© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002

 
Nur schlecht informiert
Abfallwirtschaft: Das Zentrum für Türkeistudien untersuchte Umwelteinstellungen von türkischen Migranten in Deutschland
Ronald Gläser

Das Umweltbundesamt (UBA) und das Bundesumweltministerium un-tersuchen alle zwei Jahre das Umweltbewußtsein der Deutschen. In Analogie zu dieser Studie hat das Zentrum für Türkeistudien (ZFT) nun die Einstellung der in Deutschland lebenden Türken durchleuchtet. Dazu wurden 500 Haushalte befragt und 38 "Expertengespräche" geführt. Die Haushalte wurden nach dem Zufallsprinzip aus dem Telefonbuch ausgewählt. 85 Prozent der Interviews wurden auf Türkisch durchgeführt.

Das Endergebnis der Studie liegt zwar erst Ende Januar vor, dennoch wurde von ZFT-Direktor Faruk Sen bereits ein Zwischenbericht in Berlin vorgestellt. "Türken trennen keinen Müll" lautet einer der prägnantesten Unterschiede zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Und weniger als ein Prozent identifiziert Müllvermeidung als einen Beitrag zum Umweltschutz. Insgesamt jedoch ist die jeweilige Einstellung gegenüber der Umwelt sehr ähnlich. Schließlich leben Deutsche und Türken in derselben Umwelt mit identischen Problemen.

Zu den dringendsten gesellschaftlichen Problemen zählen weder Türken noch Deutsche die Umwelt. Von acht möglichen Topoi nannten Deutsche wie Türken Umweltprobleme erst an siebter Stelle. Unwichtiger ist für Türken nur die Kriminalitätsbekämpfung und für Deutsche die Frage der Integration der Ausländer in Deutschland. Dagegen rangieren Themenbereiche wie Arbeit und Rente ganz oben in der Prioritätenskala der hiesigen Bevölkerung.

Deutsche jedoch befassen sich augenscheinlich mehr mit den Zusammenhängen der Umwelt und ihrer Verschmutzung. So stehen für Türken der Müll auf Straßen oder die Autoabgase in Innenstädten im Vordergrund ihrer Überlegungen. Eine umweltfreundliche Produktionsweise oder schonender Ressourcenverbrauch spielen für sie eine untergeordnete Rolle. "Umweltschutz ist für Türken Bürgerpflicht", faßte Martina Sauer die Haltung der Türken zusammen. 13 Prozent der Türken, mehr als bei den Deutschen, wollen Vorbild in ihrer Haltung zum Umweltschutz sein. Das konkrete Handeln wird dieser Einstellung allerdings nicht gerecht. Deutsche sind viel eher bereit, auch höhere Preise, etwa für Ökoprodukte, in Kauf zu nehmen. Dies gilt jedoch nicht für eine höhere Ökosteuer. Offenbar ist diese Bezeichnung für die zusätzliche Mineralölsteuer unter den Deutschen längst diskreditiert.

So wurde gefragt, ob sich das Fahrverhalten änderte, falls sich der Benzinpreis verdoppelte. 40 Prozent der deutschen Autofahrer erklärten, daß sie ihr Verhalten nicht ändern würden. Unter den Türken sind es sogar 45 Prozent, die ein Spritpreis von rund zwei Euro pro Liter Benzin nicht einzuschüchtern scheint.

Bemerkenswert ist auch der Informationsfluß von Umweltbelangen. Türken informieren sich aus deutschen und türkischen Quellen, doch genießen deutsche Medien eine weitaus höhere Glaubwürdigkeit. Am unzuverlässigsten gelten Türken in Deutschland türkische Wochenzeitungen. Außerdem berichteten türkische Medien zu wenig über Umweltfragen, so die Ergebnisse der Befragung. Umweltbewußtes Verhalten der Türken in Deutschland wird zumeist durch deren Kinder initiiert, die eine deutsche Schule besuchen. Hier ist offensichtlich der Ansatzpunkt für eine Verbesserung des umweltgerechten Verhaltens von Gastarbeiterfamilien.

Weniger wissenschaftlich sind dagegen die Ergebnisse des zweiten Teils der Analyse. In 38 Gesprächen mit "Experten" wurden Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Deutschen und Türken besprochen. Dabei stellt sich die Frage, wer als Experte für das Umweltbewußtsein von Türken in Betracht kommt. So wurden insbesondere "Multiplikatoren in der türkischen Community" befragt, wie sich Gülay Kizilocak, die Leiterin des Projekts, auszudrücken pflegt. Im Ergebnis kommen diese übereinstimmend zum selben Ergebnis, das aber nicht offen ausgesprochen wird: Unterschiedliches Umweltverhalten ist durch divergierende Kultur und Herkunft begründet.

Ein Argument wird dabei wiederholt genannt. Geringere Sensibilität von Türken für die bedrohte Umwelt basiere auf Informationsdefiziten. Soziologische Phrasen wie "unterschiedliche Erfahrungshorizonte" oder "soziale Hintergründe" sollen als Erklärung dienen.

Dabei ist die Umschreibung "Uninformiertheit der Türken" eine euphemistische Umschreibung von Gedankenlosigkeit oder Naivität. Die Tagespresse jedenfalls nahm diesen Erklärungsansatz hinterher kritiklos auf. "Umweltbewußt, aber schlecht informiert" überschrieb die FAZ ihren Bericht über die Konferenz des ZFT.

Tatsache ist, daß das Umweltbewußtsein der Türken in Deutschland geringer ausgeprägt ist als unter den Deutschen. Doch von einzelnen Aspekten wie dem Verzicht auf Trennung des Hausmülls abgesehen, unterscheidet es sich nur geringfügig.

Als ein großer Unterschied wurde von einem Experten das Fehlen türkischer Ökoläden genannt. So können wohl nur Alt-68er argumentieren, die ausschließlich Produkte kaufen, deren Bezeichnung das Präfix "Bio" enthält. Schließlich gelten türkische Gemüseläden auch als "Ökoläden". Im übrigen ist es so, daß besonders unter älteren Türken ein sehr ausgeprägtes Umweltbewußtsein besteht. Jene, die aus ländlichen Regionen wie Anatolien eingewandert sind, haben natürlich einen anderen Hintergrund als Angehörige der "dritten Generation". Diese haben in der Tat ein anderes Konsumverhalten, so daß der soziale Hintergrund in dieser Hinsicht als stichhaltiges Argument angeführt werden kann.

Die Kernfrage nach der Vorstellung der Studie lautet aber, welchem Zweck derlei Untersuchungen dienen. Das ZFT ist schließlich keine kommerzielle Einrichtung, sondern es wird vom deutschen (und türkischen) Steuerzahler bezahlt. Der Vorsitzende ist Harald Schartau, der SPD-"Superminister" für Arbeit und Wirtschaft in NRW.

Mit mehreren hauptamtlich Beschäftigten führt das ZFT unterschiedliche Projekte durch. Die Vorstellung des Zwischenergebnisses der Studie "Umwelteinstellungen von türkischen Migranten in Deutschland" wurde in eine ganze Konferenz eingebettet. Für Journalisten und Interessierte wurde sogar ein Buffet aufgefahren. In Zeiten knapper Kassen wäre ein schonenderer Umgang mit den finanziellen Ressourcen wünschenswert.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen