© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/02 20. Dezember 2002 / 01/03 27. Dezember 2002

 
Frisch gepresst

Erwählte Völker. Der 1917 verstorbene französische Essayist Léon Bloy ist inzwischen so oft als "Geheimtip" bezeichnet worden, daß ihn jeder Gebildete kennt. Nicht wenig zu seinem deutschen Nachruhm hat natürlich beigetragen, daß Carl Schmitt und Ernst Jünger ihn schätzten und Bloy daher in deren "Gemeinden" zur Pflichtlektüre zählt. Der internationalen Bekanntheit förderlich war zudem der kleine Skandal, den die italienische Ausgabe von Bloys "Le Salut par les juifs" (1892) 1997 auslöste. Man kann nicht sicher sein, ob nicht auch die Neuauflage der deutschen Übersetzung von 1953 ähnlich reflexartige "Antisemitismus"-Vorwürfe provoziert. Wer "einschlägige" Stellen sucht, wird jedoch enttäuscht, zumal der Verlag diesen Essay mit Bloys Betrachtungen über die Jungfrau von Orleans zusammen herausgibt und den Leser auf ein Niveau katholischer Geschichtsphilosophie hebt, wo ihm zwei auserwählte Völker, Franzosen und Juden, begegnen (Das Heil durch die Juden. Jeanne d'Arc und Deutschland. Karolinger Verlag, Wien/Leipzig 2002, 205 Seiten, 26 Euro).

Habermas' Doktorvater. Auf den Bonner Philosophen Erich Rothacker (1888-1965) verfällt nur noch, wer Jürgen Habermas Böses will. Und deshalb kann man ab und an lesen, der Propagandist des "herrschaftsfreien Diskurses" sei einst nicht nur begeisterter HJler gewesen, sondern habe nach 1945 mit Rothacker auch einen "braunen" Doktorvater gewählt. Natürlich verdient Rothacker es nicht, als Fußnote in derlei Bewältigungsspielen in Erinnerung zu bleiben. Doch Volker Böhnigk läßt sich von solchen infantilen Zuordnungen offenbar nachhaltig beeindrucken. Für ihn ist Rothacker ein wichtiger Ideengeber der "rassistisch motivierten Kulturanthropologie", der nicht einmal nach 1945 von seinen Auslese- und Zuchtphantasien Abschied genommen habe. Als Spezialist für "Auslese" stellt sich freilich auch Böhnigk vor, wenn er Rothackers umfangreiches Werk der zwanziger und dreißiger Jahre mit Hilfe einer rigiden Quellenselektion in so atemberaubender Weise verkürzt, daß es seine simple These vom rassistischen Chefideologen schlagend zu bestätigen scheint (Kulturanthropologie als Rassenlehre. Nationalsozialistische Kulturphilosophie aus der Sicht des Kulturphilosophen Erich Rothacker, Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. 2002, 164 Seiten, 15,50 Euro).


 
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