© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/02 13. Dezember 2002

 
Alles nicht so ernst gemeint
Anti-Schröder-Aktionen: Immer mehr bürgerliche Protest-Initiativen gegen die rot-grüne Bundesregierung entstehen vor allem im Internet
Manuel Ochsenreiter

An allen Ecken und Enden brodelt es zur Zeit in Deutschland. Fast scheint es, als sei eine Art politisches Oxymoron auferstanden, der sogenannte "bürgerliche Protest". Der bürgerliche Barrikadensturm findet jedoch weitestgehend virtuell im Internet statt. Dies kommt der ohnehin nicht straßenkämpferisch aktiven Gruppe der "Bürgerlichen" sehr entgegen.

Einer der spektakulärsten Protestler der vergangenen zwei Wochen war der "Hemdenverschicker". Über eine Ketten-EPost, die in rasender Geschwindigkeit populär wurde, wurden die Empfänger aufgefordert, ihr buchstäblich "allerletztes Hemd" an den Kanzler zu schicken. Schließlich würde es mit den ständig steigenden Steuern und Abgaben ohnehin darauf hinauslaufen. Und so kam es, daß ab dem 21. November zuerst einige wenige Hemden kamen, bis es schließlich Tausende waren, die täglich im Bundeskanzleramt in Empfang genommen wurden.

Politische Brisanz bekam diese Aktion erst, als die bis dahin scheinbar ungeklärte Urheberfrage von Spiegel-Online herbeigeschrieben wurde. Neben dem angeblichen "Erfinder" Christian Stein aus Schwerte wurde auch von der Jungen Union Hessen und von den "Jungen Konservativen" die E-Post verbreitet. Pflichtschuldigst distanzierte sich Stein, der abwechslungsweise Immobilienfachmann, Computerfachmann oder auch mal Webdesigner ist, von den "Jungen Konservativen". Jörg Krause von den "Jungen Konservativen" weiß nichts von einem Urheberstreit. "Wir haben nie behauptet, Urheber dieser Aktion zu sein", so Krause gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Die überparteiliche Gruppe fand lediglich die Idee des Hemdenverschickers so originell, daß auch sie dafür warb. Jörg Krause sieht darin kein Problem, von einer "vehementen Distanzierung" seitens Christian Stein habe er bislang wenig bemerkt.

Das Medium Internet als bürgerliche Protestplattform

Im Gegenteil, Krause sieht in den verschiedenen "Zielgruppen" der unteschiedlichen Verteiler von Christian Stein, der JU Hessen sowie den "Jungen Konservativen" sogar eine Bereicherung der Aktion. "Vielleicht haben wir Leute erreicht, die die bislang noch keine Hemden verschickt haben, dann hat es sich doch schon gelohnt."

Auch für die JU-Hessen existiert kein Urheberproblem. Ihr Landesgeschäftsführer Peter Tauber sieht die Situation völlig entspannt, Stein und die JU Hessen seien eben gleichzeitig auf die Idee gekommen: "Zwei Dumme, ein Gedanke", so Tauber entspannt gegenüber der JF. Für ihn zählt sowieso das "Neuartige" dieser Form des Bürgerprotests. Vor allem das Internet mache dies erst möglich. Es sei eben weit weniger aufwendig, ein Hemd zur Post zu bringen, als stundenlang auf der Straße zu demonstrieren. Indirekt gibt ihm das Kanzleramt bei dieser Einschätzung sogar recht. Viele der eingeschickten Hemden seien originalverpackt und ungebraucht - so erspart man sich darüberhinaus noch das Verpacken und Bügeln.

Für JU-Mann Tauber ist die Aktion allerdings auch parteipolitisch interessant. Durch kreativen Anti-Schröder-Protest werde es einfacher, "neue Leute" zu erreichen und für die Unions-Arbeit zu gewinnen. Sie sollten zum "Weiterklicken" angeregt werden.

Ein weiterer Exponent des Anti-Schröder-Protests ist der Unterhaltungskünstler und Stimmenimitator Elmar Brandt. Mit seinem "Steuersong", zu einer Ohrwurm-Melodie der Gruppe "Las Ketchup", trifft er den Nerv der Bürger - einige wollen ihn sogar beim Grand Prix de la Chanson als deutscher Vertreter sehen. Damit könnte er erstmals Stefan Raabs Gaga-Traditionslinie mit dem politischen Auftrag einer Nicole ("Ein bißchen Friede...") vereinen - allerdings natürlich mit einem neuen Lied.

Karl Heinz Däke, der Präsident des Bundes der Steuerzahler (BdSt), will Brandt deshalb auch als Ehrenmitglied seines Verbandes werben. Sicherheitshalber textete Däke allerdings gleich sein eigenes "Barrikadenlied" - auf die Melodie der "Internationalen". Darin heißt es unter anderem an die Adresse des Kanzlers gerichtet:

 

Willst Du keine Randale,

laß´ uns endlich in Ruh.

Senk´ die Steuern und bezahle

uns´re Schulden Zug um Zug.

 

Wir gehen auf die Barrikaden,

halten jedem Angriff statt.

Uns reicht's. Die Steuerqualen,

die haben wir jetzt satt.

 

Du schaffst es nicht,

uns kleinzukriegen,

denn Du brauchst uns allzu sehr.

Wir werden Dich besiegen,

als eine Burg und eine Wehr.

 

Ob und wann das Lied auf CD erhältlich sein wird, konnte die Pressestelle des Steuerzahlerbundes noch nicht sagen, es gebe aber jede Menge Anfragen nach dem "Barrikadenlied" des Präsidenten.

Dem können die Initiatoren der Internetpräsenz www.steuerstreik.de  nur wenig abgewinnen. Sie fordern, die Unternehmer sollten ihre "Zahlungen an die Finanzämter verzögern", um damit "Druck auf die Regierung" auszuüben. Zahlreiche kleine, oftmals private Anti-Schröder-Initiativen schießen momentan wie Pilze aus dem Boden. Längst haben sie an Witz und Kreativität jene, meist aus dem äußersten linken Lager stammenden Anti-Stoiber-Kampagnen der Bundestagswahlen überflügelt.

Auf der Internetseite www.konsum-verzicht.com  wird beispielsweise der totale Verzicht auf den Kauf von Konsumgüter empfohlen. Dadurch gingen der rot-grünen Regierung Einnahmen aus der Umsatzsteuer verloren, wodurch diese - so die Theorie der Inititiatoren - handlungsunfähig würde. Ein Weg, die Regierung sturmreif zu sparen.

Auch die "Initiative Eigenverantwortung" ( www.initiative-eigenver-antwortung.de ) fordert in diesem Zusammenhang den eigentlich von der politischen Linken okkupierten Begriff "Zivilcourage" gegen Rot-Grün.

Ein "Bürger Impeachment Tribunal" fordern die Macher der Seite www.12-uhr-mittag.de . Mit öffentlichkeitswirksamen Samstagsdemonstrationen wollen sie "die Administration Fischer/Schröder" zum Rücktritt bewegen. "Die Mehrheit will auf keinen Fall die Rückkehr der DDR durch die Hintertür der Lüge", läßt das "Organisationskomitee gegen die Schamlosigkeit in Deutschland" via Homepage verlautbaren und lädt "alle aufrechten Bürger, denen eine freiheitliche Demokratie Herzenssache ist, zum 4. Spaziergang vor dem Kanzleramt ein". Dieser findet am 14. Dezember statt.

Björn Kreutzner aus Bad Lausnick entdeckte ebenfalls die Zielgruppe des neuen protestierenden Bürgertums. Unter www.kanzler-aufkleber.de  verhökert der geschäftige Kreutzner unter anderem elf mal elf Zentimeter große "Stoppt Schröder"-Aufkleber in wohlbekannter "Stoppt Strauß"-Qualität. "Lassen Sie uns gemeinsam etwas bekleben", ruft er die "lieben Landsleute" auf seiner Verkaufsseite auf.

Selbst Baring relativiert seine eigenen Aussagen

Seitens der Regierungskoalition scheint jede Art der kreativen Gegenwehr zusammengebrochen. Medienkanzler Schröder äußert sich spärlich zu den Protesten, er läßt lieber das Fußvolk oder seine Frau aufmarschieren.

So beklagt sich der SPD-Kreisvorsitzende von Neuburg an der Donau, Michael Kettner, zurecht über neuerdings in seinem Ort aufgetauchte "Tötet Schröder"-Graffiti - ganz in der Tradition der "Tötet Helmut Kohl"-Kampagne Christoph Schlingensiefs, welche unter dem schwammigen Begriff der Kunstfreiheit von manchen Linken zynisch toleriert wurde. Doch bei Schröder sieht die Lage anders aus. Kettner wittert gar eine Art Majestätsbeleidigung. "Die Versuche, den Kanzler lächerlich zu machen, schlagen sich in derlei Parolen nieder. Man muß befürchten, daß irgendwann Taten folgen", so Kettlers Versuch, die Anti-Schröder-Proteste als Gewaltaufrufe zu diskreditieren.

Fraglich bleibt allerdings neben der Ernsthaftigkeit und dem Willen zum Wechsel die Wirkung der Anti-Schröder-Initiativen. Selbst Arnulf Baring, durch seinen FAZ-Revolutionsaufruf zum Superstar der bürgerlichen Protestierer geworden, relativiert im Gespräch mit Journalisten der Wirtschaftswoche seine eigenen Aussagen. Das mit den Barrikaden und der Steuerverweigerung sei "nur metaphorisch" gemeint gewesen. Nein, keine "bürgerliche Apo" sei geplant, lediglich eine "Mobilisierung in den Köpfen." Gleichzeitig lamentiert er über die "Diskreditierung der bürgerlichen Tugenden durch die Achtundsechziger".

Auch Christian Steins Hemdenaktion hat schon lange ihren Protestcharakter eingebüßt. Auf seiner Internetseite sammeln sich mittlerweile Werbekunden wie beispielsweise eine Lotterie, und das Bundeskanzleramt überläßt die eingesandten Hemden medienfreundlich einer Zweite-Hand-Kleidungsfirma, welche diese wiederrum günstig verkaufen möchte. Christian Stein, der inzwischen ein eigenes kleines Team für seine Hemdenaktion beschäftigt, möchte demnächst "Promi-Hemden" für einen guten Zweck versteigern. Das war's dann wohl wieder mit dem Protest.


 
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