© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/02 20. Dezember 2002 / 01/03 27. Dezember 2002

 
Fliegen muß teurer werden
Klimaschutz: Eine Studie des Umweltbundesamtes weist nach, daß die "externen Kosten" in den Flugpreisen nicht enthalten sind
Silke Lührmann

Daß der Luftverkehr sowohl die Anwohner von Flughäfen als auch - global wie lokal - die Umwelt belastet, ist seit langem bekannt. Doch seit Billigfluglinien wie Ryanair oder Buzz mit Flugpreisen in Höhe einer Taxifahrt werben, scheint dies vergessen. Daher wird trotz des temporären Rückgangs nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erwartet, daß sich der Anteil des Flugverkehrs am gesamten weltweiten Passagiertransportvolumen bis 2050 im Vergleich zu 1990 von neun auf 36 Prozent vervierfachen wird. Der Anteil des Flugverkehrs an der anthropogenen (von Menschen verursachten) Klimaänderung wird vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) für das Jahr 2050 in verschiedenen Szenarien auf 3,5 bis 15 Prozent geschätzt. Der so verursachte Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) wird sich von 1992 bis 2025 im mittelfristigen Trend etwa verdreifachen.

Vom Pauschaltouristen bis zum Geschäftsführer, der zwischen Düsseldorf, München und London pendelt, jedes zweite Wochenende auf Mallorca verbringt und dreimal jährlich Urlaub in der Südsee macht: Wie groß der Schaden ist, begriffe der Normalverbraucher wohl erst, wenn er dort getroffen würde, wo es am schlimmsten wehtut - mitten ins Portemonnaie. Die Deckung der "externen Kosten", die durch Umweltverschmutzung und Lärmbelastung entstehen, würde den durchschnittlichen Flugschein um ein Viertel teurer machen, so das Ergebnis einer letzten Monat auf Englisch erschienenen Studie, die im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) von den niederländischen Firmen CE (Solutions for environment, economy, and technology) und Integral Knowledge Utilization erstellt wurde.

Externe Kosten sind Kosten, die eine Wirtschaftsbranche verursacht, aber nicht zu tragen braucht: jene Faktoren, die der Markt - im Gegensatz zu dem Nutzen, den der Luftverkehr Einzelpersonen und Unternehmen bringt - nicht unmittelbar reflektiert, die sich aber langfristig ungünstig auf die Wirtschaft auswirken. Zum Teil schlagen die durch den Flugverkehr entstehenden Umweltbelastungen sich in anderen Bereichen als reale Kosten nieder, im Gesundheitswesen etwa oder der Städteplanung (Lärmschutzzonen um Flughäfen), durch fallende Immobilienpreise und verminderte Produktivität in den betroffenen Gebieten. Diese Werte, stellt der Bericht fest, seien für alle größeren europäischen Flughäfen bemerkenswert konstant.

Mit der heute verfügbaren Spitzentechnologie ließen sich die lokalen Belastungen durch Lärm und Luftverschmutzung, die in der Start- und Landephase entstehen (LTO-Zyklus), gegenüber dem gegenwärtigen Stand um die Hälfte verringern. Bei Kurzstreckenflügen überwiegen diese Faktoren, nicht nur weil die Start- und Landephase einen verhältnismäßig größeren Teil der Flugzeit ausmacht, sondern auch weil die kleineren Maschinen, die auf Kurzstrecken eingesetzt werden, relativ viel Lärm und relativ wenig Stickoxide (NOX) produzieren. Da sie zudem niedriger fliegen, kommt es nicht zur Bildung von Kondensstreifen, die in der oberen Troposphäre bei hoher Luftfeuchtigkeit und einer Temperatur von mindestens vierzig Grad unter Null entstehen.

Andere Kostenfaktoren, die bei Flügen über 1.000 Kilometern eine größere Rolle spielen als die lokalen Belastungen, werden erst bei der Berücksichtigung langfristiger ökologischer Effekte wie der Klimaveränderung sichtbar und lassen sich entsprechend schwerer kalkulieren. Der UBA-Bericht geht von einem "Schattenpreis" von 30 Euro pro Tonne CO2-Ausstoß aus. Dieser Preis beruht sowohl auf den Schutzzielen des 1997 verabschiedeten "Kyoto-Protokolls" zur UN-Klimarahmenkonvention wie auf wissenschaftlichen Schadensschätzungen.

Bisher wurde das Kyoto-Protokoll, das 2003 in Kraft treten soll, von fast 100 Staaten ratifiziert. Es sieht vor, die Emissionen klimaschädigender Gase in den entwickelten Ländern bis 2012 um 5,2 Prozent unterhalb des Niveaus von 1990 zu senken. Die USA verweigern jedoch die Ratifizierung. Der CO2-Ausstoß verursacht einer IPCC-Schätzung von 1992 zufolge gut ein Drittel der Klimaschäden, die durch die Luftfahrt entstehen. Weitere Faktoren sind NOX-Emissionen, die zur Entstehung troposphärischen Ozons und zur Methan-Reduktion beitragen, und die Bildung von Kondensstreifen. Die durchschnittliche Klimabelastung eines Flugkilometers mit Kondensstreifen-Bildung (zehn Prozent aller Flugkilometer) wird achtmal so hoch veranschlagt wie die eines Flugkilometers ohne Kondensstreifen.

Wissenschaftler der University of Wisconsin, die das Flugverbot vom 11. bis 13. September 2001 in den USA nutzten, um die Erderwärmung durch Kondensstreifen zu messen, stellten fest: Ohne Kondensstreifenbedeckung ist die tägliche Temperaturspanne ein Grad höher als im dreißigjährigen Mittel von 1971 bis 2000. Nachts tritt wegen der Kondensstreifen eine geringere Abkühlung ein, tagsüber eine verminderte Aufheizung. Die Kondensstreifenvermeidung durch niedrigere Flughöhen hätte aber einen höheren Kerosinverbrauch und mehr Schadstoffemissionen zur Folge.

Insgesamt beträgt dem UBA-Bericht zufolge der Schattenpreis der Umweltbelastung durch den Luftverkehr auf Kurzstrecken bis zu 200 Kilometern innerhalb Europas derzeit rund ein Viertel des Flugpreises, auf Langstreckenflügen von 6.000 Kilometern mindestens fünf Prozent. Für Langstreckenflüge mit Kondensstreifen-Bildung während der Hälfte des Fluges erhöht sich dieser Anteil auf zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent.

Den Autoren geht es, wie mehrfach betont wird, nicht darum, das Verkehrsvolumen zu verringern, sondern vielmehr darum, "marktwirtschaftliche Anreize für die Industrie zu schaffen, die negativen Auswirkungen des Flugverkehrs auf ein gesellschaftlich optimales Niveau zu reduzieren". Daher enthält der Bericht keine Hinweise, welche Konsequenzen von staatlicher Seite aus seinen Ergebnissen zu ziehen wären.

Umweltfreundlich fliegen - darüber dürfen begrüßenswerte Maßnahmen wie ständige Flottenverjüngung und verbesserte Ausnutzung vorhandener Kapazitäten nicht hinwegtäuschen - können Vögel, Insekten und Fledermäuse. Und was die Behauptung angeht, dank des technischen Fortschritts würde die Lebensqualität in Flughafennähe immer weniger beeinträchtigt - davon weiß die Bürgerinitiative Luftfahrt Offenbach, die seit über einem Jahrzehnt unter anderem mit Fluglärmbeschwerden für ein Nachtflugverbot und gegen den Ausbau des Rhein-Main-Flughafens kämpft ( www.bil-of.de ), ein Lied zu singen. Das Versprechen, in Zukunft werde der Fluglärm "noch leiser", zeuge von einer Zungenfertigkeit, die an George Orwells "1984" erinnert.

Konzepte wie eine EU-Umweltabgabe für die Luftfahrt, deren Realisierbarkeit die Europäische Föderation für Transport und Umwelt (T&E) in einer Studie im Jahre 1998 untersuchte ( www.snm.nl/docs/saubhim.pdf ), oder die globale Erhebung eines emissionsgebundenen Nutzungsentgelts, die der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem Sondergutachten 2002 empfiehlt ( www.wbgu.de/wbgu_sn2002_voll.html ), werden stets mit der Ausrede "politisch kaum durchzusetzen, unpopulär" versehen.

Weder der kriselnden Flugbranche noch dem Verbraucher seien finanzielle Mehrbelastungen momentan zuzumuten. Einen unverantwortlichen Umgang mit der Umwelt meinen wir uns offenbar eher leisten zu können. Denn was als "gesellschaftlich optimal" gilt, ist immer auch eine Frage individueller Prioritäten.


 
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