© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002

 
Bürgerliche Renaissance
Nach der Wahl sind ÖVP und FPÖ zum gemeinsamen Erfolg verdammt
Andreas Mölzer

Gibt es so etwas wie eine Restrukturierung der bürgerlich-wertkonservativen Wählerschichten quer durch Europa? Sind die Erfolge von Jean-Pierre Raffarin in Frankreich, von Silvio Berlusconi in Italien und jetzt von Wolfgang Schüssel in Österreich so etwas wie ein Indiz dafür, daß sich die rechte Mitte im Anschluß an die spektakulären Erfolge von "Rechtspopulisten" neu findet? Es scheint so. Schüssel wird von der politisch-korrekten Berichterstattung als "Drachentöter", als Bezwinger Jörg Haiders und damit als Wegweiser gegen die Gefahr des Rechtspopulismus gepriesen.

Aber es ist nicht ausgeschlossen, daß die Freiheitlichen sich in einer Dimension von zehn bis 15 Prozent der Wählerzustimmung als rechtsliberale Kraft neu positionieren und damit aktiv im politischen Spiel bleiben. Interessant am Wahlergebnis des 24. November ist auch, daß die These, daß es ohne den Volkstribun Haider keine rechte Mehrheit in Österreich gebe, widerlegt wurde.

Wolfgang Schüssel, der gewiß kein Strahlemann ist, hat es tatsächlich geschafft mitsamt der - dramatisch geschwächten - FPÖ eine Mehrheit rechts der Mitte zu behaupten. Das Phänomen, das aus dem proletarischen Bereich zu Kleinbürgern aufgestiegene ehemalige SPÖ-Wähler auf dem Umweg über die FPÖ nun Schüssels ÖVP wählten, dürfte vor allem für die jahrzehntelange rote Hochburg Wien künftig noch von einiger Bedeutung sein. Schüssels Erfolg, der die ÖVP erstmals seit 36 Jahren wieder zur stärksten Kraft machte, hat bereits rote Festungen erschüttert. Das Parlamentspräsidium, das durch Heinz Fischer, den Gralshüter des Austromarxismus, lange Jahre behauptet wurde, geht wieder in bürgerliche Hände über.

Ob Schüssel nun die Weisheit aufbringen wird, für das Land und seine Partei die richtigen Weichen zu stellen, bleibt abzuwarten. Bei entsprechendem Geschick hätte er die Chance, der Bruno Kreisky des beginnenden 21. Jahrhunderts zu werden und über mehrere Legislaturperioden die Geschicke des Landes zu bestimmen. Doch maßgebliche Kräfte wollen eine große Koalition. Schüssel und Klubobmann Khol präferieren eine Fortsetzung von Schwarz-Blau - zu ihren Bedingungen allerdings. Sollten sie davon ausgehen, daß bei einer völligen Zerstörung der FPÖ eine absolute ÖVP-Mehrheit möglich ist, könnten sie sich irren. Absolute Mehrheiten sind beim Verhältniswahlrecht selten, zum anderen gibt es einen freiheitlichen Kernwählerbereich, der nicht so leicht von der christlich-konservativen ÖVP zu inhalieren ist. Wenn die ÖVP glaubt, so wie seinerzeit Franz Josef Strauß nach dem Muster zu agieren, rechts von uns darf es keine demokratische Kraft geben, könnte sie das Schicksal des ungarischen bürgerlichen Premiers Viktor Orbán erleiden, der trotz seines Wahlerfolges mangels Partner im Frühjahr 2002 aus der Regierungsverantwortung gefallen ist.

Ein anderes mögliches Kalkül wäre, in eine große Koalition mit den Sozialdemokraten zu gehen, dort binnen kürzester Zeit ein hartes Mehrheitswahlrecht zu beschließen, um dann bei den nächsten Nationalratswahlen nach britischem Muster nur mehr zwei große Parteien im Parlament zu haben, die sich - mehr oder weniger abwechselnd - die Macht teilen würden. Schwere Entscheidungen also für die siegreiche ÖVP.

Ebenso schwierige Entscheidungen werden die Freiheitlichen treffen müssen, die eine "Neugründung", also eine völlige strategische Neupositionierung ihrer Partei, werden vornehmen müssen. Auch wenn Jörg Haider - nicht nur als Kärntner Landeshauptmann, sondern auch bundespolitisch - weiterhin bestimmenden Einfluß auf die Freiheitlichen haben wird, müßte sich doch das Bewußtsein durchsetzen, daß eine Wiederholung des Aufstiegs der Freiheitlichen seit dem Jahre 1986 zur breiten Volkspartei ausgeschlossen ist. Die Freiheitlichen werden sich nun überlegen müssen, ob man sich als deutlich wirtschaftsliberale oder als eher soziale und zugleich rechtsliberale Partei neu positioniert. Danach muß das ideologische, aber auch das personelle Angebot nach einer solchen Richtungsentscheidung ausgerichtet sein. Grabenkämpfe unter Parteifunktionären, gegenseitige Diffamierungen und ähnliches wird man schnellstens ausschließen müssen, ansonsten wird es bei den kommenden Wahlen weiter bergab gehen.

Auch muß man moralisch und strategisch damit fertigwerden, daß die künftigen Landtagswahlen einen Angleichungsprozeß des Wählerniveaus an jenes bringen, das die Freiheitlichen gegenwärtig auf Bundesebene haben. Was nicht mehr und nicht weniger heißt, als daß demnächst die Landtagswahlen in Niederösterreich und Oberösterreich ähnlich dramatische Verluste bringen werden.

Mit all dem fertigzuwerden, bietet für die FPÖ unter Herbert Haupt aber auch die Chance, endlich die Spreu vom Weizen zu trennen und die Führung der Partei zurück in die Hände von "Überzeugungstätern", von glaubwürdigen und gefestigten Persönlichkeiten zu geben. Eine Chance, die nicht nur den Freiheitlichen eine Zukunft ermöglichen könnte, eine Chance, die auch für die Republik insgesamt gut wäre.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der österreichischen Wochenzeitung "Zur Zeit".


 
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