© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/02 22. November 2002

 
Unsichere Kantonisten als Flankensicherung
Stalingrad: Mit ihren Truppen an der Ostfront versuchten die Verbündeten, ihren Platz am Beutetisch nach einem deutschen Sieg zu sichern
Alexander Barti

Was die alles entscheidende Ursache für die Katastrophe von Stalingrad gewesen ist, darüber werden die Historiker wohl bis in alle Ewigkeiten streiten. Mit Sicherheit spielte dabei auch die Qualität der Verbündeten des Deutschen Reiches eine nicht zu unterschätzende Rolle. Liest man den Aufsatz von Péter Szabó in der renommierten, bereits 1888 gegründeten Zeitschrift Kriegshistorische Mitteilungen (Hadtörténelmi közlemények, 12/01), in der die Motivation der europäischen Verbündeten für den Kampf gegen die Sowjetunion aus ungarischem Blickwinkel näher untersucht wird, wird schnell deutlich, daß maßgebliche Personen in Berlin keinen Schimmer hatten von der komplexen geopolitischen Lage des östlichen Mitteleuropa.

Als würde sich die Geschichte wiederholen, bemerkt man auch heute - zum Beispiel im Zuge der "friedlichen" EU-Ostexpansion - eine ebensolche Arroganz im "Westen", was erneut dazu führen könnte, daß nach anfänglichen Erfolgen der "Vormarsch" steckenbleibt und der "EU-Feldzug" scheitert.

Beim Beginn des Feldzuges gegen die Sowjetunion 1941 rechneten die Staaten Mitteleuropas mit einem schnellen Sieg der Deutschen und boten ihre Zusammenarbeit daher auch ohne konkrete Forderungen aus Berlin dem OKW an. Man wollte in Budapest, Zagreb und Bukarest in einer günstigen Verhandlungsposition sein, wenn es darum gehen würde, die Beute zu verteilen. Zumal Staaten wie Ungarn, Rumänien oder die Slowakei durch den Trianon-Revisionismus natürliche Feinde waren. "Wer nach dem Endsieg die größeren Verdienste hatte, wird seine territorialen Forderungen am besten durchsetzen können", war die Parole der damaligen Zeit.

In der Berliner Reichskanzlei rechnete man bei der Planung des "Unternehmens Barbarossa" vor allem mit der Unterstützung Rumäniens. Dieser von Marschall Antonescu regierte Staat grenzte im Osten an den "Bolschewismus" und hatte im Westen durch den ungarischen Trianon-Revisionismus Nordsiebenbürgen wieder verloren. Wollte Rumänien nicht auch Südsiebenbürgen verlieren, mußte es mit Deutschland ein besonders enges Verhältnis eingehen. Und Deutschland war schlau genug, dem erdölreichen Land zu signalisieren, daß die "Siebenbürgenfrage" noch nicht endgültig geklärt sei. Zu Sicherung der für das Reich lebensnotwendigen Energiequellen wurden ab April bis zum Sommer 1941 circa 200.000 deutsche Soldaten in Rumänien stationiert. Außerdem sollte die 11. deutsche Armee unter Oberst Schobert, unterstützt von der 3. und 4. rumänischen Armee, von Moldavien aus in die Sowjetunion einmarschieren.

Abwehr des "Bolschewismus" nur zweitrangiges Ziel

Ganz anders war die Lage des unabhängig gewordenen Kroatien. In Zagreb fürchtete man sich vor einem starken Italien, das, nachdem es drei Divisionen mit rund 62.000 Soldaten an die Ostfront geschickt hatte, als Lohn dafür die Herrschaft an den adriatischen Küsten übernehmen könnte. Um zu beweisen, daß auch Kroatien seinen Anteil an der "Abwehr des Bolschewismus" hatte, schickte Zagreb eine aus 5.000 Freiwilligen bestehende Truppe, die als 369. Regiment in die deutsche Armee eingegliedert wurde. Am 21. August 1941 erreichten die Kroaten die Front.

Ähnlich wie Rumänien hatte auch die Tiso-Slowakei ein vitales Interesse an einem guten Verhältnis zu Deutschland, so daß es im Feldzug gegen Polen 1939 nicht nur die 17. deutsche Armee unterstützt hatte, sondern gegen die Sowjetunion 42.000 Mann unter Führung von General Catlos zur Verfügung stellte.

In dieser allgemeinen Einsatzfreude konnte und wollte Ungarn nicht tatenlos bleiben, zumal es durch deutsche Hilfe (Wiener Schiedssprüche) erhebliche territoriale Gewinne verbucht hatte. Allerdings galt die ungarische Regierung unter Admiral v. Horthy als unsicherer, weil anglophiler, Kantonist, so daß das OKH auf eine zentrale Funktion der ungarischen Armee verzichtete. Nicht alle deutschen Militärs waren darüber erfreut. So forderte zum Beispiel der Kommandeur der Heeresgruppe Süd, Feldmarschall v. Rundstedt, am 27. März 1941 eine Stärkung der rechten Flanke der 17. deutschen Armee durch ungarische Truppen. Sollte diese Verstärkung nicht erfolgen, so eine Bemerkung vom 2. Mai 1941, könnten sich die bei Lemberg massierten sowjetischen Truppen der Einkreisung wiedersetzen. Rundstedt sollte recht behalten, in den ersten Tagen des Ostfeldzuges konnte die 17. Armee nur wenige Kilometer vordringen, so daß sich auch die ganz im Süden kämpfenden Rumänen nicht entfalten konnten. Daher forderte er am 25 Juni 1941 erneut den Einsatz ungarischer Truppen, bekam aber als Antwort, daß die Frage einer ungarischen Zusammenarbeit "weiterhin offen" sei. Das änderte sich schlagartig, als tags darauf Kaschau (Kassa) von angeblich sowjetischen Flugzeugen bombardiert wurde - die genauen Umstände sind bis heute nicht zweifelsfrei geklärt - und für Ungarn damit ein Kriegsgrund vorhanden war.

Unmotiviert, mangelhaft ausgebildet und ausgerüstet

Unter Leitung von Ferenc Szombathelyi standen nun 90.000 ungarische Soldaten für den Einsatz bereit. Allerdings war die Kampfkraft der Truppen eher minderwertig, was sich vor allem an den Verlusten ablesen läßt: Nachdem die Ungarn 2.200 Kilometer auf sowjetisches Gebiet eingedrungen waren, hatten sie 100 Prozent ihrer leichten Panzerwagen verloren. Daher entschied man am 10. September 1941 in Berlin und Budapest, statt Kampftruppen nur noch fünf Infanteriebrigaden in Anspruch zu nehmen, die das Hinterland sichern sollten. Damit waren die "Heldentaten" fürs erste beendet.

Bereits am 20. Januar 1942 reiste der Chef des Oberkammandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, nach Budapest, um die ungarische Führung von einer Teilnahme an der geplanten Sommeroffensive zu überzeugen. Dabei spielte Berlin ganz offen die "Siebenbürger-Karte", indem Keitel "nebenbei" bemerkte, wie großzügig Antonescu seine rumänischen Truppen angeboten und welch guten Eindruck das auf den Führer gemacht habe. So einigte man sich letztlich doch auf eine Teilnahme ungarischer Truppen; für ihre Ausrüstung sollte Deutschland verantwortlich sein.

Die für den Einsatz geplante 2. ungarische Armee stand unter dem Befehl von Oberst Ritter Gusztáv v. Jany und umfaßte etwa 200.000 Soldaten. Die Ausrüstung war für ungarische Verhältnisse zwar sehr gut, aber im Gegensatz zu den Sowjets noch immer armselig. Außerdem fehlte nicht nur der "Kampfgeist", in der Truppe dienten auch zahlreiche Mitglieder der ungarischen Minderheiten (circa 20 Prozent), zum Beispiel Rumänen, Slowaken, Ruthenen, die nur sehr schlecht zu motivieren waren, unter ungarischer Führung für deutsche Interessen zu sterben. Aber viel besser waren auch die Magyaren nicht: In den Mannschaftsdienstgraden waren Mitglieder des Agrarproletariats in der Überzahl, so daß sich mit der Zeit der Eindruck verstärkte, an der Ostfront werde der Bodensatz der Gesellschaft verheizt. Vollkommen ungenügend war die militärische Führung: Zahlreiche Offiziere waren ehemalige Reservisten und kümmerten sich vor allem um außenpolitische Debatten, "private Geschäfte", beziehungsweise um einen angenehmen Posten in der Etappe. Unter solchen ungünstigen Voraussetzungen begann der Ernstfall.

Am 28. Juni 1942 startete bei Kursk für die 2. Armee die Sommeroffensive. Das Ziel war der Don. Nach verlustreichen Kämpfen, bei denen die Soldaten nicht selten von eigenen Truppen beschossen wurden, hatte man den Fluß erreicht. Ab September 1942 bezog man die von der Wehrmacht zugeordneten Stellungen und richtete sich für den Winter ein. Wenige hundert Kilometer östlich wurden unterdessen die rumänischen Stellungen überrannt und ermöglichten die Schließung des Kessel von Stalingrad. Während die Sowjets dank der anglo-amerikanischen Hilfe ausreichend Nachschub hatten, entwickelte sich bei den Achsenmächten ein erbitterter Kampf um eine angemessene Versorgung. Die Stimmung war mies, das Mißtrauen zwischen den "Verbündeten" groß, die versprochene Ablösung war nicht in Sicht. In dieser Lage begann am 12. Januar 1943 der sowjetische Gegenangriff in nördlichen Donabschnitt und vergrößerte den Abstand zum Kessel immer weiter. Wenig Wochen später bildete die 2. ungarische Armee keine Front mehr und wurde bis zum April 1943 restlos aufgerieben.

Foto: Rumänische neben deutschen Soldaten am Don: Ihre schwachen Stellungen ließen den Kesselschluß zu.


 
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