© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/02 20. Dezember 2002 / 01/03 27. Dezember 2002

 
Über den Rubikon
Offener Brief von Frederick Forsyth

Nach Erscheinen des Buches "Der Brand" von Jörg Friedrich über den alliierten Bombenkrieg 1940 bis 1945 findet in Großbritannien eine Diskussion darüber statt, ob das Bombardement der deutschen Städte durch die Royal Air Force ein Verbrechen darstelle und demzufolge Kriegspremier Winston Churchill und sein oberster Luftkriegsplaner Arthur Harris Kriegsverbrecher gewesen seien. In einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT (JF 50/02) räumte der britische Luftkriegsexperte Sir Max Hastings ein, daß - auch wenn er die historische Entwicklung anders beurteile - es sich bei diesen Angriffen, gemessen an den Maßstäben des Internationalen Militärtribunals von Nürnberg, tatsächlich um ein Kriegsverbrechen gehandelt habe. Mit einem offenen Brief in der jungen freiheit möchte nun Frederick Forsyth Verständnis für das Handeln seines Landes im Zweiten Weltkrieg wecken und die Ehre seiner Nation verteidigen. Forsyth ist dem internationalen Publikum als Autor zahlreicher Spionagebestseller bekannt. Der ehemalige Journalist war nach dem Zweiten Weltkrieg selbst Kampfflieger der Royal Air Force.

 

Der Vorwurf, es habe sich bei den von Winston Churchill angeordneten Bombenangriffen auf deutsche Städte während des Zweiten Weltkrieges um ein Kriegsverbrechen gehandelt, wie Jörg Friedrich in seinem Buch "Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945" nahelegt, hat eine alte Kontroverse in unseren beiden Ländern wieder aufleben lassen. Diese Debatte ist natürlich völlig legitim. Jedoch gibt es zwei Gesichtspunkte, die ich als nicht ausreichend berücksichtigt, aber als notwendig erachte, um heute die Ereignisse von damals zu verstehen.

Erstens war in den dreißiger Jahren das Fernpendeln noch unbekannt. Die Arbeiter gingen zu Fuß oder fuhren per Fahrrad zur Arbeit, denn ihre Siedlungen befanden sich in der Nähe ihrer Fabriken. Nur selten waren diese, wie das heute üblich ist, in von den Siedlungen abgelegenen "Industrieparks" zusammengefaßt. Als dann der Krieg begann, verwandelte sich ein sehr hoher Anteil der zivilen Industrie in kriegsrelevante Industrie. Sowohl die britischen wie auch die deutschen Städte verwandelten sich also in Flickenteppiche aus Stätten der Kriegsproduktion und Wohnstätten der Arbeiter. Damals aber gab es noch keine "intelligenten", sogenannte "smarten", Bomben, die ihre Ziele selbständig finden können. Um die Waffenfabriken, die legitime Ziele darstellten, zu zerstören, war es unumgänglich, das betreffende Industrierevier komplett einzuebnen. Und natürlich unterliefen auch schreckliche Fehler. Ich kann aber - ohne Furcht, widerlegt zu werden - feststellen, daß keine britische Bomberbesatzung mit Worten wie diesen eingewiesen wurde: "Heute Nacht lautet der Auftrag, so viele deutsche Zivilisten zu töten wie möglich." Die Zielzuweisung erfolgte vielmehr zum Beispiel so: "Heute Nacht fliegen wir die Kugellagerfabrik von Schweinfurt an." Oder den "Hamburger Hafen", die "U-Boot-Liegeplätze von Kiel", oder den "Verschiebebahnhof von Frankfurt".

Der zweite Aspekt betrifft den großen Unterschied zwischen einem begrenzten und einem totalen Krieg. Vor hundert Jahren noch glaubten unsere Urgroßväter, Krieg sei eine Angelegenheit von Soldaten und Seeleuten. Das Bombardieren und Beschießen von Zivilisten galt als barbarisch. Und ich hoffe, daß nur wenige bestreiten wollen, daß es Hitler war, der mit der Zerstörung der unverteidigten Städte Warschau und Rotterdam zuerst den Rubikon der totalen Kriegsführung überschritt. Das Problem des totalen Krieges ist, daß - hat ihn eine Seite erst einmal begonnen - die andere keine andere Wahl hat, als mit denselben Mitteln zu antworten. Im Herbst 1940 wurde London von der Luftwaffe eingeebnet, danach Coventry und Portsmouth. Denn die Luftwaffe konnte Flugplätze im besetzten Frankreich nutzen, während es der Royal Air Force zu dieser Zeit nicht möglich war, Berlin zu erreichen. Als wir aber schließlich unsere Langstreckenbomber in Dienst stellen konnten, war das Gemüt der Briten bereits von Zorn und Rachdurst erfüllt. "Zahlt es ihnen heim und zwar mit Zinseszins" war die Botschaft, die Churchill aus dem Volk entgegenschallte. Und natürlich konnte er von den Air-Force-Piloten nicht verlangen, selbstmörderische Tiefflug-Missionen bei Tageslicht zu fliegen, nur um Treffer in den Hauptstraßen zu vermeiden.

Ein weiteres Malheur des totalen Krieges ist, daß alles, was für die gegnerischen Kriegsanstrengungen nützlich sein könnte, zum Ziel wird: Eisenbahnstrecken, -knotenpunkte und -depots, Kanäle, Brücken, Straßen, Hafenanlagen , Abbaugebiete, Raffinerien, Kraftwerke, Verschiebebahnhöfe und Millionen von Fabriken und Produktionsstätten. Natürlich waren Krankenhäuser, Schulen, Kinos und Wohngebiete weiterhin von der Liste der Ziele ausgenommen. Aber wie soll ein Pilot in finsterer Nacht aus 20.000 Fuß Höhe und gejagt von der deutschen Flak diese erkennen?

Viele britische Soldaten waren zutiefst erschreckt, als sie 1945 das Reich betraten und mit dem Antlitz des zerstörten Deutschlands konfrontiert wurden, aber die Netzte des Todes waren bereits im Herbst 1940 ausgeworfen. Und es war Hitler, nicht Churchill, der sie ausgeworfen hatte. Laßt uns heute alle zusammen dafür sorgen, daß so etwas nie wieder geschehen kann.

Mit freundlichen Grüßen

Frederick Forsyth


 
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