© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/02 13. Dezember 2002

 
WIRTSCHAFT
Zinshilfe für marode Regierungen
Bernd-Thomas Ramb

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat - wie seit längerer Zeit erwartet - den Leitzins für die Kreditaufnahme innerhalb der Euro-Länder gesenkt. Das Ausmaß der Zinssenkung lag dagegen eher unerwartet hoch bei 0,5 Prozentpunkten. Damit reduziert sich der Spitzensatz für die Kreditaufnahme von Großschuldnern ("Spitzenrefinanzierungsfazilität") von 4,25 auf 3,75 Prozent. Die Zinsbelastung fällt somit bei Neuschulden und umgewandelten Altschulden um fast zwölf Prozent. Folgerichtig ist die Freude über das Nikolausgeschenk der EZB gerade bei den hochverschuldeten Finanzministern groß. Für die Bundesregierung dürfte die mittelfristige Zinsentlastung eine Größenordnung von fünf bis sechs Milliarden Euro jährlich erreichen.

Der Verdacht liegt nahe, daß die EZB bei ihrer Zinssenkung dem zunehmenden Druck der Politiker nachgegeben hat. Wirtschaftliche oder stabilitätspolitische Gründe können jedenfalls kaum den Ausschlag gegeben haben. Bei einer Inflationsrate von gut zwei Prozent liegt der Euro an der oberen Grenze der von den Euro-Wächtern festgelegten Erträglichkeit. Die jetzige Zinssenkung wird daher auf jeden Fall die Inflation kräftig anheizen. Aber auch die Wachstumseffekte, die sich einige mit der Zinssenkung versprechen, stehen auf tönernen Füßen. Die Erfahrungen in den USA und vor allem in Japan beweisen, daß eine bloße Zinssenkung die Wirtschaft nicht auf den Wachstumspfad zwingen kann. Allenfalls verschafft sie hochverschuldeten Betrieben eine Atempause bei der Bedienung der Schuldzinslast. Mit der Zinshilfe der EZB werden infolgedessen marode Firmen, die wegen ihrer erwiesenen Ineffizienz eigentlich vom Markt verschwinden müßten, künstlich am Leben erhalten. Genauso wie die maroden Regierungen.


 
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