© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002

 
Vergessene Opfer
Rheinland-Pfalz: Behörden verhindern die Suche nach vermißten deutschen Soldaten auf dem Gebiet der früheren "Rheinwiesenlager"
Matthias Bäkermann

In vielen Ländern der Welt kümmert sich der Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge um Soldaten der Weltkriege, die oftmals nur notdürftig verscharrt und nicht identifiziert in fremder Erde ruhen, um ihren sterblichen Überresten eine würdige Bestattung zu ermöglichen und Angehörige über ihr Schicksal aufzuklären. Besonders in Rußland hat der Volksbund noch ungeheure Arbeit zu leisten, nachdem der Fall des Eisernen Vorhangs seine Arbeit dort erst richtig möglich gemacht hat. Trotzdem hört man öfter Klagen über russische "Provinzfürsten", die mit bürokratischen Mitteln die Arbeit des Volksbundes behindern. Leider hilft in diesen Fällen oftmals nur viel Geduld und gutes Zureden, zu erzwingen ist dort wenig. Um so erstaunlicher ist es jedoch, wenn das Forschen nach vermißten deutschen Soldaten in der Bundesrepublik durch bürokratische Stricke verhindert wird. So werden im Gebiet der ehemaligen "Rheinwiesenlager" in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz noch viele Tote vermutet. Trotzdem verbieten es deutsche Behörden, nach diesen Toten zu suchen.

17 Lager mit Millionen von deutschen Kriegsgefangenen

Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurden Millionen deutscher Wehrmachtssoldaten durch die westalliierten Streitkräfte gefangengenommen. Viele dieser Soldaten wurden bereits im Frühjahr 1945 in Lagern auf der linken Rheinseite festgesetzt, um eine Befreiung durch die rechtsrheinisch weiterkämpfende Wehrmacht zu verhindern, beziehungsweise die Flucht der Gefangenen zu diesen Truppen zu erschweren. Zum Kriegsende wuchs die Zahl der Kriegsgefangenen immer weiter an, so daß schließlich 17 große Lager zwischen Rheinberg am Niederrhein über Remagen, Koblenz bis nach Rheinhessen und dem Nahegebiet, wo sich allein fünf große Lager befanden, entstanden sind.

Obwohl mit der Kapitulation am 8. Mai nach Kriegsvölkerrecht den entwaffneten Soldaten die Entlassung zugestanden hätte, blieben diese weiterhin im Gewahrsam der Alliierten. Durch das Oberste Hauptquartier der Alliierten Truppen in Europa unter Oberbefehl des amerikanischen Generals und späteren US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower wurde der Status der Kriegsgefangenen in "Disarmed enemy forces" (entwaffnete Feindkräfte) abgeändert und ihnen damit der Anspruch auf ihre völkerrechtliche Versorgung genommen. Begründet wurde dieser Schritt offiziell mit einer fehlenden Reichsregierung, die sich der entlassenen Soldaten hätte annehmen können. Wieviele genau in den Lagern waren, läßt sich heute nicht mehr klären, da die Alliierten weder Zu- noch Abgänge der Gefangenen genau protokollierten. So blieben Hunderttausende in den "Rheinwiesenlagern" interniert und vegetierten vom Mai bis in den Herbst 1945 unter freiem Himmel, mit dürftigster Nahrungsmittelversorgung und ohne medizinischer Betreuung. Obwohl die Amerikaner über genügend Lebensmittel verfügten, wurde den "Disarmed enemy forces" nach den eigenen Truppen, den entlassenen alliierten Kriegsgefangenen, den "Displaced Persons" und der deutschen Zivilbevölkerung nur als allerletztes eine Versorgung zuteil. So mußten in den "Rheinwiesenlagern" Tausende sterben, die durch unhaltbare hygienische Zustände, Leben auf engstem Raum und den Zwang, monatelang dem Wetter zu trotzen, ohnehin sehr geschwächt waren. Die Überstellung der Verantwortung für einige Lager an die französische Besatzungsmacht im Sommer 1945, insbesondere im Nahetal, verschlimmerte diese Situation sogar.

Noch bevor die Bundesrepublik entstand, wurden die Gefangenencamps 1948 aufgelöst. Von den "Rheinwiesenlagern" im Nahegebiet wurden mehrere tausend Opfer auf verschiedenen Friedhöfen, wie zum Beispiel dem Stadtfriedhof Bad Kreuznach beigesetzt, die danach jedoch oftmals auf den Soldatenfriedhof "Lohrer Wald" umgebettet wurden. Frank Salomon vom Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge geht davon aus, daß "im Bereich der ehemaligen Lager Winzenheim bzw. Bretzenheim mit Sicherheit noch Tote liegen, die nicht geborgen wurden". Gegenüber der JF bestätigte er damit auch die Vermutung des Kanadiers James Bacque, der 1989 mit seinem Buch "Der geplante Tod" Mutmaßungen über bis zu eine Million Tote in den Lagern der Alliierten anstellt, von denen viele in den Latrinengruben ihr Grab gefunden haben könnten, in die sie oftmals vollkommen geschwächt hineinfielen. "Die Behauptung Bacques, daß dort eine Million Soldaten umkamen, halte ich für nicht haltbar. Bacques Zahlen sind Quatsch", kommentiert Salomon die angegebene Opferhöhe. Auch der ehrenamtliche Leiter der Gedenkstätte "Lagermuseum Bretzenheim", Jakob Zacher, bestätigt Salomons Haltung. "Ich selbst habe James Bacque widerlegt, indem ich ihm gegenüber nachwies, daß an drei Orten keine Massengräber sein können, entgegen seiner Behauptung."

Baugebiete in Zonen, in denen Grabungsverbot herrscht

Auf eventuell verborgene Tote angesprochen, reagiert Zacher abweisend: "Nicht einen einzigen Toten haben wir bislang gefunden. Die Knochen vom Tullius waren Kotelettknochen von der Kantinengrube der Amerikaner. Den sollte man nicht zu ernst nehmen", warnt Zacher die JF. Bereits in den achtziger Jahren hat der besagte Landwirt Otto Tullius durch Funde von Knochen auf seinem Acker im Bereich des ehemaligen Lagers Winzenheim die Aufmerksamkeit auf eventuell noch unbestattete Lagerinsassen gerichtet. Dieser verständigte damals Otto Schmitt, der durch das Aufspüren vieler Gefallener in Rheinland-Pfalz bekannt war. Schmitt fing an, nach vermuteten Toten zu graben, als ihm die Kreisverwaltung Bad Kreuznach 1987 alle weiteren Grabungsversuche untersagte. In einem daraufhin am 16. Juli 1987 geschickten Verfügungsbescheid wurde dem Hobby-Archäologen Schmitt bei einer Zuwiderhandlung gegen das Grabungsverbot eine Geldbuße von bis zu 250.000 Mark angedroht. Der Fall führte sogar bis vor das Verwaltungsgericht Koblenz, wo am 22. Juni 1989 Schmitts Klage gegen die vom Kreis ausgesprochene "Ablehnung einer denkmalsschutzrechtlichen Ausgrabungsgenehmigung" abgewiesen wurde. Der damalige Vorsitzende Richter Packroff berief sich "auf sachverständige Kreise", die sich ausschließlich dafür eigneten, den Denkmalschutz "unabhängig von einem sich wandelnden Bewußtsein der Bevölkerung" sicherzustellen. Berufen wurde sich auf den Paragraph drei des Denkmalschutz- und Denkmalpflegegesetzes, wonach "Gegenstände, die Spuren oder Überreste menschlichen Lebens oder kennzeichnende Merkmale der Städte und Gemeinden" schützenwert seien.

Der Verantwortliche für diese Maßnahmen war damals der Abteilungsleiter Hans Bergs vom Kreisamt Bad Kreuznach, der nun Leiter des dortigen Bauamtes ist. Als solcher ist er heute pikanterweise direkt in die Genehmigung und Planung von Bebauungsplänen eingebunden, die auch in dem 210 Hektar großen Bereich des ehemaligen Lagers teilweise schon rechtsverbindlich beschlossen wurden. Auf dem Kreisamt Bad Kreuznach gibt man sich ahnungslos. Bergs Stellvertreterin Ursula Brandenburg weist gegenüber der JUNGEN FREIHEIT darauf hin, daß man bislang nur Otto Schmitt wegen mangelnder Kompetenz die Grabungen untersagt habe. "Der Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge hat bis heute keinen Grabungsantrag gestellt." Der Kasseler Volksbund-Mitarbeiter Frank Salomon bestätigt dieses, verweist jedoch darauf, daß der Volksbund im Auftrag des Bundes innerhalb Deutschlands grundsätzlich keine Grabungsanträge stelle, sondern sich auf die Konsultation bei einem Verdacht auf nichtentdeckte Kriegstote berufe und dann erst aktiv werde.

Wenn es keine Toten gäbe, wäre ein Verbot überflüssig

Die Eignung Schmitts stellt Salomon allerdings nicht in Frage: "Der Mann ist schon kompetent." Das bewiesen allein die über 80 von ihm initiierten Ausgrabungen, bei denen auch vermißte alliierte Piloten gefunden und in ihre Heimatländer überführt werden konnten. Schmitt, ehemaliger Zivilangestellter der Bundeswehr, selbst ehemaliger Insasse in Lager Winzenheim, begreift dieses Verbot bis heute nicht. "Wenn es keine Toten gäbe, bräuchte man mir die Suche doch nicht zu verbieten", sagt der ehrenamtlich tätige Schmitt der JF. Den Landkreis Bad Kreuznach wähnt er jedoch nicht als entscheidende Stelle. "Die haben wenig Ahnung von der Materie. Hinter ihnen steht Dr. Ruprecht aus Mainz, der die Grabungen hier blockiert." Auf diesen verweist auch die Kreisangestellte Brandenburg. "Wir möchten und dürfen zu den Rheinwiesenlagern keine Aussage machen. Dafür ist Mainz zuständig."

Gerd Ruprecht ist kein geringerer als der Landesarchäologe von Rheinland-Pfalz und steht der archäologischen Abteilung am Landesamt für Denkmalspflege in Mainz vor. Detert Zylmann von der Pressestelle des Landesamtes möchte jedoch keinen Kommentar zu den Grabungsverboten im Bereich der Rheinwiesenlager machen. "Zu diesem 'heißen Thema' darf nur Herr Dr. Ruprecht Stellung nehmen." Leider ist dieser unserer Aufforderung zu einer Stellungnahme bis Redaktionsschluß nicht nachgekommen. Bedauert wird diese Haltung auch vom Volksbund. "Ein Interesse, verborgene Tote aus diesen Lagern zu bergen, wäre von unserer Stelle grundsätzlich vorhanden", sagt Salomon. Vielleicht sind die Verantwortlichen in Rußland doch leichter dazu zu bewegen, die Suche nach toten Soldaten zu unterstützen. Wir werden weiter berichten.

Foto: Deutsche Kriegsgefangene im Lager Sinzig 1945: "Nicht einen einzigen Toten gefunden"


 
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