© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/03 17. Januar 2003


Wir sind alle Amerikaner
Der imperiale Einfluß der USA fußt vor allem auf einer kulturellen Übermacht
Alexander Griesbach

Viel ist in diesen Tagen von dem Machtstreben der USA und der mit diesem Streben verbundenen Hegemonialpolitik zu lesen. Mit Recht, schicken sich doch die USA mit imperialem Gestus an, dem Weltgeschehen immer unverhohlener ihren Stempel aufdrücken zu wollen. Ein Indiz dafür ist die Kaltschnäuzigkeit, mit der die USA alle Einwände gegen einen Krieg mit dem Irak beiseite wischen. "Bush will den Krieg um jeden Preis", erklärte jüngst der ehemalige UN-Generalsekretär Butros Ghali. Die USA verhielten sich, so ergänzte Ghali, "wie ehedem die Kolonialmächte im 19. und 20. Jahrhundert". Dennoch wagt keiner der mit den USA "befreundeten" Staaten lauten Protest. Diese benehmen sich vielmehr so, wie es sich die graue Eminenz der US-amerikanischen Außenpolitik, Zbigniew Brzezinski, immer erhofft hat: nämlich wie "Vasallenstaaten".

Dieser Vasallenstatus ist freilich nicht nur ein von den USA oktroyierter. Das Phänomen der globalen US-Hegemonie muß differenzierter betrachtet werden. Diese beruht zu einem guten Teil auf der kulturellen Wirkmächtigkeit der USA. Während viele europäische Intellektuelle bei ihren Reisen durch die USA eine ambivalente Erfahrung aus Faszination und Ablehnung durchleben, bewundern viele Völker dieser Erde die USA und versuchen diese fast bruchlos zu imitieren oder gar zu kopieren. Deswegen ist es immer nur ein Teil der Wahrheit, wenn Neomarxisten oder auch konservative Kulturkritiker den weltweiten Siegeszug des American Way of Life als "Kolonialismus" oder "kulturellen Imperialismus" zu denunzieren trachten. Auch wenn die USA einerseits ein Netzwerk "tributpflichtiger Vasallen" unterhalten, auf allen Kontinenten präsent sind, und andererseits an vielen Orten dieser Erde US-amerikanische Symbole, Fahnen oder Bilder amerikanischer Präsidenten zerfetzt oder verbrannt werden, verbreitet sich die amerikanische Art zu denken und zu handeln nach Art einer "mimetischen Replikation" (Rudolf Maresch). Der weltweiten An- und Übernahme US-amerikanischer Werte wird im Grunde genommen - sieht man vom islamischen Fundamentalismus einmal ab - kein nennenswerter Widerstand entgegengesetzt.

Die USA seien heute die "erste universelle Nation", formulierte der US-Historiker Ben J. Wattenberg. Nachdem diese nahezu alle Kulturen auf ihrem Hoheitsgebiet versammelt und assimiliert haben - mit allen negativen Begleiterscheinungen (Ghettobildung, Jugendkriminalität, soziale Verwahrlosung, Drogensucht, Analphabetentum) - sind die USA heute dennoch dabei, ihre gesellschaftlichen Errungenschaften auf ökonomischem, politischem und kulturellem Gebiet mit Hilfe eines weltumspannenden Kommunikationsnetzes bis in den letzten Winkel des Planeten zu kommunizieren.

Zbigniew Brzezinski war einer der ersten, der der kulturellen Komponente einen deutlich höheren Stellenwert zugewiesen hat als jeder andere Geostratege vor ihm. Bereits 1969 publizierte er ein Buch mit dem Titel "Between Two Ages", in dem er den Übergang von der industriellen zur "technotronischen Gesellschaft" beschrieben hat. Letztere sei dadurch gekennzeichnet, so stellt Brzezinski in diesem Buch fest, daß "deren Form auf der kulturellen, psychologischen, sozialen und ökonomischen Ebene durch den Einfluß von Technologie und Elektronik - insbesondere durch Computer und Kommunikation bestimmt wird".

Mit "Technotronik", einer Verschmelzung aus Technologie und Elektronik, wandte sich Brzezinski gegen den vor allem unter Soziologen bis heute viel populäreren Begriff der "postindustriellen Gesellschaft". Während der Begriff des "Postindustriellen" aber allenfalls auf die wachsende Bedeutung des tertiären Sektors (Wissen, Technik, Dienstleistungen) für die Entwicklung moderner Gesellschaften abhebt, versucht Brzezinski mit dem Begriff der "Technotronik" auf globale Abhängigkeitsverhältnisse aufmerksam zu machen, denen Politik, Wirtschaft und Kultur durch die technologische Revolution heute unterlägen. Weltweite Militärpräsenz, technologische Überlegenheit und wirtschaftliche Macht seien zwar wichtige Säulen für den Bestand einer Supermacht. Aber erst die Beherrschung der Nachrichten- und Kommunikationssysteme sichere diesen Einfluß und baue ihn unmerklich und schleichend aus.

Besonders die Unterhaltungsindustrie, Amerikas Massen- und Popkultur, die eine bis heute ungebrochene Anziehungskraft in aller Welt ausübt, ist, um es mit dem deutschen Staatsrechtler Carl Schmitt zu sagen, "Instrument und Waffe" der USA im Kampf um die globale Vorherrschaft geworden. Die Entwicklung der USA seien - so schlußfolgert der Publizist Rudolf Maresch - ein beeindruckendes Beispiel für die These Schmitts, wonach mit jeder "Steigerung menschlicher Technik" neue Raum- und Rechtsordnungen einhergingen, die neue Maßnahmen und Formen der Raumeroberung und Raumkontrolle nötig machten. Dies begriffen und verinnerlicht zu haben, macht einen guten Teil der heutigen US-Hegemonie aus.

Brzezinski jedenfalls, der Amerikaner polnischer Herkunft, konnte mit seinen aus Europa importierten geopolitischen Konzepten in den USA reüssieren. Sein Denkansatz fand unter den politischen Eliten des Landes rasche Verbreitung.

Dies geschieht, ohne daß traditionelle Glaubenshaltungen, Moral- oder Wertvorstellungen aufgegeben oder Immigranten gezwungen werden mußten, jenen puritanischen Eifer zu teilen, der als durchgehendes Ostinato die Außenpolitik der USA von Beginn an bestimmte. "Auf jeden Fall beruht die Macht der USA", so unterstrich Brzezinski 1990 in einem Interview mit der französischen Zeitung Libération, "zu einem sehr großen Teil auf seiner beherrschenden Stellung auf dem weltweiten Medienmarkt, denn 80 Prozent der Worte und Bilder, die auf der Welt zirkulieren, stammen aus den USA." Sieben Jahre später stellt Brzezinski fest: Die Sprache des Internets sei Englisch, und ein überwältigender Teil des Computer-Schnickschnacks stamme ebenfalls aus den USA und bestimme somit die Inhalte der globalen Kommunikation nicht unwesentlich.

Schon allein deswegen kann und muß der rasche Ausbau des Internets, die anfängliche Subventionierung und Anschubfinanzierung dieser Technologie durch die US-Regierung, die technische Grundierung von unbeschränktem Welthandel und individualistischem Lebensstil sowie die Forderung nach einem "freien Fluß der Information" mit in eine Kritik des US-Imperialismus eingehen. Konsequent zu Ende gedacht, wird diese Kritik die für viele Zeitgenossen unangenehme Wahrheit zu Tage fördern, daß wir in gewisser Weise "alle Amerikaner" sind.


 
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