© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/03 10. Januar 2003

 
Nicht zum Schweigen zu bringen
Der Historiker Ernst Nolte feiert seinen 80. Geburtstag
Karlheinz Weißmann

Vor einigen Jahren besuchte mich ein amerikanischer Historiker, um ein Gespräch über die "Neue Rechte" in Deutschland zu führen. Die Unterhaltung verlief in entspannter Atmosphäre, aber zum Schluß sah mich mein Besucher mit Verschwörermiene an und flüsterte: "Ich war auch bei Professor Nolte in Berlin - Ihnen kann ich das sagen, aber zu Hause darf es niemand wissen." Auf meine verblüffte Frage, warum er diese Begegnung verschweigen wolle, antwortete er: "In den Staaten glaubt jeder, der den Namen kennt, daß Nolte einen neuen Holocaust vorbereitet."

Viele, gerade viele, die Ernst Nolte wohlwollend gegenüberstehen, werden die Schilderung mit Unbehagen hören. Aber sie spiegelt noch im Anekdotischen etwas wider von der Realität dieser Gelehrtenexistenz und davon, was dieser Existenz fehlt, nämlich "... ein gewisses Entspanntsein der Gesellschaft", das Nolte lange vor dem "Historikerstreit" kennzeichnete als Voraussetzung für die fruchtbare wissenschaftliche Arbeit. Dieses "gewisse Entspanntsein" erlebte Nolte nur sehr vorübergehend - in den fünfziger, frühen sechziger und späten siebziger Jahren -, sonst wurde seine Biographie mehr oder weniger stark bestimmt von Zuständen ideologischer Anspannung.

So waren Kindheit und Jugend des am 11. Januar 1923 in Witten an der Ruhr Geborenen geprägt von den Auseinandersetzungen des großen "Europäischen Bürgerkriegs", der später zum Leitthema seiner historischen Werke werden sollte. Nolte wurde in der NS-Zeit erwachsen, nahm aber, wegen Untauglichkeit vom Wehrdienst befreit, nicht an der Kriegserfahrung seiner Generation teil. Er studierte an den Universitäten Münster, Berlin und Freiburg i. Br. die Fächer Philosophie, Griechisch und Germanistik, nachhaltig beeindruckt durch die Kollegs, die er bei Nicolai Hartmann und Martin Heidegger hörte.

Nationalsozialismus als Reaktion auf Bolschewismus

Nach dem Kriegsende kehrte er noch einmal an die Hochschule zurück und promovierte 1952 in Freiburg bei Eugen Fink mit einer Dissertation über die "Selbstentfremdung und Dialektik im Deutschen Idealismus und bei Marx". Die frühe und intensive Beschäftigung mit Marx hat in gewissem Maße auch die Sichtweisen bestimmt, die Nolte für sein 1963 erschienenes Buch "Der Faschismus in seiner Epoche - Action Française, Italienischer Faschismus, Nationalsozialismus" entwickelte. Das erklärt hinreichend, warum die Arbeit anfangs als "linke" Interpretation des Faschismus verstanden werden konnte: Noltes Auffassung, daß es sehr wohl qualitative Ähnlichkeiten zwischen dem Nationalsozialismus und dem Faschismus oder verwandten Phänomenen gegeben habe, daß alle diese Bewegungen aus einer Krise des "liberalen Systems" erwuchsen und ohne eigene ideologische Konsistenz ihre Ausrichtung durch einen militanten Antikommunismus erhielten, entsprach weder der vorherrschenden Totalitarismustheorie noch der Deutung des Nationalsozialismus als Verhängnis des deutschen Volkes, wies aber Schnittmengen mit marxistischen Deutungen auf.

"Der Faschismus in seiner Epoche" wurde auf Empfehlung Theodor Schieders von der Universität Köln als Habilitationsschrift angenommen. Nolte verließ den Schuldienst, den er seit 1953 an einem Gymnasium in Bad Godesberg versehen hatte, und übernahm 1965 einen Lehrstuhl für Neuere Geschichte in Marburg. Als er dann 1973 nach Berlin wechselte, war das keine Flucht vor der Studentenbewegung, zu deren Zentren Marburg zählte, denn er durfte kaum annehmen, daß es an der Freien Universität beschaulicher zugehen werde. Aber Nolte hatte schon - etwa bei der Gründung des "Bundes Freiheit der Wissenschaft" - unter Beweis gestellt, wie entschlossen er war, sich dem zu widersetzen, was er als politischen Irrtum und als politische Gefahr betrachtete.

Er vollzog damit einen Schritt wie viele andere akademische Lehrer, die in den sechziger Jahren als liberal und reformbereit gegolten hatten, ohne durch ihre Wendung gegen die "Außerparlamentarische Opposition" ihren früheren Überzeugungen untreu zu werden. Noltes Sorge hatte in der Nachkriegszeit eher einer Wiederbelebung jener Ideen gegolten, die in der Weimarer Republik zum Strahlungsfeld der intellektuellen Rechten zählten. Die unerwartete "Renaissance der Linken", die dann folgte, wurde von ihm erst bei zunehmender Radikalisierung als Angriff auf das Gemeinwesen wahrgenommen.

Von einem bedeutenden Historiker zum Geächteten

In einem Zeitungsaufsatz von 1978 (aufgenommen in den Band "Was ist bürgerlich?", 1979), der ganz unter dem Eindruck der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch die RAF stand, stellte er allerdings schon die Frage, ob jener "bürgerliche Grundaffekt", der so wesentlich zum Aufbau und zum Erfolg der Bundesrepublik beigetragen hatte, ausreichen werde, um einen "bürgerlichen Staat" zu schaffen, der seiner inneren Feinde Herr werden konnte. Die Ergebnisse von Noltes Nachdenken über Bürgertum und Liberalismus blieben fragmentarisch. Sein eigentliches Interesse galt nach dem Extremismus der Rechten nun dem Extremismus der Linken. In der letzten Phase seiner akademischen Lehrtätigkeit äußerte er schon, daß er sich noch eine große Arbeit über den Marxismus vorgenommen habe, die dann 1983 unter dem Titel "Marxismus und Industrielle Revolution" erschien.

Joachim Fest zählte Nolte damals zu den "wenigen bedeutenden Historikern unserer Zeit", und es gab kaum Widerspruch gegen dieses Urteil. Wenn das im Laufe der letzten zwanzig Jahre dramatisch anders wurde und Nolte sich heute selbst als "Geächteten" betrachtet, dem man nicht nur den Zutritt zu den wichtigen Organen der wissenschaftlichen Zunft, sondern auch zu den großen Zeitungen verwehrt, dann hängt das zusammen mit der Veröffentlichung eines einzelnen kurzen Textes, der am 6. Juni 1986 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel "Vergangenheit, die nicht vergehen will" erschien.

Es handelte sich um den Abdruck eines Manuskripts, das Nolte einer Rede bei den Frankfurter Römerberggesprächen hatte zu Grunde legen wollen. Allerdings war er von dem Veranstalter wieder ausgeladen worden und entschloß sich darum zu dieser Art von Publikation. Daß der Text selbst Geschichte machte und nicht nur die intellektuelle Entwicklung der späten Bonner, sondern auch die der frühen Berliner Republik ganz wesentlich mitbestimmte, hing mit der Reizwirkung zusammen, die zwei Behauptungen Noltes auslösten:

1. daß es einen "kausalen Nexus" zwischen dem roten "Klassenmord" und dem braunen "Rassenmord" gegeben habe, und

2. dabei der kommunistischen das "faktische Prius" gegenüber der nationalsozialistischen Massenvernichtung zukomme.

Daß man die darüber ausbrechende Kontroverse als "Historikerstreit" bezeichnet hat, war insofern irreführend, als sie eben nicht von Geschichtswissenschaftlern, sondern von einem schlampig zitierenden Soziologen ausgelöst wurde, weshalb mit größerem Recht von der "Habermas-Kontroverse" (Immanuel Geiß) zu sprechen wäre. Habermas hatte von Anfang an deutlich gemacht, daß ihn die Argumentation Noltes gar nicht interessierte, sondern nur die von ihm vermuteten geschichtspolitischen Intentionen. Er war förmlich besessen von der Vorstellung, daß es eine Art Verschwörung gebe, um die "Einmaligkeit" oder "Einzigartigkeit" der deutschen Verbrechen in Frage zu stellen und ein "apologetisches Geschichtsbild" zu schaffen, das der unerwartet langlebigen bürgerlichen Koalition als ideologischer Überbau dienen sollte.

Die "Viererbande" gegen die Habermas-Fraktion

An dem ganzen Vorgang ist weniger das Maß der Verblendung von Noltes Gegnern überraschend, als vielmehr der Erfolg ihrer "Hetzjagd" (Michael Wolffsohn) und das Tempo, in dem es Habermas gelang, seine Auffassung trotz ihrer Dürftigkeit als die richtige zu etablieren. Nolte hat im nachhinein geäußert, daß es vielleicht klüger gewesen wäre, seine Position nicht in einem Zeitungsartikel darzulegen, sondern von vornherein die breite und differenzierte Darstellungsform des Buches zu wählen. Tatsächlich wirken die Ausführungen in "Der Europäische Bürgerkrieg 1917-1945" (1987) wesentlich weniger provozierend, aber es bleibt die Frage, ob Genauigkeit und Nuancierung seine Kontrahenten wirklich daran gehindert hätten, jenen Anlaß zu finden, den sie suchten, um ihre kulturelle Macht zu demonstrieren, die am Ende der achtziger Jahre schon so weit angewachsen war, daß Widerspruch und Widerstand kaum noch Aussicht auf Gehör oder Wirkung hatten.

Unter den Mitgliedern jener "Viererbande", die Habermas bevorzugt attackierte - Nolte und seine Kollegen Andreas Hillgruber, Klaus Hildebrand und Michael Stürmer - war und ist es Nolte, der bis heute und trotz wachsender Isolation mit immer wieder überraschender und beeindruckender Tapferkeit den Kampf fortgesetzt hat. Dabei konnte er nicht nur seine Auffassung in verschiedene Richtungen ausbauen - durch das Buch "Streitpunkte" (1993), durch die Veröffentlichung des für seine "historisch-genetische" Auffassung des Totalitarismus wichtigen Briefwechsels mit François Furet (1998) und zuletzt noch durch den Aufsatzband "Der kausale Nexus" (2002) -, er geißelte auch mit wachsender Schärfe jene ideologische Entwicklung, die aus der Dominanz der Habermas-Fraktion im "Historikerstreit" resultierte. In seiner Dankrede anläßlich der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises im Jahr 2000 stellte Nolte fest, es müsse unbedingt die "kollektivistische Schuldzuschreibung" im Hinblick auf die deutsche Nation überwunden werden, weiter sei jene "Abhängigkeit" vom Nationalsozialismus zu beseitigen, die daraus resultiere und die grundsätzlich das Gegenteil dessen für richtig erkläre, was Hitler in vergleichbarem Fall getan hätte, schließlich müsse man den Mut finden, die Monumentalisierung und Ästhetisierung der Erinnerung an die Judenvernichtung in Frage zu stellen, die eine totale und damit "widermenschliche" Erinnerung als politisches Machtmittel verankern wolle.

Nolte sah sich in der letzten Phase seines wissenschaftlichen Wirkens gezwungen, viele Fragestellungen aufzugreifen, die ihn wegführten von dem, was ihm wahrscheinlich immer näher lag als die Arbeit des Historikers im engeren Sinn. 1991 hatte er eine umfangreiche Darstellung des "Geschichtsdenkens" im 20. Jahrhundert vorgelegt, die sich mit so verschiedenen Autoren wie Max Weber, Oswald Spengler, Arnold J. Toynbee, Theodor W. Adorno, Norbert Elias oder Hans Jonas unter dem Gesichtspunkt befaßte, daß sie alle - ohne Anspruch auf eine geschlossene Geschichtsphilosophie - die Vergangenheit und ihre eigene Gegenwart analysierten, um solchermaßen Rückschlüsse auf die Hauptentwicklungslinien der Zukunft zu ziehen. Noltes eigener Beitrag zu dieser Art von Geschichtsdenken liegt in dem Buch "Historische Existenz" (1998) vor, das bis dato sein letztes größeres Werk ist.

Hier wie schon in den vorher erschienenen Arbeiten über "Nietzsche und den Nietzscheanismus" (1990) oder über "Heidegger" (1992) hat sich Nolte einer Position angenähert, die von seinen "linken" wie seinen "liberalen" Ansätzen relativ weit entfernt ist. Sie läßt Sympathie für jene Versuche einer "kleinen Lösung" der Krise des liberalen Systems deutlicher erkennen, die man in Deutschland vor allem mit dem revolutionären Konservatismus der Zwischenkriegszeit in Verbindung bringt.

Allerdings ist diese Annäherung eine sehr vorsichtige und tastende, wie man überhaupt die Distanz Noltes zu politischen Stellungnahmen nicht unterschätzen darf. Einige Jahre vor dem sogenannten Historikerstreit äußerte er: "Man würde mich zum Schweigen bringen, wenn der Nachweis gelänge, ich hätte mich (in der wissenschaftlichen Arbeit) auch nur partiell der bloßen Polemik und jenes Zurechtbiegens des Materials bedient, die auf politischem Felde unvermeidlich sind." Es gibt keinen Grund, an der Aufrichtigkeit dieser Worte zu zweifeln, und wir dürfen dankbar dafür sein, daß Ernst Nolte keinen Anlaß zum Verstummen sah.

 

Prof. Dr. Ernst Nolte wurde am 11. Januar 1923 in Witten/Ruhr als Sohn eines Rektors geboren. Aufgrund einer Wehrdienstuntauglichkeit konnte er direkt nach seinem Abitur ein philologisches Studium aufnehmen, das er an den Universitäten in Münster, Berlin und zuletzt Freiburg absolvierte. Dort promovierte er bei Eugen Fink mit dem Thema "Selbstentfremdung und Dialektik im Deutschen Idealismus und bei Marx". Danach arbeitete Nolte als Studienrat für Alte Sprachen an einem Gymnasium in Bad Godesberg. Aufgrund seines während dieser Zeit verfaßten Werkes "Der Faschismus in seiner Epoche" wurde er 1964 an der Universität Köln habilitiert. Von 1965 bis 1973 wirkte Nolte an der Universität Marburg, bis er 1973 einem Ruf an die Freie Universität Berlin folgte. Dort lehrte der Historiker bis zu seiner Emeritierung 1991 am Friedrich-Meinecke-Institut. Im Jahre 1985 wurde Nolte mit dem Hanns Martin Schleyer-Preis, im Jahr 2000 mit dem Konrad-Adenauer-Preis geehrt.

 

Dr. Karlheinz Weißmann, geboren 1959, studierte Geschichte und Evangelische Theologie. Er arbeitet als Studienrat an einem Gymnasium.


 
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