© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/02 13. Dezember 2002

 
Die letzten Wandervögel
Eine neue überarbeitete Geschichte beschreibt ein Jahrhundert Nerother Jugendbewegung
Claus-M. Wolfschlag

Zu den Ablegern der Deutschen Jugendbewegung des frühen zwanzigsten Jahrhunderts gehört der bis heute bestehende "Nerother Wandervogel e.V.". In einem neu überarbeiteten Buch unter dem Titel "Die letzten Wandervögel" wird nun die bewegende Geschichte dieses Jugendbundes detailliert nachgezeichnet.

Bereits 1995 erschien ein ausführliches Werk zur bewegenden Geschichte dieses Jugendbundes unter gleichem Titel, das nun als verbesserte und erweiterte Auflage erschienen ist. Die Erstauflage von 1995 wurde, obwohl ursprünglich eher für den internen Bundesgebrauch geschrieben, in der Erscheinungswoche bereits zu einem Drittel verkauft. Diese Tatsache führte seinerzeit zu Erstaunen bei Fritz-Martin Schulz, Bundesführer der "Nerother" und Hauptautor des Autorenkollektivs des Buches, das unter dem Sammelnamen "Nerohm" auftritt. Hinzu kam eine ungewöhnliche publizistische Beachtung, von dem evangelischen Kirchenblatt bis zur Bild-Zeitung. Kaum verhüllter Haß sei statt dessen aus der links-ideologischen Ecke entgegengeschallt, vor allem aus der ehemaligen FDJ-Zeitung Junge Welt und durch Winfried Mogge, den später wegen des Verdachts der Untreue und wegen Tötung seiner Sekretärin vor Gericht gestellten Leiters des Jugendbewegungs-Archivs. Für diese Angriffe fand Bundesführer Schulz die Erklärung, daß die Einflußnahme der damaligen Staatsorgane des Ostblocks auf westdeutsche Jugendverbände größer war, als heute noch angenommen. Eine Einflußnahme, der sich die "Nerother" immer entzogen hätten. Untrennbar verbunden ist der Bund mit seinen Gründern, den Zwillingsbrüdern Karl und Robert Oelbermann, deren Werdegang vom grausamen Schockerlebnis des Ersten Weltkriegs, über die Gründung des Bundes und den Gedanken vom Aufbau einer großen "Jugendburg" im Hunsrück, über die brutalen Verfolgungen und Folterungen während der nationalsozialistischen Herrschaft mit dem Tod im Konzentrationslager des bekennenden Idealisten und Patrioten Robert Oelbermann 1941, bis zu Karls Herztod 1974 und den Entwicklungen der Gegenwart plastisch gezeichnet wird.

Wert wird bei alledem darauf gelegt, daß man sich den ideologischen Verengungen und Vereinnahmungen der verschiedenen politischen Systeme stets zu entziehen bemühte. Gegen Demagogen, Geschäftemacher und "Spießer" setzte man den Wert des eigenständigen, mutigen Charakters, der für den Bund als konstituierend erachtet wurde. Der Grundgedanke der individuellen Eigenständigkeit führte zum Konflikt mit gewaltbereiten und Selbstjustiz übenden Gruppen der Hitler-Jugend sowie späteren Nachkriegsbehörden.

Die Verbundenheit mit der Natur, der Enthaltsamkeit und Volksverbundenheit führte schließlich auch zum Gegensatz zu neomarxistischen Ideologen während und nach der Apo-Ära, die als dekadente Frucht gelangweilter Wohlstandskinder gedeutet wird. "Die letzten Wandervögel" vermittelt spannend, detailliert und mit einer Vielzahl zeitgeschichtlich wertvoller alter Fotografien die Inhalte und das Lebensgefühl des Nerother Bundes, dessen durch Jugendgruppen in Stein eingeritzten "N"-Symbole an zahlreichen Enden der Welt zu finden sein dürften. So fand beispielsweise eine Nerother Gruppe, die unlängst verbotenerweise die ägyptische Cheops-Pyramide bestieg, auf deren Spitze noch das unversehrte "N" mit der Krone, das ihre Vorgänger dort 1925 eingemeißelt hatten.

Nerohm: Die letzten Wandervögel. Burg Waldeck und die Nerother. Geschichte einer Jugendbewegung. Zweite, erweiterte Auflage. Deutscher Spurbuchverlag, Baunach 2002, gebunden, 212 Seiten, Abbildungen, 26,90 Euro


 
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