© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Illoyalität
Karl Heinzen

Peter Hartz hat sich mit seinen unflä­tigen Bemerkungen zur Politik der Bun­desregierung als Berater ins Abseits manövriert: Ihm scheint die Loyalität zu seinem Kunden nicht so wichtig zu sein wie das Festhalten an Vorschlägen, die er irgendwann einmal für richtig befunden hat. Man wird es sich in Ber­lin in Zukunft zweimal überlegen, bevor man seinen Namen noch einmal mit einem Reformvorhaben verknüpft.

In einer Demokratie ist die Entschei­dung über die Zukunft des Landes dem Wähler anvertraut und durch ihn der Re­gierung übertragen. Bürger, die sich mit oder ohne Berechtigung für Experten halten, dürfen sich frei äußern. Sie können aber nicht verlangen, daß ihre Ratschläge, auch wenn diese vom Kanzler erbeten worden sein mögen, Gehör fin­den. Es ist daher hinsichtlich seines Demokratieverständnisses entlarvend, wenn sich Peter Hartz darüber mokiert, daß seine Anregungen nicht "eins zu eins" umgesetzt würden: Nicht einmal in einer marktwirtschaftlichen Diktatur wie der chilenischen unter Pinochet hätte er mit derartigem rechnen dürfen.

Dennoch, und dies sollte bei aller Ent­täuschung über sein heutiges Verhalten nicht vergessen werden, hat Peter Hartz seine Aufgabe im wesentlichen erfüllt. Noch wenige Wochen vor der Bundestags­wahl mußte befürchtet werden, daß die Oppositionsparteien das Schicksal von vier Millionen Arbeitslosen für Wahl­kampfzwecke mißbrauchen würden. Ein Konzept aus den Reihen der Bundesregie­rung selbst wäre zu leicht als unglaub­würdig zu diskreditieren gewesen, da sie dieses ja vermeintlich schon längst hätte vorlegen und umsetzen können. Pe­ter Hartz und seine Kommission vermit­telten für einen kurzen Augenblick das beruhigende Gefühl, daß eine Regierung, die über ökonomischen Sachverstand nicht verfügt, diesen im Interesse der Menschen nicht vorzutäuschen versucht, sondern über ihren Schatten springt und das Wissen und die Erfahrungen der Ge­sellschaft aktiviert.

Unterdessen sind wir zur Tagesordnung zurückgekehrt. Wir vermögen die Pro­bleme wieder realistischer zu betrach­ten. Wir erkennen, daß die Arbeitslo­sigkeit weder durch die Politik noch durch den Markt in signifikantem Umfang zu reduzieren ist. Dies sollte uns kei­nesfalls davon abhalten, es immer wie­der mit kosmetischen Schönheitsrepara­turen am häßlichen Antlitz der Sta­tistik zu versuchen. Eine verantwor­tungsvolle Politik darf ja nicht nur auf ihre Resultate achten, sondern muß die Gefühle der Menschen, die durch ihre Ankündigung und ihre Umsetzung wachgerufen werden, berücksichtigen. Es wäre fatal, denen, die heute arbeitslos sind oder damit rechnen müssen, es mor­gen zu sein, schon heute alle Hoffnung zu nehmen. Insofern ist Peter Hartz zu widersprechen. Es mag ja sein, daß durch die selektive Realisierung seiner Vorschläge das Ziel, zwei Millionen Ar­beitslose abzubauen, nicht erreicht wird. Abgesehen davon, daß diese Chance auch bei einer Umsetzung "eins zu eins" nicht bestünde: Was nützt es den Be­troffenen, dies zu wissen?


 
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