© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/02 20. Dezember 2002 / 01/03 27. Dezember 2002

 
Der Teufel und sein Beelzebub
Bombenkrieg gegen Deutschland: Bei Winston Churchill endete die Befehlskette - nicht bei Arthur Harris
Frank Philip

Groß und wuchtig steht die geschwärzte Bronzefigur Sir Arthur Harris' auf ihrem Steinsockel, hält die Arme hinter dem Rücken verschränkt und starrt mit strengem Blick den vorbeieilenden Passanten nach. Im Herzen Londons, zwischen Strand und Fleet Street, erhebt sich das Ehrenmal des Luftwaffengenerals. Von 1942 bis 1945 befehligte Harris die Bomberkommandos, die Deutschlands historische Städte in Trümmer legten und schätzungsweise 600.000 Zivilisten das Leben kosteten. "Im Andenken an einen großen Kommandeur und an die tapferen Mannschaften des Bomber Command", lautet die Inschrift. Über 55.000 Flieger kamen bei den Einsätzen um. "Die Nation schuldet ihnen allen immens viel."

Harris wurde 1892 in Cheltanham geboren. Zu seinem hundertsten Geburtstag wurde das Denkmal vor dem Portal von St. Clement Danes, der Hauptkirche der Royal Air Force (RAF), eingeweiht. Veteranenverbände jubelten, als die greise Königinmutter persönlich "Bomber Harris" die Ehre erwies. Doch es gab auch Proteste. Harris' Figur wurde von Unbekannten mit Farbe übergossen und die Inschrift zerkratzt. Für einige Zeit mußte die Figur dann rund um die Uhr von Wachleuten geschützt werden. Jetzt ist es still geworden um Harris, auch die kurze Aufregung um Jörg Friedrichs Buch "Der Brand" hat keine anhaltende Diskussion ausgelöst. Kaum ein Passant beachtet Harris' schwarzen Schatten. Die Autos und Doppeldeckerbusse brausen um seine Verkehrsinsel, und über ihm zittern die entlaubten Äste eines Ahornbaums im kalten Wind.

Churchill ordnete persönlich die Vernichtung Dresdens an

So grau wie der Winterhimmel, in den sich Harris' Skulptur reckt, ist auch der Leineneinband seiner "Bomber Offensive" betitelten, 1947 erschienenen Erinnerungen. Bereits 1946 hatte Harris den Dienst quittiert und sich verbittert nach Südafrika zurückgezogen, wo er eine Schiffahrtslinie betrieb. Dort schrieb er "Bomber Offensive", teils eine nüchterne Darstellung seiner militärischen Strategie, teils eine Rechtfertigungsschrift. Nachdem die britische Öffentlichkeit erstmals Bilder der Verwüstung von Dresden zu sehen bekam, galt er vielen als Kriegsverbrecher. Die Regierung in Whitehall hatte stets verkündet, die britischen und amerikanischen Massenbombardements träfen nur militärische oder industrielle Ziele. Plötzlich erkannte die britische Öffentlichkeit das Ausmaß der Vernichtung.

Verantwortlich dafür waren Politiker, allen voran Premierminister Winston Churchill. Bei gemeinsamen Wochenenden mit Harris hatte er gerne in Fotoalben von Bombenangriffen geblättert, wollte nun aber damit nicht mehr in Verbindung gebracht werden. In Harris' Kriegsmemoiren finden sich Andeutungen: "Ich möchte nur sagen, der Angriff auf Dresden wurde damals als eine militärische Notwendigkeit angesehen von sehr viel wichtigeren Leuten als mir selbst." Unstrittig ist nach heutiger Quellenlage, daß Churchill persönlich die Vernichtung Dresdens anordnete. Harris mußte später als Sündenbock herhalten. Eine Peerswürde, wie sie andere Befehlshaber des Weltkrieges, etwa Harris' Vorgänger Charles Portal, erhielten, wurde ihm verweigert. Erst spät, bei seiner Rückkehr nach Großbritannien 1953, bekam er den minderen Titel eines Barons.

Wegen seiner oft harschen, aufbrausenden Art war Harris nicht der beliebteste Kommandeur. Bei Marine und Heer wurde er offen abgelehnt. Auch die eigenen Mannschaften fürchteten ihn. Er ließ die Fliegerstaffeln bei fast jedem Wetter aufsteigen, und die Verluste waren entsprechend hoch. Er selbst kultivierte den Ruf eiserner Strenge. Als er einst mit dem Wagen in Richtung Kriegsministerium raste, stoppte ihn ein Verkehrspolizist. Er könne jemanden umbringen, wenn er so schnell fahre. "Ich werde dafür bezahlt, daß ich Leute umbringe", kam die knurrige Antwort. Mit der Zeit verklärte sich unter den Veteranen die Erinnerung an Harris. Der anfängliche Respekt steigerte sich bei manchen in Bewunderung oder gar Liebe.

"The Blitz" nennen die Briten die von Hermann Göring befohlenen Angriffe der deutschen Luftwaffe. Erstmals traf er in der Stadt London am 7. September 1940, etwa ein Jahr nach Ausbruch des Krieges. Erst leise, dann durchdringend ertönte an diesem schwülen Herbstnachmittag das Röhren der Motoren. "Ich hatte die Flugzeuge gehört, und es war sehr aufregend", schildert ein Augenzeuge, "denn die ersten Formationen kamen über uns, ohne eine Bombe abzuwerfen. Sehr, sehr majestätisch und gewaltig."

Dann krachten die ersten Sprengkörper ins East End, zerstörten das Arsenal in Woolwitch, rissen Dächer ein und zerlegten Backsteinfassaden. Rund 430 Menschen tötete dieser erste Angriff. Fünf "Blitz"-Jahre haben sich ins kollektive Gedächtnis der Londoner eingebrannt. Sie überlebten diese Zeit zusammengekauert in U-Bahnschächten und auf Rolltreppen, während über ihnen große Teile der City abbrannten. Hunderttausende Londoner wurden während des Zweiten Weltkriegs obdachlos, etwa 35.000 Tote und eine weit größere Zahl Verletzter waren zu beklagen.

Arthur Harris beobachtete diese Angriffe vom Dach des Luftfahrtministeriums. Aus dem Flammenmeer ragte relativ unbeschadet die Kuppel von St. Paul. "Das letzte Mal, das London brannte, war 1666", beschreibt Harris seine Reaktion in "Bomber Offensive". "Obwohl ich oft beschuldigt wurde, ich sei während unserer anschließenden Zerstörung deutscher Städte von Rachegefühlen geleitet gewesen, so war dies die einzige Gelegenheit, bei der ich rachedurstig war."

In den folgenden Wochen entwickelte Harris den Plan konzentrierter Bombenangriffe, um den Abwehrwillen der deutschen Zivilbevölkerung zu brechen: Vereinzelte Bomber waren zwar gefährlich, doch wie Wespenstiche. Harris träumte von einer Feuerwalze. Sofort nach seiner Ernennung zum Chef des RAF Bomber Command im Februar 1942 setzte er auf die Strategie des Flächenbombardements. Am 30. Mai 1942 fiel das Kodewort "Millenium", und Köln erlebte den ersten Tausend-Bomber-Angriff. Zufrieden mit der Wirkung, wählte Harris als nächstes großes Ziel Hamburg (Operation Gomorra): "Kein je zuvor gekannter Luftangriff war so schrecklich wie der, den Hamburg ertragen hat; die zweitgrößte Stadt in Deutschland mit fast 2.000.000 Einwohnern war in drei Nächten ausgelöscht worden."

Bombardement von Zivilisten sei vergleichsweise human

Harris wußte von den Bergen verkohlter Leichen von Zivilisten. Die Mischung aus regulären und Brandbomben war genau berechnet, einen Feuersturm zu entfachen, dessen Wucht sogar Bäume ausriß und Autos in die Luft schleuderte. Dennoch meint er: "Trotz all dem, was in Hamburg passierte, erwies sich das Bombardement als eine vergleichsweise humane Methode." Wann immer ihm vorgeworfen wurde, daß die Luftangriffe "gelegentlich Frauen und Kinder töteten", weist Harris auf frühere Handelsblockaden, die auch Hunderttausende von Hungertoten unter der Zivilbevölkerung gekostet hatten. Zudem verteidigt er sich, es habe kein internationales Recht gegeben, das Regeln für den Luftkrieg festlege.

Nach Kriegsende definierten die alliierten Sieger in Artikel 6 des Statuts des Nürnberger Gerichts ein Kriegsverbrechen als "mutwillige Zerstörung von Städten, Märkten und Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung". Harris hat stets die militärische Notwendigkeit seiner Taten betont. Kritiker verweisen auf die schätzungsweise 135.000 Todesopfer der Bombardierung Dresdens im Februar 1945, als der Krieg längst entschieden war. Ein schlechtes Gewissen hat "Bomber Harris", der 1984 verstarb, offenbar nicht geplagt. Man kann Sir Arthur Harris einiges vorwerfen, übertriebene Menschlichkeit gehört nicht dazu.

Foto: Das erst 1992 eingeweihte Harris-Denkmal in London: Keine "Peerswürde" für den Sündenbock des Bombenterrors


 
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