© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/03 24. Januar 2003


Jetzt wird's ernst!
Die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen markieren Wegscheiden
Paul Rosen

Selten waren Landtagswahlen so richtungsentscheidend für die Bundespolitik wie die bevorstehenden Urnengänge in Hessen und Niedersachsen. Selbst das Schicksal von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hängt am Ausgang besonders der Wahl in Niedersachsen, wo die SPD bisher mit absoluter Mehrheit der Sitze im Landtag regiert. Aber auch in den anderen politischen Schaltzentralen wird mit Spannung auf den Wahlabend am 2. Februar und die ersten Prognosen nach 18 Uhr geschaut. Ob CDU-Chefin Angela Merkel, ob FDP-Chef Guido Westerwelle, Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) oder Niedersachsens Regierungschef Sigmar Gabriel: Für alle sind diese Wahlen entscheidend für ihre politische Zukunft.

Nur die Grünen dürften heil aus dieser "kleinen Bundestagswahl" gut vier Monate nach dem großen Urnengang herauskommen. In allen Umfragen liegen sie bei etwa zehn Prozent, obwohl die einstige Öko-Partei an allen Steuer- und Abgabenerhöhungsbeschlüssen in Berlin beteiligt war. Auch der Führungsstreit und das Auswechseln der Parteiführung hatten keinen Einfluß auf die Wählerschaft, die jedes Umfallen des kleinen Koalitionspartners offenbar als besondere Flexibilität empfindet. Es liegt wohl am guten Ruf des grünen Außenministers Joschka Fischer, der nach wie vor der größte Magnet der Grünen ist, daß die Partei die Serie ihrer Niederlagen erst einmal beenden und sich stabilisieren konnte.

Doch die möglichen Zuwächse der Grünen können die Lage für den großen Partner SPD nicht hinreichend stabilisieren. Die Sozialdemokraten liegen, nachdem sie ihre Wahlversprechen gleich serienweise nicht eingehalten haben, nach Ansicht der Demoskopen in beiden Ländern zwischen 35 und 37 Prozent. Schröder setzt in der jetzt anbrechenden Schlußphase des Wahlkampfes wieder auf ein Thema, das ihn bereits bei der Bundestagswahl gerettet hat: Die Angst der Deutschen vor einem Krieg. Schon notieren die Meinungsforscher aus Allensbach, daß immer mehr Bundesbürger damit rechnen, daß es bald zu einem Krieg der USA gegen den Irak kommt. Zwar gilt immer noch der Grundsatz, daß sich in der Politik nichts wiederholt, aber Schröder versucht alles, diesen Grundsatz zu widerlegen. Und er weiß genau, daß ihn nur eine Neuauflage der Kriegsdiskussion noch retten kann.

Das gilt erst recht für das Hannoveraner Schwergewicht Gabriel. Der SPD-Politiker, der in besseren Zeiten als potentieller Nachfolger von Schröder gehandelt wurde, leistet sich einen der schlechtesten Wahlkämpfe überhaupt. Zuerst wollte er den betuchteren Bürgern mit einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer ans Leder und ließ bereits Plakate drucken: "Ein Prozent Vermögenssteuer für 100 Prozent Bildung". Nachdem die SPD-Führung zu der Erkenntnis gekommen war, daß sich mit Steuererhöhungen jeder Art keine Wähler gewinnen lassen, wurde Gabriel zurückgepfiffen. Der schaltete prompt um und verlangte statt dessen ein Vorziehen der wegen der Elbe-Flut von 2003 auf 2004 verschobenen Steuerreform um ein halbes Jahr. Zugleich wurde darin Gabriels Versuch deutlich, einen Wahlkampf gegen die Genossen in Berlin zu führen, um die eigene Herrschaft zu retten.

Denn sehr zur Beunruhigung dieser Genossen konnte sich Westerwelles FDP in beiden Ländern leicht stabilisieren - wenn auch auf niedrigstem und kritischem Niveau von etwa sechs Prozent. Ein Verbleib im Landtag von Wiesbaden und ein Wiedereinzug ins Leineschloß in Hannover könnte den durch die Möllemann-Affäre angeschlagenen Westerwelle stabilisieren - wenigstens für Monate.

Für die CDU wachsen damit die Chancen, in Wiesbaden mit Koch weiter zu regieren und in Hannover mit Christian Wulff erstmals seit Ernst Albrecht wieder den Ministerpräsidenten zu stellen. Das würde für Schröder gefährlich. Bereits seit den Wahlen in Sachsen-Anhalt verfügt die CDU/CSU über eine stabile Mehrheit im Bundesrat, so daß Schröders Handlungsfähigkeit bereits stark eingeschränkt ist. Würde Niedersachsen an die Union fallen, wäre deren Mehrheit in der Länderkammer erdrückend. Schröders Karriere könnte bei diesem Szenario bald zu Ende gehen. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) hält sich nach in Berlin umlaufenden Gerüchten bereits als Nachfolger bereit. Clement könnte versuchen, mit den Grünen weiter zu regieren. Er könnte aber auch eine Große Koalition bilden wollen, der die Union aber derzeit sehr kritisch (CDU) bis strikt ablehnend (CSU) gegenübersteht. In Bayern sind im Herbst Wahlen und die ließen sich bisher immer noch am besten gegen "die in Berlin" gewinnen.

Für die CDU-Spitzenkandidaten in Hessen und Niedersachsen sind die Wahlen ebenfalls Wegscheiden. Wulffs politische Karriere wäre im Falle der Niederlage endgültig beendet. Der Niedersachse hätte dann seine dritte Wahlniederlage kassiert und würde sich aus der Politik zurückziehen. Ein Sieg von Wulff würde einen Politiker in die Reihe der deutschen Ministerpräsidenten führen, von dem ein CDU-Präsidiumsmitglied erst kürzlich sagte, er sei "nicht schußfest".

Wulff verkörpert eher den Typus des "weichen" und anpassungsfähigen Politikers, er ist kein Kämpfer wie Helmut Kohl es war oder Koch es ist. Vielmehr gehört er, wie der ehemalige SPD-Generalsekretär Franz Müntefering einmal sagte, zu der "Verlierergeneration der CDU". Müntefering meinte damit Politiker wie Jürgen Rüttgers, Peter Müller, Christoph Böhr und auch Christian Wulff, die alle keine wichtige Wahl bestanden hatten. Nur der Saarländer Müller konnte sich von diesem Verlierer-Image befreien. Aber auch ihm half nur die Schwäche der SPD nach 1998, von der jetzt ebenso Wulff profitieren könnte.

Mit Christian Wulff als Regierungschef in Hannover wäre Frau Merkel an der CDU-Spitze erst einmal stabilisiert. Der Niedersachse ist einer ihrer Stellvertreter und treuesten Anhänger in der Partei. Außerdem hätte die CDU-Vorsitzende nach dem nicht gerade berauschenden Ergebnis der Bundestagswahl einen wichtigen Wahlerfolg auf dem Konto. Ihr potentieller Konkurrent Koch wäre jedoch ebenfalls gestärkt. Denn seine Wiederwahl, ob mit der FDP als Partner oder ohne, erscheint sicher. Dann würde sich Koch bald seinem eigentlichen Ziel zuwenden: die Führung der Bundes-CDU in die Hände zu bekommen und 2006 Kanzlerkandidat der Union zu werden.

Die Wähler in beiden Bundesländern entscheiden nicht nur über die Zusammensetzung ihrer Landtage. Vielmehr werden am 2. Februar die Weichen gestellt, welche Charaktere die Bundespolitik der nächsten Jahre maßgeblich bestimmen werden.


 
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