© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/03 10. Januar 2003

 
Die Ruhe vor dem Sturm
CDU/CSU: Stoiber muß sich auf die Landtagswahl in Bayern konzentrieren / Merkel hat ihren Konkurrenten wenig entgegenzusetzen
Paul Rosen

Kreuth - Dieser Name steht seit dem Trennungsbeschluß der CSU von der CDU für den Mythos einer eigenständigen konservativen Partei in Deutschland. Doch das Einknicken von Franz Josef Strauß nach wenigen Wochen machte diesen Traum vieler Bürger von einer eigenständigen, parlamentarisch verankerten Rechtspartei wieder zunichte. Hatte das Treffen der CSU-Landesgruppe in den bayerischen Bergen im letzten Jahr noch für Hochspannung gesorgt, weil die Ausrufung des Kanzlerkandidaten bevorstand, so verbreitete die Tagung in diesem Jahr größtenteils Langeweile. Die bayerischen Löwen zeigten sich müde, Kritik an der Merkel-CDU ist verpönt. Die Helden warten auf die kommende Schlacht.

Daß diese innerparteiliche Schlacht kommt, ist für die meisten Unionsfunktionäre ausgemachte Sache. Auch nach dem Sturz des Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz ist die Führungsfrage der Union ungeklärt. Angela Merkel, die seit der verlorenen Bundestagswahl sowohl die Partei als auch die Fraktion führt, füllt diese Doppelrolle bisher nicht aus. CSU-Chef Edmund Stoiber, den nur die treuesten Anhänger noch als Kanzlerkandidaten im Wartestand sehen, beginnt sich auf sein bayerisches Kernland zurückzuziehen. Dort steht der CSU-Chef vor zwei großen Aufgaben: Er muß in diesem Jahr die im Herbst anstehende Landtagswahl mit einem achtbaren Ergebnis gewinnen, das nicht weit unter den 59 Prozent der Bundestagswahl bleiben darf. Bereits jetzt ist sichtbar, daß sich der Bayer immer stärker von der bundespolitischen Bühne zurückzieht.

Die zweite Aufgabe erscheint bei näherem Einsehen schwieriger: Der 60jährige Stoiber dürfte zum letzten Mal als Ministerpräsidenten-Kandidat angetreten sein. Er muß also das Feld für die Zukunft bestellen. Bis zum Jahre 2008, wenn die übernächsten Landtagswahlen anstehen und Stoiber in den Ruhestand tritt, muß ein akzeptabler Nachfolgekandidat aufgebaut sein. Die Liste der heutigen Stoiber-Konkurrenten kommt dann nicht mehr in Frage: Bayerns Innenminister Günther Beckstein wird dann ebenso alt sein wie der heutige Fraktionsvorsitzende im Landtag, Alois Glück.

Erste Konstellationen könnten sich in diesem Jahr andeuten. Nach den in der CSU kursierenden Gerüchten überlegt die Parteiführung, den seit rund 15 Jahren amtierenden Glück im Herbst auf den Sessel des bayerischen Landtagspräsidenten zu hieven. Den Platz des Fraktionsvorsitzenden, der gemeinhin als Königsmacher gilt, könnte der heutige Chef der Münchner Staatskanzlei, Erwin Huber, übernehmen. Das kann, muß aber nicht die endgültige Lösung der Stoiber-Nachfolge sein. Gegen Huber könnten jüngere Kandidaten ins Spiel gebracht werden. Allerdings hat die abschließende Beantwortung der Personalfragen in der CSU noch Zeit.

Das kann man von der CDU nicht unbedingt sagen. Bereits kurz vor Weihnachten lieferte Merz mit seinem öffentlichen Wutausbruch gegen die Vorsitzende einen Beleg, was ein Teil der Funktionäre von der Vorsitzenden hält, nämlich ziemlich wenig. Auch wenn Merz seine in einem Interview vorgetragene Kritik nur als Beitrag zur Vollständigkeit der Jahreschronik verstanden wissen wollte, hat er damit erneut den Finger auf die Wunden der Partei gelegt.

Frau Merkel hatte bereits auf dem CDU-Parteitag in Hannover einen Warnschuß bekommen, als etwa 160 Delegierte an ihrer Wiederwahl zur Vorsitzenden erst gar nicht teilnahmen, sondern den Saal verließen. Auch wenn die Führung von einer Organisationspanne sprach, wurde der Verdacht bisher nicht ausgeräumt, daß viele Delegierte eine Art Abstimmung mit den Füßen praktizierten, um die Vorsitzende vor wichtigen Landtagswahlen nicht mit einem zu schlechten Wiederwahlergebnis bloßzustellen.

Doch die Landtagswahlen sind in wenigen Wochen vorbei. Ein Sieg der CDU in Niedersachsen wäre kaum der Vorsitzenden Merkel als Verdienst anzurechnen, sondern dürfte allein mit der bundespolitischen Schwäche der SPD erklärt werden. Der Ausgang der Wahlen im Stammland von Kanzler Gerhard Schröder bleibt aber spannend, da es besonders auf die kleinen Parteien ankommt: Die CDU zittert um den Einzug der aufgrund der Möllemann-Affäre schwächelnden FDP. Die SPD wiederum hofft, daß die trotz der Berliner Steuer- und Abgabenerhöhungsorgien eigenartigerweise unbeschädigt gebliebenen Grünen ihre Verluste durch eigene Zugewinne wieder wettmachen, damit Sigmar Gabriel (SPD) weiterregieren kann.

Für die Union ist die Wahl in Hessen wichtiger. Verliert Roland Koch in Wiesbaden, ist die knappe Mehrheit der CDU/CSU im Bundesrat dahin. Gewinnt Koch jedoch, vielleicht sogar mit der absoluten Mehrheit, dann stellt sich die Führungsfrage der CDU in einem ganz anderen Licht. Die hessische CDU, die sich als einer der wenigen Landesverbände ein starkes konservatives Element bewahrt hat, würde zum zweiten Kraft- und Machtzentrum der Partei neben den Berliner Bundes- und Fraktionsinstitutionen werden.

Nachdem sich Merz durch seine überflüssige Netzbeschmutzung für die nächste Zeit als Anwärter auf höhere Weihen selbst aus dem Spiel gebracht hat, läuft es in der CDU auf einen Zweikampf zwischen Koch und Merkel hinaus. Die Vorsitzende hat dem Ministerpräsidenten bisher wenig entgegenzusetzen. Ihr Aufruf an die Bundestagsfraktion zum Jahresanfang, in dem sie forderte, das Verhältnis des Einzelnen zum Staat müsse neu austariert werden, hatte die Wirkung von Waschmittelreklame der fünfziger Jahre in heutiger Zeit. Auch die übrigen Botschaften der Vorsitzenden lasen sich wie ein Aufguß älterer Aussagen der Union vor und während der Wahlkampfzeit: Steuerreform, Senkung der Sozialausgaben und eine Reform des Gesundheitswesens. Derweil bereiten die Sozialdemokraten über die "Rürup-Kommission" die tiefsten Einschnitte bei sozialen Leistungen vor. Und Kanzler Schröder sammelt Punkte bei einer Reise durch China, wo er sich als der große Exporteur deutscher Technik aufspielt.

Merkel hat Schröder wenig entgegenzusetzen, zudem vermag sie auch die die eigenen Truppen nicht zu begeistern. Ohne eine Vision und ohne klare Positionen ist eine große Volkspartei wie die CDU jedoch nicht zu führen. Und nur von der Schwäche der SPD profitieren zu wollen, die nicht von Dauer sein muß, kann keine Erfolgsgarantie sein. Roland Koch wird seine Chance zu nutzen wissen.


 
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