© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/02 29. November 2002

 
Dauerhafter Ruhm
Literatur: Zum 200. Geburtstag von Wilhelm Hauff
Werner Olles

Unter dem Pseudonym H. Clauren, dessen sich der preußische Hofrat Karl Heun als erfolgreicher Unterhaltungsschriftsteller zu bedienen pflegte, erschien im August 1825 im Stuttgarter Verlag Friedrich Franckh ein satirischer Roman mit dem vieldeutigen Titel "Der Mann im Mond oder der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme". Bei dem von dem Plagiierten angestrengten Prozeß wurde der Verleger zu einem Bußgeld von fünfzig Reichsmark verurteilt. Für den jungen Imitator, der bis dahin nur einige wenige Kriegs- und Volkslieder herausgegeben hatte, bedeutete der Skandal hingegen den Beginn einer großen Karriere, zumal er sich nun auch als Verfasser der kurz zuvor erschienenen und von der Kritik in höchsten Tönen gelobten Parodie "Die Mitteilungen aus den Memoiren des Satans" bekannte. Wilhelm Hauff, so lautete der Name des jungen Dichters, avancierte nun rasch zum Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften und belletristischer Verlage.

Der am 29. November in Stuttgart geborene Wilhelm Hauff stammte aus einer alteingesessenen, gutbürgerlichen Familie. Als er gerade sieben Jahre alt war, starb sein Vater, ein Jurist im Staatsdienst, der wegen seiner republikanischen Einstellung von einem Kollegen denunziert wurde und zeitweilig im Gefängnis saß. Bis 1917 besuchte Hauff die Lateinschule. Aus dem Seminar Blaubeuren wurde er 1920 auf Antrag seiner Mutter ein Jahr früher als gewöhnlich zum Studium der evangelischen Theologie, mit den Nebenfächern Philologie und Philosophie, nach Tübingen entlassen. Hier schloß er sich einer Nachfolgeverbindung der aufgrund der "Karlsbader Beschlüsse" zwei Jahre zuvor verbotenen und aufgelösten Burschenschaft "Germania" an, deren Eintreten für nationale und republikanische Freiheitsrechte er leidenschaftlich unterstützte.

Nach seiner Abschlußprüfung im Spätsommer des Jahres 1824 nahm Hauff zunächst für fast zwei Jahre eine Stelle als Hauslehrer der Kinder des württembergischen Kriegsratspräsidenten an. In dieser Zeit entstanden die Novelle "Othello" und der dreibändige historische Roman "Lichtenstein", eine "romantische Sage aus der württembergischen Geschichte", so der Untertitel. Im Gefolge der historischen Romane Walter Scotts war jetzt auch Hauff ein überwältigender Erfolg beschieden. Seine Novellen "Die Sängerin", "Die Bettlerin am Pont des Arts" und die humoristischen "Phantasien im Bremer Ratskeller", die an E.T.A. Hoffmann und Ludwig Tieck anknüpften, entfalteten jenseits aller literarischen "Schulen" einen neuen Erzählgestus, der auch eher bildungsferne Schichten zu fesseln verstand.

Zu wirklich dauerhaftem Ruhm verhalfen ihm jedoch zu Recht die drei zyklischen Märchenalmanache "Die Karawane", "Der Scheik von Allessandria und seine Sklaven" und vor allem die Rahmenerzählung "Das Wirtshaus im Spessart" mit dem herausragenden Stück "Das kalte Herz". Über Hauffs unsterblich gewordene Märchen, "Zwerg Nase", Der kleine Muck", Kalif Storch" und "Said Schicksale", die er nach dem Vorbild Chaucers und Boccaccios als eigenständige Erzählungen in den 1827 /28 erschienenen Almanachen sammelte, urteilte Robert Walser, daß sie "zum Schönsten und Kostbarsten" gehören, "was in deutscher Sprache jemals gedichtet wurde". In der Tat bewies der Dichter der schwäbischen Romantik, der sich nach anfänglichen lyrischen Gehversuchen der Prosa zuwandte, ein sicheres Gespür für den Publikumsgeschmack seiner Zeit. Doch seine ziemlich hektische Produktivität diente nur zum Teil der wirtschaftlichen und sozialen Absicherung seiner Familie. Hauff hatte durchaus den hohen Anspruch zeitgemäßer literarischer Innovation, was auch seine Übernahme der belletristischen Redaktion von Friedrich Johann Cottas "Morgenblatt für gebildete Stände" im Januar 1927 bewies.

In dieser Zeit entstanden die Novellen "Das Bild des Kaisers" und "Jud Süß". Besonders letztere sollte später einmal große Diskussionen in Deutschland hervorrufen, weil sie dem nationalsozialistischen Regime als Vorlage für Veit Harlans 1940 gedrehten gleichnamigen antisemitischen Film diente. Vom Zynismus und der Skrupellosigkeit der dämonischen Figuren in Harlans Film ist jedoch in Hauffs Erzählung, deren Personen aus ihrem ureigensten Lebensgesetz denken, handeln und sprechen, nichts zu spüren.

Kurz vor seinem 25. Geburtstag und wenige Tage nach der Geburt seines ersten Kindes ereilte Hauff am 18. November 1927 der frühe Tod. "Ich fühle Kraft und Beruf in mir, Gutes, vielleicht, wenn ich reif genug sein werde, sogar Schönes und Erhabenes zu schaffen; daß dies jetzt noch nicht ist, weiß ich selbst", hatte er ein Jahr zuvor noch einem Freund anvertraut. Doch es blieb ihm keine Zeit mehr, seine Pläne zu realisieren. Dennoch gehört Wilhelm Hauff mit seinem Gesamtwerk zu den wenigen unsterblichen populären Klassikern der deutschen Literatur.


 
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