© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/02 06. Dezember 2002

 
Protestpolitiker in der Regierung
Italien: Bossis Lega Nord will die Dezentralisierung des Landes voranbringen / Widerstand von Rechts und Links
Christian Roth

Als Umberto Bossi, Führer der Lega Nord vor gut sechs Jahren eine Ampulle mit "heiligem Wasser" aus dem oberitalienischen Fluß Po füllte und die unabhängige Republik Padanien ausrief, wurde er auch von der Konkurrenz bestenfalls als Folklorist und Paradiesvogel belächelt. Mittlerweile hat es der Populist zum Reformminister der Regierung Berlusconi gebracht und seine Ideen stehen auf der Tagesordnung der italienischen Politik.

"Devolution" heißt das Zauberwort, mit dem der 60jährige die Opposition in Aufruhr versetzt und dem eigenen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi Kopfzerbrechen bereitet. Ende November marschierten Hunderttausende durch Rom, um gegen die Reformvorhaben der Mitte-Rechts-Regierung zu protestieren. Unter dem Druck von Bossi will das Kabinett beim Umbau der staatlichen Verwaltung ein rascheres Tempo anschlagen. Der Reformminister und Lega-Chef ist gewillt, seine wichtigste programmatische Forderung nach mehr Föderalismus mit aller Macht umzusetzen.

Doch die Debatte um eine stärkere Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips ist in Italien ebenso alt wie emotional. "Wer unserem Vorhaben widerspricht, macht sich über die Menschen des Nordens lustig. Er verhöhnt ihre Gefühle", tobte Bossi, als Ex-Ministerpräsident Massimo d'Alema (ein früherer Kommunist) in der vergangenen Woche von "Utopien, Hirngespinsten und Selbstmordgelüsten" sprach.

Die Mitte-Links-Regierung hatte kurz vor dem Ende der vergangenen Legislaturperiode noch ein Föderalismusgesetz verabschiedet, wonach die Kompetenzen im Staat stark zugunsten der Regionen, Provinzen und Gemeinden neu verteilt werden sollen. Entsprechende Ausführungsbestimmungen warten freilich immer noch auf ihre Umsetzung.

So warnt der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Cesare Ruperto, davor, um jeden Preise eine Devolutionsvorlage durchzusetzen. Doch Bossi macht ernst. Bereits in einigen Wochen will der Reformminister eine entsprechende Vorlage zur Abstimmung bringen. Seine Pläne sind weitreichend. Von allen Parteien ist die Lega Nord jene, die bei der Forderung nach der Delegierung von Kompetenzen vom Zentrum an die Peripherie am weitesten geht. So fordert Bossi beispielsweise, daß Schule und Erziehung, Gesundheit und Spitalwesen sowie öffentliche Sicherheit ausschließlich Sache der Regionen sein sollen. Das Gesetz der Vorgängerregierung sieht auf diesen Gebieten eine Kompetenzteilung vor. Die Opposition will deshalb eine wahrscheinliche Abstimmungsniederlage im Parlament nicht akzeptieren und hat bereits angekündigt, das Gesetz mittels eines Referendums zu Fall zu bringen.

"Wenn dies geschieht, wird die Existenz der beiden Abgeordneten-Kammern ad absurdum geführt", gibt sich Bossi dennoch siegessicher. Denn der Minister weiß seine beiden wichtigsten Verbündeten, die bürgerlich-liberale Forza Italia Berlusconis und die rechtsnationale Alleanza Nazionale (AN) von Gianfranco Fini, auch in dieser heiklen Frage hinter sich. Dabei hält sich gerade Finis Sympathie für die Lega-Pläne stark in Grenzen. Die 1995 aus der neofaschistischen Sozialbewegung MSI hervorgegangene AN ist traditionell zentralistisch orientiert.

Nicht viel anders liest sich Berlusconis Parteiprogramm. Wenn beide sich nun die Positionen Bossis zu eigen machen, tun sie dies auch, um den Reformminister und seine Anhänger bei Laune zu halten. Der Lega-Chef hatte unlängst zum wiederholten Male damit gedroht, er werde der Regierung ein Ende bereiten, wenn seine Devolutions-Pläne nicht endlich vorangetrieben würden. Ähnlich erfolgreich hatte sich Bossi schon im Sommer während des Kommunalwahlkampfes mit seiner Forderung nach schärferen Einwanderungsbestimmungen in Szene gesetzt.

Beim anschließenden Urnengang legte die Lega deutlich zu - vor allem auf Kosten der "größeren" Koalitionspartner. Derart gestärkt geht Bossi auf Konfrontationskurs zu seinen Kabinettskollegen. "Rechenschaft bin ich den Menschen im Norden schuldig und niemandem sonst", sagte er in der vergangenen Woche, als sich aus den Reihen der AN erster Widerspruch regte. Dabei sind die Lega-Argumente durchaus schlüssig. "Die USA haben mehr als 50 Bundesstaaten, die weitgehend autonom sind. Trotzdem spaltet sich niemand ab, trotzdem funktioniert der Staat als Ganzes. Die Leute, die heute Theater machen, stehen in der Tradition derer, die schon in den sechziger Jahren gegen die Schaffung der Regionen waren."

Der bis vor kurzem weitgehend kopflosen Opposition spielen die regierungsinternen Debatten in die Hände. "Berlusconi und Fini machen alles, was Bossi will. Sie haben riesige Angst, ihre Macht zu verlieren", glaubt der ehemalige Senatspräsident Nicola Mancino (vom linken Ulivo-Bündnis), der Bossi vorwirft, aus "rassistischen Motiven einen Quasi-Staat Padanien errichten zu wollen." Diese Äußerung zeigt den tiefen Riß auf, der immer noch durch Italien geht. Nicht wenige Einwohner des wirtschaftlich starken Nordens schimpfen gegen "Rom", weil Ihrer Ansicht nach viel zu viele Subventionen in den armen und "mafiadurchsetzten" Süden fließen und dort ergebnislos versickern.

Bossis "rechtspopulistische" Lega Nord ist Sprachrohr dieser Unzufriedenen. Diesen Part spielt die Partei mit wachsendem Erfolg. In den jüngsten Meinungsumfragen kann die Lega, die bei den letzten Parlamentswahlen im Mai 2001 auch in Norditalien unter zehn Prozent rutschte, weiter zulegen. Probleme hat vor allem AN-Chef Gianfranco Fini. Der 50jährige Vizepremier darf zwar neuerdings nach Israel reisen und gilt in der EU (als Mitglied des EU-Reformkonvents) mittlerweile als demokratisch legitimierter und angesehener Gesprächspartner. Doch die eigene, vor allem im Süden beheimatete Wählerbasis, nimmt die koalitionsbedingten Kompromisse mit zunehmendem Unbehagen zur Kenntnis. Finis AN hätte laut Demoskopen mit deutlichen Einbußen zu rechnen. "Umberto Bossi macht es vor. Er spielt das Spiel viel besser als Haider in Österreich. Er bringt es fertig, selbst in der Regierung noch den Protestpolitiker zu spielen, und erntet damit in der Bevölkerung Zustimmung", mußte der linksgerichtete Politikwissenschaftler Stefano Grazioli kürzlich eingestehen.

Bossis Drohung, er werde die Lega-Minister aus der Regierung abziehen, sollte die Verfassungsänderung nicht bis zum 9. Dezember den Senat passieren, ist ernst zu nehmen. Berlusconi braucht die Lega-Stimmen bei anderen Gesetzesvorhaben in der zweiten Parlamentskammer. Ansonsten drohen eine veritable Regierungskrise und möglicherweise Neuwahlen. 1996 brachte das Ausscheren der Lega aus dem ersten Berlusconi-Kabinett das linke Ulivo-Bündnis für fünf Jahre an die Macht.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen