© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002

 
Das schnelle Geld mit den Flüchtlingen
Schleuserkriminalität: Wie der Bundesgrenzschutz die innerdeutsche Grenze nach Tschechien überwacht
Michael Waldherr

Das Schleusen von Menschen über Staatsgrenzen ist ein Zweig der Organisierten Kriminalität", betont Polizeihauptkommissar im Bundesgrenzschutz (BGS), Reinhold Balk. Als Leiter der BGS-Inspektion Verbrechensbekämpfung in Schwandorf weiß er, wovon er spricht. Balk gewährt Einblick in amtliche Unterlagen: "Vorsichtigen Schätzungen nach soll sich der Jahresumsatz mittels Schleusungen im Jahre 1999 weltweit auf 12 Milliarden Euro beziffern. Seitdem übertreffen die mit Einschleusungen erzielten Profite sogar die des Rauschgifthandels." 1997 gelang es dem Grenzschutzamt Schwandorf, eine kurdische Schleuserorganisation zu zerschlagen. Vor Gericht wurde hochgerechnet: In fünf Jahren hatte ein türkischer Kurde mit seiner Organisation 10.000 Landsleute nach Deutschland geschleust. Reingewinn: Sieben Millionen Euro!

Ansatzpunkte für ihre Arbeit finden die BGS-Ermittler vor allem dann, wenn ein Schleuser trotz exorbitant hoher Gewinnspannen den Hals nicht voll genug kriegt. Wer die Erfahrung gemacht hat, daß man sich mit vereinzelten Schleusungen ein "ordentliches" - zudem steuerfreies - Zubrot verdienen kann, erliegt mitunter der Versuchung, in großem Umfang in das lukrative Geschäft zu kommen und versucht, eine eigene Organisation aufzubauen. Dabei passieren oft Fehler.

Es geht bei der Schleuserkriminalität aber nicht nur um Geld - es geht vor allem um menschliche Schicksale. "Doch die Menschen sind für die Schleuser einfach eine Ware", klagt der Schwandorfer BGS-Pressesprecher Hans Rachwalik. Und für den "Transport dieser Ware" gibt es eine Preisliste: Die Schleusung eines Kosovo-Albaners nach Deutschland kostet ihn 1.750 Euro, ein Kurde muß dafür schon 3.000 Euro bezahlen. Asiaten aus Indien, Pakistan oder Sri Lanka haben pro Person 10.000 Dollar zu berappen, Chinesen gar 25.000 Dollar.

Die Armen glauben die Bilder vom reichen Westen gern

Angelockt werden die Menschen aus der Zweiten oder Dritten Welt von professionellen Werbern, die ihnen auf Videos Deutschland oder andere westeuropäische Länder als Paradies auf Erden vorgaukeln: Dort gebe es einfach alles - und wer Geld brauche, der hole es sich einfach aus einem Automaten. Wer arm ist und lieber reich wäre, der glaubt diesen Bildern allzu gerne. Familien verkaufen ihr ganzes Hab und Gut, um wenigstens einem Mitglied die Reise in den "Goldenen Westen" zu ermöglichen - in der Hoffnung, daß er die Zurückgebliebenen mit Geld unterstützt oder später in das "Gelobte Land" nachholt. Die meisten illegalen Zuwanderer wollten arbeiten und Geld verdienen, doch andere hätten auch von vornherein die Absicht, Straftaten zu verüben. Unter Hinweis auf das Stichwort "Rumänenbanden" stellt Blümel fest: "Hier gibt es einen Zusammenhang zwischen illegaler Einreise und Eigentumsdelikten."

Nicht jeder, den es illegal nach Deutschland zieht, hat das Geld für den Schleuser. Bei großen Schleuserorganisationen besteht deshalb die Möglichkeit, die angefallenen Schulden nachträglich abzuarbeiten. Doch beileibe nicht jeder weiß im voraus, was das für ihn bedeuten kann: Die Möglichkeiten des Abstotterns reichen von unbezahlter Arbeit im China-Restaurant über Diebstahl und Drogenhandel bis hin zur Zwangsprostitution. "Wer illegal einreist, kann hier nicht legal arbeiten - und so befinden sich die Geschleusten in einem Teufelskreis, der sie zwangsläufig in die Folgekriminalität abgleiten läßt. Die Schleuserorganisationen wissen das für ihre anderen mafiösen Aktivitäten zu nutzen", erklärt Polizeihauptkommissar Peter Hofmann. Der Leiter der BGS-Inspektion Selb betont: "Dieses Dilemma versuchen wir durch Aufgriff der Geschleusten an der Grenze zu verhindern."

Selb ist mit 300 Mitarbeitern die größte BGS-Inspektion. Von hier aus überwachen die BGS-Beamten 57 Kilometer Staatsgrenze südlich des Drei-Länder-Ecks Sachsen-Bayern-Tschechien. In dem nach der benachbarten tschechischen Industriestadt benannten "Ascher Zipfel" geschehen etwa 50 Prozent aller illegalen Grenzübertritte nach Bayern.

"Die Schleuserkriminalität läßt sich am besten mit einer hohen Überwachungsdichte an der Grenze, aber auch mit der Schleierfahndung im rückwärtigen Grenzraum bekämpfen. Dabei spielt der Einsatz von Zivilstreifen und Diensthunden sowie Nachtsichtgeräten wie Wärmebildkameras oder Bildverstärkerbrillen eine große Rolle. Wichtig ist auch die Zusammenarbeit aller Sicherheitsbehörden wie BGS, bayerischer Landespolizei, Zoll und tschechischer Grenzpolizei. Die Grenzbevölkerung hilft uns sehr mit ihren Informationen", sagt der Schwandorfer BGS-Beamte Blümel nicht ohne Stolz. Immerhin ist die Zahl der entdeckten unerlaubten Übertritte an der vom BGS zu überwachenden grünen Grenze zwischen Bayern und Tschechien von 4645 im Jahre 1998 innerhalb der letzten Jahre deutlich auf unter 3.000 zurückgegangen.

"Schleuserkriminalität hat nichts mit Fluchthilfe zu tun"

Schleuserorganisationen sind hierarchisch aufgebaut, wobei sich die unterschiedlichen Ebenen möglichst abschotten. Auf der untersten Stufe stehen die "Fußschleuser". Das sind in der Regel Tschechen, aber auch Deutsche - meist ausländischer Herkunft - mit geringem Einkommen, die die Ausländer im Fußmarsch über die grüne Grenze führen. Sie werden in Diskotheken und Lokalen angeworben. Auf der nächsthöheren Stufe steht der "Abholfahrer", der die Geschleusten zu einer festgelegten Zeit an einem verabredeten Ort mit einem Kraftfahrzeug abholt und sie schnellstmöglich aus dem Grenzraum transportiert. Dabei werden Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht. Der "Organisator" sorgt für die nötige Infrastruktur: Er sammelt die Flüchtlinge in der Tschechischen Republik, bringt sie dort unter, organisiert Fußschleuser und Abholfahrer, sowie gegebenenfalls das Untertauchen in Deutschland. An der Spitze stehen die "Köpfe". Sie sitzen in den jeweiligen Herkunftsländern ihrer Kundschaft, die Drahtzieher der Kosovo-Albaner hingegen "residieren" in Tschechien.

"Meistens gelingt es uns nur, die kleinen Fische an der Grenze abzugreifen, aber wir versuchen mit unseren Ermittlern Strukturen offenzulegen und dann einen internationalen Haftbefehl zu erwirken. Das hat auch schon geklappt", berichtet Polizeihauptkommissar Hofmann. Die Schleuserbanden spezialisieren sich auf bestimmte Nationalitäten und entwickeln ihre "Handschriften". So bevorzugen Rumänen statt der Fußschleusung das Überfahren der grünen Grenze mit Schrottautos. In Tschechien wird der Kampf um Marktanteile auch mit Gewalt ausgetragen. Neuestes Angebot ist die "Schleusungsgarantie". Wer geschnappt wird, darf den Behörden nur seine ihm vorher eingetrichterte Legende erzählen. Nach der Abschiebung ruft der erfolglos Geschleuste eine bestimmte Telefonnummer an - und der nächste Versuch beginnt. Polizeioberrat Blümel stellt klar, daß die Schleuser die wahren Schurken sind: "Schleuserkriminalität hat nichts mit humanitärer Fluchthilfe zu tun, sondern mit reiner Profitgier und Abzockerei. Das ist moderner Sklavenhandel, bei dem die Notlage armer Menschen ausgenutzt wird."


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen