© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002

 
CD: Klassik
Überirdisch
Julia Poser

Die Musik Beethovens hat Wilhelm Furtwängler sein ganzes Leben lang beschäftigt. Nicht nur als Dirigent bewies Furtwängler seine tiefe Liebe und Verehrung Beethoven gegenüber, wie sein 1918 entstandene Aufsatz "Anmerkungen zu Beethovens Musik" beweist. Furtwängler war der festen Überzeugung, daß der heutige Mensch, in ein chaotisches und materialistisches Weltbild verrannt, die Musik des stets um Form und Ordnung ringenden Komponisten dringend nötig habe.

Die Münchner CD-Firma Orfeo hat Mitschnitte von Aufführungen der Salzburger Festspiele herausgebracht, die Furtwängler von 1947 bis zu seinem frühen Tod 1954 entscheidend prägte. "Bewahrung des Unwiederholbaren" nennt daher Orfeo zu Recht zwei CDs aus den Jahren 1951 und 1954. Einmal befragt, warum er in seinen letzten Lebensjahren nur große Werke dirigiere, erklärte Furtwängler: "Ich fühle einfach die Verantwortung - die Menschen sollen wissen, wie die großen Symphonien der großen deutschen Komponisten klingen sollen." Simon Rattle, der Nachfolger Claudio Abbados bei den Berliner Philharmonikern bekannte schon 1976: "Für mich ist der größte musikalische Einfluß von allen Dirigenten der von Wilhelm Furtwängler", obwohl Rattle ihn nur von den Schallplatten her kannte.

In ihrem Buch "Über Wilhelm Furtwängler" berichtet Elisabeth Furtwängler über eine Fahrt zum Konzert, als ihr Mann glücklich zu ihr sagte: "Du, ich freu mich, die Achte!" Die CD mit der Achten (Orfeo C 293 921 B) ist das letzte Dokument von den Salzburger Festspielen aus dem Todesjahr des großen Dirigenten. Die Symphonie Nr. 8 in F-Dur entstand zwischen 1809 und 1812, als bei Beethoven erste Anzeichen seiner Taubheit auftraten. Trotzdem ist die Achte ein Werk von abgeklärter Heiterkeit. Furtwängler lag sie besonders am Herzen. Jedes einzelne musikalische Motiv arbeitet der Dirigent plastisch heraus und läßt das Finale - Allegro vivace - beinahe aggressiv dahinstürmen. Etwa aus der gleichen Zeit wie die Achte ist die Symphonie Nr. 7 in A-Dur, die Furtwängler in breit angelegten Tempi, starker, rhythmischer Bewegung und dramatisch lang ausgedehnten Generalpausen anlegt. Im Finalsatz - Allegro con brio - drängt Furtwängler die Wiener Philharmoniker feurig einem strahlenden Gipfel entgegen.

In den letzten acht Jahren seines Lebens hat Furtwängler 36 Mal die Symphonie Nr. 9 in D-Moll, "Die Neunte", dirigiert. Als krönenden Höhepunkt der Salzburger Festspiele 1951 hat Orfeo jetzt die Neunte herausgebracht (C 533 001 B). Schon seit 1793 trug sich Beethoven mit der Idee, Schillers Ode "An die Freude" zu vertonen. Selbst als 1823 die Neunte bis auf den Schlußsatz gediehen war, zweifelte Beethoven, ob er die Symphonie mit einem Satz für Chor und Soli beenden sollte. Erst aus der Erkenntnis heraus, daß kein Orchester Schillers hymnische Worte auszudrücken vermag, fügte er die menschlichen Stimmen hinzu. In dem Essay "Die Weltgültigkeit Beethovens" (1942) schreibt Furtwängler: "Die schönsten Beet-hoven'schen Momente zeugen von einer Unschuld, einer kindhaften Reinheit, die trotz allem Menschlichen, das ihnen anhaftet, etwas wahrhaft Überirdisches hat. Niemals hat ein Musiker von der Harmonie der Sphären, dem Zusammenklang der Gottesnatur mehr gewußt und mehr erlebt als Beethoven." Furtwängler legt die ganze Dramatik und den tiefen Ernst des grandiosen Werkes in diese Live-Aufnahme, deren 1. Satz ein wahrhaft großartiges Gedankengemälde wurde.

Zur Weihnachtszeit oder zum neuen Jahr mit seinen Unsicherheiten, was könnte da tröstlicher sein als die Worte: "O Freunde, nicht diese Töne, sondern lasset uns angenehmere anstimmen und freudenvollere!"


 
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