© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/03 24. Januar 2003


"Eine Art Paranoia"
Der bekannte US-Kolumnist William Pfaff über die innenpolitischen und psychologischen Gründe für Amerikas Entschlossenheit zum Krieg am Golf
Moritz Schwarz

Herr Pfaff, die Mehrheit des amerikanischen Volkes will keinen Krieg mit dem Irak, dennoch wird es in den kommenden Wochen aller Vorraussicht nach zu einem Angriff der USA kommen. Wie ist das zu erklären?

Pfaff: Das ist deshalb möglich, weil jene, die in den USA an der Macht sind, glauben, es sei nötig, diesen Krieg zu führen.

Das klingt, als seien die USA eine Bananenrepublik, Amerika ist eine Demokratie mit Verfassung, dort herrscht nicht ein Politbüro.

Pfaff: Eine kleine, aber einflußreiche Gruppe von neokonservativen Intellektuellen bestimmt geistig die Bush-Administration. Diese Intellektuellen operieren mit einem geistigen Werkzeug, der Utopie einer amerikanischen Vision.

Dennoch, die Repräsentation steht im Mittelpunkt amerikanischen Verfassungsdenkens, der Kongreß ist quasi Ausdruck des Volkswillens. Wie ist es möglich, daß eine kleine Gruppe von Intellektuellen dem Volk seinen Willen aufzwingt?

Pfaff: Eine Kriegspolitik hat in Amerika eigentlich zunächst keine Mehrheit, wenn sich dann aber eine Mehrheit dafür im Ausland bildet, die Verbündeten Amerikas zunächst der Logik der US-Regierung folgen, es also eine objektive Notwendigkeit zu sein scheint, diesen Krieg zu führen, dann ändert sich auch die Einstellung der Amerikaner. Aber ich verstehe Ihre Kritik, tatsächlich hat nur der Kongreß die Vollmacht, einen Krieg zu erklären, nicht der Präsident. Daß die meisten Abgeordneten George Bush quasi blind bei seiner Kriegspolitik gefolgt sind und damit ihre Hoheit in dieser Frage von vornherein aufgegeben haben, stellt in der Tat einen schändlichen Verrat an ihrer Verantwortung dar.

Welches Ziel haben diese Intellektuellen für die Vereinigten Staaten von Amerika?

Pfaff: Diese Leute haben die Theorie, die Beseitigung Saddam Husseins würde in der Region einen Schock auslösen, der einen transformatorischen Effekt initiiert, nämlich den Sturz der autoritären Regime dort, etwa in Saudi-Arabien, Ägypten oder Syrien, und der die Palästinenser dazu zwingen würde, mit Israel Frieden zu schließen - welche Bedingungen Israel auch immer stellen mag. Ich halte diese Theorie zwar für unrealistisch und unverantwortlich, aber es ist ja nicht meine Theorie.

Also auf absurde Weise ein "Friedensplan"; kein imperialer Krieg, wie das Ihr Landsmann Chalmers Johnson in der vergangenen Woche in dieser Zeitung dargestellt hat?

Pfaff: In der Tat handelt es sich auf eine indirekte Art um einen imperialen Krieg. Die USA haben eine dominierende Stellung in der Welt erlangt, sie vertreten nach ihrer Auffassung anderen Kultursystemen überlegene, progressive Werte, ja sie fühlen sich gar berufen zu einer historischen Mission, überall in der Welt die Demokratie zu verbreiten. Die Amerikaner haben eine ideologische Sicht auf die Welt, jedoch ist es eine naive Ideologie, sie ist nicht strukturiert. Sie beruht auf etwas Grundlegendem in der amerikanischen politischen Kultur, nämlich daß die Entstehung der USA den Lauf der Geschichte verändert hat, da zum ersten Mal echte Demokratie entstanden ist.

Warum irritiert es die Amerikaner nicht, daß diese Haltung in der ganzen Welt kritisiert wird?

Pfaff: Die Amerikaner glauben, die Europäer zum Beispiel begriffen sie nicht. Die Europäer, die es gewohnt gewesen sind, fremde Länder zu besetzen, um die eigene Macht auszudehnen, verstünden nicht, daß die Amerikaner doch nur deshalb in Übersee intervenieren, um den Völkern dort Freiheit und Demokratie zu bringen. Zwar gibt es in den USA auch eine opponierende Friedensbewegung, doch erscheinen diese Leute dem einen als naiv, dem anderen als unpatriotisch.

Wieso kann sich andererseits die patriotische Opposition in den USA nicht durchsetzen, Ultrakonservative, die die alten amerikanischen Werte ins Feld führen und sagen "Wir sind eine Republik, kein Imperium"?

Pfaff: Sie spielen auf Pat Buchanan an, der aber unglücklicherweise - habe ich "unglücklicherweise" gesagt? - nicht viel Einfluß hat.

Allerdings hat der Isolationismus eine lange Tradition in den USA - und bis 1941 hatte er auch eine Mehrheit.

Pfaff: Weil die Amerikaner damals davon ausgingen, zwei Ozeane schützten sie vor der übrigen Welt. Heute aber ist klar, daß diese natürlichen Barrieren keinen Schutz mehr bieten, ergo ist der Isolationismus als Sicherheitsdoktrin nicht mehr mehrheitsfähig.

Also treten die Amerikaner heute für ein Imperium ein?

Pfaff: Nein, der Begriff "Imperium" hat beim gemeinen Mann auf der Straße immer noch einen schlechten Beigeschmack. Die Neokonservativen sagen ihm aber nun, ein imperiales Ausgreifen diene der Durchsetzung der demokratischen Werte und dem "Kampf gegen den Terror". Tatsächlich glauben nicht wenige Amerikaner daran, daß Saddam Hussein verantwortlich für den Angriff auf das Welthandelszentrum am 11. September sei.

Sie haben bereits von einer "Paranoia" gesprochen?

Pfaff: Viele Amerikaner haben die Vorstellung einer bewaffneten und machtvollen weltweiten Verschwörung gegen sie. Natürlich haben die USA zahlreiche erbitterte Feinde in der Welt, die auch gefährlich sind, aber die Machtposition Amerikas doch nicht im entferntesten erschüttern können. Wir haben es daher in der Tat wohl leider mit einer Art Paranoia zu tun.

 

William Pfaff, Journalist und Buchautor, ist einer der renommiertesten amerikanischen Kolumnisten. Außer für seine "Hauszeitung", die Herald Tribune, schreibt er für Zeitungen in Nord- und Südamerika, Europa und Asien. Geboren wurde er 1928 in Councilbluffs im Staate Iowa. Heute lebt er in Paris.

 

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