© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
Selbstverschuldete Härtefälle
Bremen: Auf der Innenministerkonferenz am 5. und 6. Dezember wird über das Schicksal von 230.000 abgelehnten Asylanten entschieden
Peter Freitag

Am 5. und 6. Dezember tritt in Bremen die Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) zu ihrer regelmäßigen Herbstkonferenz zusammen. Neben den Chefs und Staatssekretären der Innenressorts tagen insgesamt 150 Fachleute aus allen 16 Bundesländern unter dem Vorsitz des Bremer Senators für Inneres, Kultur und Sport, Kuno Böse (CDU). Als Gast nimmt außerdem Bundesinnenminister Otto Schily mit einer Delegation an der Tagung teil.

Auf der Tagesordnung steht ein thematischer Flickenteppich von Beratungen über die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus, zur Rückführung von Ausländern, zur Einführung eines digitalen Funksystems für die Polizei, Verbesserung der polizeilichen Arbeit in Europa, Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung von EU-Bürgern, Aussteigerprogramme gegen Rechtsextremismus, Schutz vor Sexualstraftätern sowie zu Problemen des Zivil- und Katastrophenschutzes. Am Donnerstag beraten die Delegationen vormittags zunächst getrennt zwischen sogenannten A- und B-Ländern, also jeweils die SPD- oder CDU-geführten Innenressorts für sich, für Freitag ist eine Plenarsitzung anberaumt. Die Kontroversen zwischen A- und B-Ländern sind vorhersehbar: In erster Linie werden die unterschiedlichen Standpunkte beim Thema Abschiebungen zum Vorschein kommen. Konkret geht es zunächst um etwa 33.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Kosovo, deren Duldung im nächsten Frühjahr (31. März 2003) ausläuft.

Es handelt sich bei ihnen hauptsächlich um Zigeuner aus den Stämmen der Roma, Sinti und Aschkali, denen im Gegensatz zu den Kosovo-Albanern auf der IMK-Tagung im November 2000 eine längere Duldung in Deutschland gewährt wurde, da sie unter den Albanern eine ihrerseits häufigen Anfeindungen ausgesetzte Minderheit darstellen. Doch nach Meinung des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz könne es auch für diese Menschen kein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland geben: "Eine freiwillige Rückkehr in ihre Heimat steht für uns im Vordergrund. Eine zwangsweise Rückführung kommt wegen der in den einzelnen Landesteilen sehr unterschiedlichen Situation nur mit Augenmaß in Betracht", so Böse in einer Pressemitteilung. Der Bremer Innensenator hatte sich zuvor selbst vor Ort über die Lage informiert und festgestellt, daß die Sicherheitslage eine Rückkehr grundsätzlich zulasse. Die Zivilverwaltung der Vereinten Nationen (Unmik) habe zwar Bedenken geäußert wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation, allerdings dürfe dies nicht als Argument gegen eine Rückführung gelten.

SPD und Grüne plädieren dagegen für eine verstärkte Anwendung von sogenannten "Härtefallregelungen", die einen Aufenthalt auch dann gestatten, wenn kein Asylgrund mehr vorliegt. Zu solchen Härtefällen mit Anspruch auf ein dauerhaftes Bleiberecht sollen Familien mit Kindern zählen, die sich bereits drei Jahre in Deutschland aufhalten oder Minderjährige, die zwei Jahre hier leben. Laut Bundesregierung sollen alle aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Zigeuner ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen, die seit dem 1. Juli 1996 in Deutschland leben und mindestens ein Kind haben, das seit mindestens zwei Jahren einen Kindergarten oder eine Schule besucht.

Dagegen regt sich Widerstand aus der Union, den die saarländische Innenministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vor zwei Wochen in aller Deutlichkeit artikulierte: Die Zahl solcher Härtefälle, die dann ein dauerhaftes Bleiberecht beanspruchen könnten, liege bei rund 200.000 abgelehnten Asylbewerbern, da nach Schätzung von Unterstützergruppen wie "Pro Asyl" etwa 230.000 Menschen lediglich auf der Grundlage einer Duldung in Deutschland lebten.

Setzten sich die Ansprüche der Unterstützer durch, "verliert der Staat die Möglichkeit, den Aufenthalt eines Asylbewerbers zu beenden, der gar nicht verfolgt wurde, also keinen Asylgrund hat", beklagte die Ministerin gegenüber der Welt am Sonntag. Bei anstehenden Abschiebungen werde zudem ein ungeheurer Druck auf die Behörden von Seiten der Unterstützergruppen, Gewerkschaften und Kirchen ausgeübt, so Kramp-Karrenberger. Auch durch ein von einschlägig engagierten Rechtsanwälten mit Hilfe der Medien erzeugtes Betroffenheitsklima entstehe der Eindruck, der Staat könne dem Recht keine Geltung mehr verschaffen, kritisierte die Ministerin. "Bürger trauen sich nicht mehr offen zu artikulieren, daß sie eine Abschiebung abgelehnter Asylbewerber befürworten "aus Furcht vor verbreiteter political correctness", so Kramp-Karrenberger.

Den Zorn der Ministerin ruft insbesondere die gängige Praxis von abgelehnten Asylbewerbern hervor, durch eigenes Zutun zum Härtefall zu werden, indem nach gerichtlich verfügter Ablehnung der Aufenthalt illegal verlängert werde; dann werde das Argument gebracht, man lebe schon zu lange in Deutschland, die Kinder seien hier geboren und in der Heimat der Eltern nicht mehr zu integrieren. Zu Demonstrationen während der IMK-Tagung riefen zahlreiche Gruppierungen auf, die sich gegen "die herrschende Ordnung", insbesondere gegen die anstehenden Abschiebungen, gegen "rassistische Sonderbehandlungen "sowie gegen "die immer breitere Videoüberwachung" Gehör verschaffen wollen.


 
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