© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002

 
"Wieviel Divisionen hat dieser Otto?"
Europa: Der 90. Geburtstag Otto von Habsburgs wurde in Wien feierlich begangen / Von Giscard als großer Europäer gewürdigt
Carl Gustaf Ströhm

Als das Pontifikalamt im Wiener Stephansdom zu Ende ging, erschallte in den gotischen Mauern Haydns berührende Melodie, jenes "Gott erhalte Franz den Kaiser", die dann - mit Hoffmann von Fallerslebens Text - 1922 zur deutschen Nationalhymne wurde. Diesmal senkten sich schwarz-gelbe Fahnen mit dem doppelköpfigen Reichsadler vor Otto von Habsburg, der, wenn die Geschichte anders verlaufen wäre, heute als Kaiser in Wien residieren würde.

Am 20. November feierte er seinen 90. Geburtstag - in voller geistiger und körperlicher Frische, und zwar in der gleichen Kaiserstadt, die den Habsburgern die größten Triumphe, aber auch das Ende ihrer Herrschaft beschert hatte. Es war wie eine Aussöhnung zwischen der Dynastie und der Stadt: draußen herrschte herbstliches Kaiserwetter. Im Dom sprach Kardinal Christoph Schönborn in seiner Predigt den Jubilar an: "Kaiserliche Hoheit, ein anderer Weg war Ihnen ursprünglich zugedacht: der des Thronfolgers in einem großen Reich, einem Vielvölkerstaat. Doch die damals Herrschenden wollten nicht mehr, daß Ihr Vater und Sie in der Folge - Kaiser und König in diesem Reich bleiben ... Das Reich zerfiel, seine Folgestaaten wurden zur Beute menschenverachtender und massenmordender Ideologien. Erst langsam und mühsam erholen sich die Völker von dem Grauen des 20. Jahrhunderts ..."

Dieses Jahrhundert hat Otto fast von Anfang bis Ende durchlebt und durchlitten. War seine Rückkehr in die Kaiserstadt eine später Wiedergutmachung? Gewiß, auch das - aber sie war unendlich mehr. Vor der Hofburg hatten die Tiroler Schützen in ihren malerischen roten Trachten Aufstellung genommen. Die Kaiserjägermusik in den blaugrauen Uniformen der alten Monarchie schmetterte schneidige Märsche. Otto von Habsburg schritt vor der Residenz seiner Vorfahren die Front ab, nicht martialisch, aber milde lächelnd - wie es sich für einen heimkehrenden Kaiser geziemt.

Erfolgreicher Kampf für die Wiedervereinigung Europas

"Wieviel Divisionen hat dieser Otto?" fragte ein ausländischer Zuschauer angesichts des monarchischen Gepränges mitten im kaiserlichen Wien. Nun, Ottos Divisionen gibt es in ganz Europa - von den Sudetendeutschen bis zu den Balten, von den Kroaten bis zu den Slowaken. Im Osten hat man nicht vergessen, daß Otto von Habsburg, den Franz Josef Strauß 1979 zum CSU-Europaparlamentarier machte - zu einer Zeit, als sich der Westen mit der Teilung Europas (und Deutschlands) abzufinden begann -, im Straßburger Parlament die Aufstellung eines leeren Stuhles beantragte. Dieser sollte den offengehaltenen Platz für die vom Kommunismus unterdrückten Völker symbolisieren. Damals tippten manche Westeuropäer sich mit dem Finger an die Stirn, und als der Europaabgeordnete von Habsburg im Plenum aufstand und eine Rede auf Ungarisch hielt, fand das Kopfschütteln kein Ende. Heute ist Ungarn Nato-Mitglied und einer der ersten EU-Kandidaten.

Eine besondere historische Genugtuung erfuhr Erzherzog Otto an diesem Tag durch den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d'Estaing. Durch Jahrhunderte war Frankreich der Gegenspieler des Reiches gewesen. Die französischen Könige hatten sich mit den Osmanen verbündet, um Wien zu schlagen. Nach dem Ersten Weltkrieg blieb von Österreich ein kümmerliches Rumpfgebilde übrig: Le reste - c'est l'Autriche - der Rest ist Österreich, wie Frankreichs Premier Clemenceau in St. Germain zynisch dekretierte. Jetzt gratulierte der Vorsitzende des EU-Konvents dem "Kaiser eines nicht mehr bestehenden Kaiserreichs" mit den Worten: "Was an ihrer Haltung so bewundernswert ist, ist die Tatsache, daß Sie von Anfang an gespürt haben, daß dieses Europa ein ganzes ist." Wer hätte das spüren sollen, wenn nicht der Mann, der aus einer Dynastie stammt, in deren Reich einst die Sonne nicht unterging?

Als Gratulanten waren neben Bundeskanzler Schüssel die Präsidenten Estlands und der Slowakei und Litauens Ex-Präsident Landsbergis erschienen, aber auch der Ministerpräsident Bulgariens, der als Simeon II. von Sachsen-Coburg-Gotha - bevor ihn die Kommunisten vertrieben - König von Bulgarien war. Aber es kamen auch regierende Monarchen: Carl Gustaf von Schweden mit Königin Sylvia - einer gebürtigen Deutschen, ein Prinz aus Marokko, die Fürstin von Liechtenstein und die Herzogin von Kent.

Das Fest, welches die Gäste vom Stephansdom über die Hofburg ins märchenhafte Schloß Schönbrunn führte, war einesteils die Wiederentdeckung der Welt von gestern: der Dynastien und des Adels. Im Zeitalter allgemeiner Gleichmacherei und Formlosigkeit präsentierte sich plötzlich eine Welt der Formen und des guten Benehmens. Aber zugleich auch eine Welt des Dienens, der Pflicht - und einer existentiellen Heiterkeit.

Da war dann nichts von steifer Etikette, alles ging gelassen, fast elegant vonstatten. Der Jubilar plauderte mit den Gästen, küßte die Hände der Damen. Und dann erinnerte man sich unwillkürlich, welchen Weg er zurücklegen mußte: vom umhegten kleinen Prinzen und Thronfolger zum heimatlosen Flüchling, gejagt von Hitler, verschmäht von seiner Heimat Österreich, die ihm nach dem Zweiten Weltkrieg lange die Einreise nicht gestattete - belächelt und an den Rand gedrückt von den etablierten Mächten. Daß er alles das ohne sichtbare seelische Kratzer überstanden hat, daß an ihm nichts von Vorwürfen, gekränkter Eitelkeit und Verbitterung zu entdecken ist: schon das ist eine der großen Lebensleistungen dieses Mannes aus kaiserlichem Geblüt.

Das Format zum Kanzler oder Bundespräsidenten

Allerdings - dem Chronisten kommt eine Frage in den Sinn, während in der Orangerie von Schönbrunn ungarische Zigeuner einen Csárdás nach dem anderen spielen: Was wäre dieser Otto von Habsburg für ein politisch versierter Bundespräsident gewesen, sei's in Deutschland, sei's in Österreich. Was wäre er für ein polyglotter Außenminister geworden - vergleicht man ihn mit manchem deutschen Inhaber dieses Amtes. Und schließlich - auch als Kanzler wäre er denkbar gewesen!

Nun, Otto von Habsburg ging seinen Weg auch ohne die Attribute der Macht. Er wurde politischer Schriftsteller und sogar Journalist. Darüber hinaus formte er die "Paneuropa-Union" zu "seiner" Organisation - unabhängig von Parteiapparaten. Für ihn mag gelten, was einmal über den General de Gaulle gesagt wurde: Er ist ein Mann von gestern - und von morgen, vielleicht sogar übermorgen. Europa muß wachsen wie ein Baum, nicht wie ein amerikanischer Wolkenkratzer. Dieser Ausspruch zeigt, daß er den Kern des Problems erfaßt hat. Viel zu viel Geschichte steckt ihm im Blut, als daß er die Rolle der Nationen geringschätzen könnte. Was die Deutschen betrifft, die ihm zu Hitlers Zeiten übel zusetzten, hegt er keinerlei Ressentiments. Im Gegenteil: 1951 heiratet er in Nancy eine deutsche Prinzessin - und er selber bezeichnete sich im Europaparlament als "deutschen Abgeordneten". Von ihm stammt auch das Wort von den unerträglichen "Sühnedeutschen", die überall nur ihre Schuld kultivierten.

Im Schloß Schönbrunn zeigte sich noch einmal eine der Stärken des Hauses Habsburg: Sie verstehen es, Menschen zusammenzuführen und Feste zu feiern; da wirkte nichts gezwungen oder aufgesetzt. Und angesichts dieser gemeinschaftsstiftenden Funktion haben Otto und die Habsburger in vielen Ländern und Breiten ihre Anhänger - auch solche, die weder adlig noch katholisch sind. Diese meinen: Eigentlich ist es schade, daß er nicht unser Kaiser ist. Wer weiß, vielleicht ist er doch unser aller heimlicher Kaiser?


 
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