© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/02 13. Dezember 2002

 
Wörterseen
Zum 65. Geburtstag von Robert Gernhardt
Werner Olles

In Eckhard Henscheids 1972 erschienenem historischen Roman "Die Vollidioten" berichtet der Erzähler: "Herr Gernhardt ist ein reifer Mann, der in unserer Stadt gewissen unterschiedlichen Tätigkeiten nachgeht, und er besitzt auch eine niedliche kleine Frau, hält diese aber geschickt aus dem Rennen, das ist zwar unsportlich, aber sicherlich klug von ihm. Herr Gernhardt gilt überhaupt als der vielleicht klügste von uns."

Und in der Tat gehören die Nonsensverse, komischen Figuren, parodistischen Travestien, satirischen Gedichtsammlungen und legendären Bildgeschichten Robert Gernhardts längst zum flüssigen Wortschatz und literarischen Kanon mehrerer Generationen der Deutschen.

Am 13. Dezember 1937 im baltischen Reval, dem heutigen Tallinn, als Sohn eines Richters, der kurz vor Kriegsende fiel, geboren, verschlug die Vertreibung die Familie nach Göttingen. Gernhardt studierte bildende Kunst und deutsche Philologie und trug sich lange mit dem Gedanken, Tiermaler zu werden. Doch trat er am 1. April 1964 in die Redaktion des in Frankfurt am Main ansässigen Satire-Magazins Pardon ein. Hier stieß er beim nächtlichen Stöbern und Blättern in längst vergessenen Verlagskorrespondenzen auf einen Brief von Loriot, in dem dieser sich darüber beklagte, daß man neben seine Zeichnungen schlechte und bemüht komische Texte von "unerträglicher, hemdsärmeliger Fröhlichkeit" gestellt habe. Loriots Stil- und Qualitätsansprüche beeindruckten den Jungredakteur Gernhardt außerordentlich und trugen maßgeblich zum zukünftigen überindividuellen Stil seines komiktheoretischen Werkes bei.

Gernhardts Schreib- und Zeichenstil ist bis heute geprägt durch die ständige Zusammenarbeit mit den Pardon- und (seit 1979) Titanic-Autoren F.W.Bernstein, F.K. Wächter, Eckhard Henscheid, Bernd Eilert, Hans Traxler, Chlodwig Poth und Peter Knorr, die ihre Kooperation in nicht nur ironischer Anspielung an die Kritische Theorie der Frankfurter Schule auch als "Neue Frankfurter Schule" bezeichneten. 1976 erschien nach elf Jahren die letzte Ausgabe der legendären Pardon-Doppelseite "Welt im Spiegel", in der nicht nur das knuffige, wenngleich ein wenig naive Nilpferdchen Schnuffi 136mal sein Unwesen getrieben hatte, sondern der alltägliche politische und journalistische Stumpfsinn derart lustvoll-komisch auf die Schippe genommen wurde, daß es nur so krachte.

Ein Jahr später legte Gernhardt mit "Die Blusen des Böhmen" eine weitere komische Begegnung der dritten Art vor, die heute neben dem biographischen Sammelband "Die Wahrheit über Arnold Hau" und dem Gedichtband "Besternte Ernte", der unter anderem die inzwischen berühmten "Animalerotica"-Verse enthält, zu den Hauptwerken der Klassiker der "Neuen Frankfurter Schule" zählt.

Interessierte Aufnahme beim Publikum fanden die Gedichtsammlungen "Wörtersee" (1981), Körper in Cafés" (1987), "Reim und Zeit" (1990), aber auch die Romane "Kippfigur" (1986), "Es gibt kein richtiges Leben im valschen" (1987) und "Lug und Trug" (1991). Nicht zuletzt ist Gernhardt Mitverfasser von fünf verfilmten Drehbüchern, von denen die vier "Otto"-Filme zu wahren Kassenschlagern wurden. Weniger bekannt ist hingegen, daß er auch als preisgekrönter Kinderbuchautor reüssierte. Gemeinsam mit seiner Frau, der Malerin und Illustratorin Almut Gernhardt, hat er die Kinderbücher "Mit dir sind wir vier" (1976) und "Der Weg durch die Wand" (1983) publiziert.

Ein kleines Gedicht aus "Wörtersee" - es stammt aus dem Zyklus "Ich selbst" und trägt den Titel "Selbstfindung" - soll hier zum Schluß stehen: "Ich weiß nicht, was ich bin. / Ich schreibe das gleich hin. / Da hab'n wir den Salat: / Ich bin ein Literat." Heute feiert der Literat Robert Gernhardt seinen 65. Geburtstag.


 
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