© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/02 22. November 2002

 
Frisch gepresst

Europa von 1850 bis 1918. Der Potsdamer Historiker für Neuere Geschichte, Manfred Görtemaker, hat in der handbuchartigen historischen Reihe des Kohlhammer Verlags die Untersuchung der europäischen Geschichte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts übernommen, die er im Konsens der historischen Forschung bis 1918 periodisiert. Alles in allem liest sich sein Handbuch für den historischen Laien interessant und übermittelt einen gefälligen Überblick über einen Zeitabschnitt, der wie kein anderer zuvor das Leben der Europäer veränderte. Görtemakers Systematisierung löst jedoch einiges Befremden aus. So geht er in einer kaum wissenschaftlich zu nennenden Schwarz-Weiß-Sicht von einem "liberalen Westen", hauptsächlich an England festgemacht, und dem "konservativen Osten" Deutschland, Österreich und Rußland aus. Daß diese restaurative "Heilige Allianz" (Hohenzollern, Habsburg, Romanow) auf die zunehmend industrialisierte Gesellschaft immer weniger Einfluß ausübte, wird weitestgehend ignoriert. Der sozialgeschichtliche Ansatz wird, außer in Allgemeinfloskeln von einer "Modernisierung der Gesellschaft in Westeuropa", genausowenig konkretisiert wie "die Entwicklung des Obrigkeitsstaates" als deutsches Phänomen. Da wundert es nicht, daß Görtemaker in der Polarisierung zwischen Deutschland und England im Vorfeld des Ersten Weltkrieges kaiserliche Linienschiffe als größere Bedrohung für die verblühende Weltmacht wahrnimmt als die Wirtschaftsdaten des modernsten Industriestaates im Herzen Europas (Geschichte Europas von 1850 - 1918. Stuttgart 2002, 298 Seiten, 24 Euro).

Staatsdoktrin und Lebenslüge. Unter der Regie des Mitarbeiters der Konrad-Adenauer-Stiftung Manfred Agethen, des Politikwissenschaftlers an der Technischen Universität, Eckhard Jesse und Ehrhart Neuberts, der für die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen arbeitet, ist ein interessanter Sammelband erschienen, der sich der Untersuchung des Antifaschismus als mißbrauchten Begriff der kommunistischen Ideologie widmet. Nicht nur die Machthaber in der DDR benutzten diesen Begriff zur Legitimation ihrer eigenen vermeintlichen moralischen Überlegenheit im Kampf gegen den "faschistischen" Klassenfeind im Westen. Auch die politische Linke absorbierte vor allem nach dem Fall der Mauer den "Kampf gegen den Faschismus" als letztes identitätsstiftendes Relikt aus der Konkursmasse des gescheiterten Systems. Dabei wurde ein angeblich aufkeimender "Faschismus", als dessen Indikator ausländerfeindliche Übergriffe gedeutet wurden, zur Begründung des Feldzuges "gegen Rechts" angeführt, der selbst bis in die bürgerliche Mitte ausgedehnt wird (Der mißbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken. Herder Verlag, Freiburg i. Br. 2002, TB, 446 Seiten, 18 Euro).

Mohammed. Vor siebzig Jahren verfaßte der schwedische Orientalist Tor Andrae eine Biographie Mohammeds, des Stifters des Islam. Unbeeindruckt von gegenwärtiger Tagespolitik im Raum zwischen Mauretanien und Indonesien und des verbreiteten Islamismus zeichnet Andrae ein durchweg positives Bild des "jahrhundertelang aus naheliegenden Gründen" im christlichen Abendland negativ dargestellten Propheten. Die Lektüre der Neuauflage des Andrae-Werkes sollte jedoch mit genau dieser Berücksichtigung erfolgen und höchstens als Ergänzung des Islamstudiums wahrgenommen werden, da Andrae 1932 naturgemäß viele Entwicklungen der damals weit weniger dynamischen Weltreligion nicht berücksichtigen konnte. Die teilweise Verklärung Mohammeds als Philosoph, Gesetzgeber, "Eroberer von Ideen" und Wiederhersteller "vernünftiger" Lehren weicht zumindest von der gegenwärtigen Rezeption der Mullahs ab, die mehr den Richter als den Schöpfer Mohammed betonen (Mohammed. Sein Leben und sein Glaube. Lynx Verlag, Gauting 2002, 160 Seiten, 17 Euro).


 
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