigen) Antikommunismus. Sie stellte sich gegen die Campaign for Nuclear Disarmament (CND) und die Friedensbewegung, lenkte die Aufmerksamkeit auf das schwere Los von Christen in Nordafrika und im Mittleren Osten, veröffentlichte kritische Artikel zur Verwendung von Entwicklungshilfegeldern. Ausgesprochen kritisch stand die Salisbury Review dem Feminismus, dem Modernismus, dem Post-Modernismus und dem Dekonstruktivismus gegenüber.

Vor allem aber war sie anti-egalitär, verteidigte den Leistungsgedanken gegen die Mittelmäßigkeit und die Tugend gegen das Laster. All diese Positionen sind heute weithin akzeptiert, doch wir hatten das Glück, sie zu einer Zeit zu vertreten, als Gruppen scheinheiliger "Antis" das alles aktiv zensurieren wollten. Doch wir überlebten. Einer nach dem anderen kamen die Konservativen hervor und schlossen sich uns an. Sie erkannten, daß es sich lohnt, die Aussicht auf die Würde eines Fellows der British Academy, eines Vize-Kanzlers oder eines Emeritus' fahren zu lassen, wenn man nur die Wahrheit frei aussprechen darf. Obwohl alle Bemühungen der Salisbury Review um eine Finanzierung durch Werbeeinnahmen fast gänzlich erfolglos blieben, hatten wir doch nie Schulden. Dies verdankten wir der hingebungsvollen Arbeit unserer geschäftsführenden Herausgeberin Merrie Cave, deren Haus sich in einen richtigen "Samisdat"-Verlag verwandelte.

Unsere Autorenliste führte so klangvolle Namen wie Peter Bauer und A. L. Rowse, Václav Havel und P. D. James. Den Vorwurf "intellektueller Inkompetenz" konnten wir damit abbiegen. Ohne überheblich wirken zu wollen, bin ich doch überzeugt, daß die Salisbury Review einer neuen Generation von konservativen Intellektuellen auf die Beine geholfen hat.

Zu meiner Überraschung und Freude fand sich mit dem Historiker A. D. Harvey ein intelligenter Konservativer, der fähig und willig war, von mir die Herausgeberschaft zu übernehmen. Vor zwei Jahren konnte ich mich also von einem Amt zurückziehen, das mir viele tausend Stunden unbezahlte Arbeit, häßliche Rufmordkampagnen (unter anderem in der Satirezeitung Private Eye), drei Zivilprozesse, zwei Verhöre, eine Ausweisung, den Abbruch einer Universitätskarriere in Großbritannien, unendlich verächtliche Besprechungen in den Medien, das Mißtrauen der Tories und den Haß aller anständigen Liberalen eingebracht hat. Aber das war es mir wert.

The Salisbury Review: "... einfach die beste zeitgenössische, konservative Zeitschrift. Ich lese sie regelmäßig." (Margaret Thatcher)

Verlagsadresse: Salisbury Review, 33 Canonbury Park South, London N1 2JW


 
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