© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/03 17. Januar 2003

 
Der schwierige deutsche Standpunkt
Irak-Konflikt: Der bevorstehende Krieg der Amerikaner entzweit die deutsche Linke / Jürgen Elsässer bei "Konkret" ausgeschieden / Gremliza spielt Reise nach Jerusalem
Alexander Griesbach

Das Hamburger Politikmagazin Konkret, die Fachzeitschrift für den angewandten Deutschenhaß, meldete Anfang Januar die "Freisetzung" einer ihrer renommiertesten Redakteure. Gemeint ist der oft als "enfant terrible" bezeichnete linke Publizist Jürgen Elsässer (Jahrgang 1957), der bei Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza offensichtlich in Ungnade gefallen ist. Elsässer, der von 1994 bis 1997 auch Redakteur der Jungen Welt (JW) war, ist Autor einer Reihe von Sachbüchern, die sich vor allem mit der deutschen Außenpolitik beschäftigen. Sein Werk "Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovokonflikt" (JF 52/00-1/01) gilt mittlerweile als eine Art Standardwerk und ist in drei Sprachen übersetzt worden. Letztes Jahr erschien von Elsässer "Make Love and War. Wie Grüne und 68er die Republik verändern" sowie "Deutschland führt Krieg. Seit 11. September wird zurückgeschossen".

Elsässers Abgang hat sich für aufmerksame Beobachter in den letzten Monaten, als die politischen Differenzen, die jetzt zu seiner Entlassung führten, auf den Seiten der Zeitschrift immer heftiger ausgetragen wurden, abgezeichnet. Während Elsässer entschieden einen Angriff auf den Irak ablehnte und die Kriegspolitik der Regierung Bush immer wieder scharf kritisierte, sprachen sich andere Konkret-Autoren mit gleicher Massivität für einen Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein aus - und zwar mit Hilfe der erzkapitalistischen USA.

Richtungswechsel sind bei "Konkret" keine Seltenheit

Jetzt hat Gremliza einen vorläufigen Schlußstrich unter diese kurzweilige Debatte gezogen. "Was jetzt zum Bruch in der Konkret-Redaktion führte", so schreibt Elsässer in einer der letzten Ausgaben der Jungen Welt über die Motive, die zu seiner Entlassung führten, "entzweit viele andere Zeitschriftenredaktionen, Antifa-Gruppen und selbst private Freundeskreise." Elsässer geht mit der zunehmenden Zustimmung für die Politik der US-Regierung in der Irak-Frage in antideutschen Kreisen hart ins Gericht. Mit einem Verzicht auf den Antimilitarismus würde sich die Linke selbst aufgeben, unterstrich Elsässer. Über die antiirakische Kriegspropaganda in den westlichen Medien urteilt Elsässer: "Die Greuel der westlichen Politik werden verharmlost, die des überfallenen Landes inflationiert. Diese Methode ist aus dem Jugoslawienkrieg bekannt."

Politische Richtungswechsel sind bei Konkret keine Seltenheit: In den sechziger Jahren hatte sich das Blatt vor allem wegen der Beiträge der späteren RAF-Terroristin Ulrike Meinhof in der damaligen Linken ein gewisses Renommee erworben. Dann folgte die Phase, in der Herausgeber Klaus-Rainer Röhl statt auf politische Inhalte lieber auf Titelbilder mit nackten Tatsachen setzte. Damit wurde erst unter Gremliza Schluß gemacht. Dieser brachte das Blatt wieder "auf Linie", die in der ersten Phase unter Gremliza als "linkssozialdemokratisch" beschrieben werden kann.

Die Wiedervereinigung Deutschlands und der erste Golfkrieg führten 1990/91 zu einer deutlichen Radikalisierung des Blattes, das immer mehr nach Linksaußen wanderte. Die Verdammung Deutschlands und allem, was als "deutsch" verortet wird, gehört seit dieser Zeit zum "guten Ton" bei Konkret. Darüber hinaus wurde und wird auch immer wieder das Thema "Antisemitismus" in allen seinen Facetten ventiliert. Neben Gremliza stand vor allem Elsässer zunächst als ständiger Mitarbeiter und ab April 1999 als Politikredakteur für diese Linie.

Wo die eigentliche Bruchlinie in der Konkret-Redaktion verlaufen sein könnte, deutet Elsässer in einem Beitrag in der Jungen Welt an, der im Dezember letzten Jahres erschien. Hermann L. Gremliza, so stellt Elsässer in diesem Artikel fest, unterstützte den alliierten Feldzug gegen den Irak im Jahre 1991, weil "hier einmal aus falschen Gründen und mit falschen Begründungen das Richtige getan zu werden scheint - der Schutz von Israel". Gegen Kritiker verteidigt dieser seine Haltung bis heute: "Der Staat, in den sich die den deutschen Mördern entkommenen Juden gerettet hatten, war in tödlicher Gefahr. Es gibt kein Prinzip, daß es Mitgliedern des Kollektivs'die Deutschen' erlaubte, in solcher Lage anderes zu tun, als Israels Partei zu ergreifen."

Mit dieser Argumentation werde der Eindruck erweckt, so kommentiert Elsässer, Saddam Hussein habe nicht Kuwait, sondern Israel überfallen, und dagegen habe sich eine Abwehrallianz unter Führung der USA gebildet. In Wahrheit wäre es genau umgekehrt gewesen: Die USA hätten zum Schutz ihrer Ölinteressen den - bis dahin verbündeten - Irak angegriffen, und erst in dieser Situation habe Saddam Scud-Raketen auf Israel abgeschossen. Selbstverständlich, so Elsässer, wäre dies verbrecherisch gewesen. Ein neutraler Staat, der die Operation "Desert Storm" nicht unterstützte, wäre damit zum Sündenbock gemacht worden. Doch man sollte, so schlußfolgert Elsässer, Ursache und Wirkung nicht verwechseln: Der Angriff der US-Allianz auf den Irak hätte Israel nicht geschützt, sondern überhaupt erst in tödliche Gefahr gebracht.

Im selben JW-Artikel führte Elsässer aus, was genau er an Konkret im Hinblick auf die Irak-Krise kritisierte. Da sei die US-amerikanische Position der Fortführung des Irak-Embargos als "nachvollziehbar" gelobt worden. Die über eine Million Embargo-Opfer, an deren Schicksal nicht etwa die wirtschaftliche Blockade schuld gewesen sei, sondern "die gezielte Unterversorgung" durch das irakische Regime, seien mit Anführungszeichen verhöhnt worden. Der Gipfel des Zynismus war aus der Sicht Elsässers schließlich die These: "Man könnte die Argumentation der Embargo-Kritiker also auch umdrehen: Eine Aufhebung des Embargos würde das Leiden der Bevölkerung verschlimmern, weil niemand Saddam Hussein mehr dazu bewegen könnte, wenigstens Teile der Öleinnahmen für die Versorgung der Bevölkerung zu verwenden ..." (Konkret, 10/2001).

Die Greuel der westlichen Politik werden verharmlost

Völlig ausgeblendet wurde, so Elsässer, daß die damalige US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright selbst eingeräumt (und gerechtfertigt) habe, daß die USA für diesen Massenmord verantwortlich seien. Am 12. Mai 1996 sei die ehemalige US-Außenministerin im Sender CBS zu sehen gewesen. Der Interviewer Leslie Stahl hätte sie gefragt: "Wie wir gehört haben, sind eine halbe Million Kinder gestorben. Ich denke, das sind mehr als in Hiroshima. Sagen Sie, ist das den Preis wert?" Zum Erstaunen der Weltöffentlichkeit hätte Frau Albright geantwortet: "Ich denke, es ist eine sehr harte Entscheidung, aber den Preis ist es nach unserer Ansicht wert."

Elsässer moniert weiter, daß die Opferbilanz der irakischen Baath-Partei auf der anderen Seite grotesk aufgebläht werde. So wäre in Konkret behauptet worden, daß im Irak ein Krieg schon längst geführt werde. Dieser lang anhaltende Krieg sei "angesichts einer Million Opfer während Husseins Herrschaft keine Marginalie". Diese eine Million Toten seien vor allem "dem staatlichen Terror des Regimes zum Opfer gefallen", hieß es ergänzend in Konkret (4/2002).

Elsässers Laufbahn in der linksextremen Szene verlief bisher mustergültig. Er gehörte dem Kommunistischen Bund (KB) an, der 1991 zu existieren aufhörte, nachdem er sich im Vorjahr in zwei Hälften gespalten hatte. Jürgen Elsässer hatte an dieser Spaltung, die im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung stand, seinen Anteil. Im Januar 1990 veröffentlichte er einen Text unter dem Titel "Warum die Linke antideutsch sein muß". Ein Text, der für sich beanspruchen kann, in der "Szene" eine gewisse "Wirkungsgeschichte" gehabt zu haben. Elsässers zentrale These lautete: Gegen die Art und Weise der Einverleibung der bisherigen DDR durch die kapitalistische BRD zu optieren, genüge nicht. Die Linke übersehe nämlich, daß auch eine Bevölkerungsmehrheit die nationalstaatliche Vereinigung Deutschlands wünsche.

Diese Haltung führte Elsässer vor allem auf die Massendynamik des deutschen Nationalismus zurück. Es genüge daher nicht, so Elsässer, gegen die Entscheidungen kapitalistischer Herrschaftsträger zu protestieren. Es gebe auch historische Momente, in denen man sich dem Wollen einer Bevölkerungsmehrheit entgegenstellen müsse. Eine Minderheitsfraktion im - alsbald auseinanderbrechenden KB - schloß sich dieser Analyse an. Der Grundstein für jene Strömung, die man später "antideutsch" nennen sollte, war damit gelegt worden.

1990 war auch das Jahr, in dem sich eine Reihe von politischen Kräften auf der Linken herauskristallisierten, die radikal bleiben wollten. Alle zusammen diskutierten sie in einem lockeren Dachverband unter dem Namen "Radikale Linke" über ein neues politisches Projekt. Die Debatte um den Golfkrieg 1991 beendete dieses Projekt. Während ein Teil der Koalition vorrangig eine antiimperialistische Position gegen die US-geführte Kriegsallianz einnahm, verortete ein anderer Teil das soeben vereinigte Deutschland auf seiten des irakischen Präsidenten Saddam Hussein. Die in der damaligen Debatte häufig wiederholten Hussein-Hitler-Vergleiche (zum Beispiel durch Hans-Magnus Enzensberger im Spiegel) trugen dazu ebenso bei, wie die Agitation und die Scud-Raketen des irakischen Regimes gegen Israel.

Jürgen Elsässer blieb auch 1991 Kriegsgegner. Doch seine Publikationen (so das Buch "Das neue Gesicht des Antisemitmismus", 1992) hatten einen erheblichen Anteil an der Veränderung der Israel-Debatte in der deutschen Linken. Elsässer machte auf die Gefahren aufmerksam, die aus mancher Projektion linker Deutscher auf die Palästinenser als "kämpfendes Volk" resultierten; zumal wenn dabei der Hintergrund der Entstehung Israels als Nationalstaat - das Scheitern der Assimilation der europäischen Juden und ihre Massenvernichtung - verdrängt werden würde.

Elsässers sophistische Argumentation lief letzlich darauf hinaus, daß in der positiven Bezugnahme auf "Befreiungsnationalismen" oftmals "rechte" Positionen eingeschlossen seien, die aber während der bipolaren Weltordnung des Kalten Krieges eingefroren geblieben seien. Jetzt aber könnten sie eine neue, rechte Dynamik entfalten. Ferner erklärte Elsässer, ein unbewußter Antikapitalismus, der sich auf personifizierte Subjekte statt auf analysierte gesellschaftliche Strukturen beziehe, könne immer wieder in Antisemitismus umschlagen.

Auf der Grundlage dieser Behauptungen versuchte Elsässer in den neunziger Jahren einen neuen Politikansatz zu entwickeln; seinem Hang zur Provokation blieb er sich auch als Publizist treu. Dieser Hang nahm manchmal seltsame Formen an. So entdeckte Elsässer zum Jahreswechsel 1994/95 in einem Konkret-Beitrag "Das Lob der Fremdherrschaft". Darin vertrat er die Auffassung, daß eine der bürgerlichen Aufklärung verpflichtete Herrschaft - als Beispiel zog er die sowjetische Besatzung Afghanistans heran - besser sei als eine reaktionäre Gegenbewegung, die deswegen gegen Fremdherrschaft sei, weil diese eben "fremd" sei.

Nato-Kriegspropaganda als Lüge entlarvt

Schließlich diagnostizierte Elsässer in Konkret einen weltweiten "Aufstand der Stämme", natürlich mit dem deutschen Nationalismus an der Spitze, gegen den es die bürgerlichen Nationalstaaten zu verteidigen gelte. Er machte sich für ein Bündnis mit "US-Republikanern, französischen Gaullisten und russischen Nationalkommunisten" gegen Deutschland stark. Genauso gelte es, so Elsässer, den Staat Serbien gegen die "völkische" Gegenbewegung UÇK zu verteidigen. In der Zeit des Kosovo-Krieges erfolgte der bereits angsprochene Aufstieg Elsässers zum Investigativjournalisten, der die Nato-Kriegspropaganda, mit der die Intervention im Kosovo vorbereitet wurde, - mit oft gut fundierten Argumenten - als bloße Lüge zu entlarven trachtete.

Seiner pazifistischen Orientierung blieb Elsässer auch nach dem 11. September 2001 treu. Dies gilt auch für seine Unberechenbarkeit: So entdeckte er jüngst den "Arbeiter" wieder, was sich zum Beispiel in Konkret-Interviews mit streikenden deutschen Metallgewerkschaftern äußerte. Viele nahmen ihm allerdings sein Konkret-Interview mit dem deutschen Ex-Bundesminister Andreas von Bülow (SPD) übel, der die Frage aufwarf, ob statt Islamisten nicht auch CIA-Agenten ein Motiv für die Attentate vom 11. September 2001 gehabt haben könnten. Soviel Verschwörungstheorie war denn auch vielen linken Sektierern zu viel des Guten.

So mußte fast zwangsläufig ein derart unberechenbarer Kopf wie Elsässer eines Tages an einem linksdogmatischen Betonkopf wie Gremliza scheitern. Elsässers Abgang dürfte die Randexistenz von Konkret weiter zementieren. Es wird aber interessant sein zu beobachten, ob Elsässer seinen Abgang bei Konkret dazu nutzen wird, sich weiter von seinen linksideologischen und antideutschen Scheuklappen zu befreien.


 
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