© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/03 07. Februar 2003


Geschichtslos
von Carl Gustaf Ströhm

Der sechzigste Jahrestag des Endes der Schlacht von Stalingrad hat wieder das Elend der Deutschen erhellt. Die Nachkommen jener deutschen Soldaten, die zu Hunderttausenden ihr Leben an der Wolga oder später in sibirischen Lagern lassen mußten, fanden nicht die rechte Form, ihrer Toten zu gedenken. Doch es sind, ungeachtet aller Ideologie, immer noch ihre Toten. Es ist bezeichnend, daß der russische Präsident Wladimir Putin bei den Feierlichkeiten im heutigen Wolgograd der gefallenen Deutschen wenigstens mit einem Satz gedachte. Die amtliche deutsche Seite dagegen blieb stumm, nur der Moskauer Botschafter kam letztes Wochende ins frühere Stalingrad.

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, daß der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher bei jeder offiziellen Reise in den einstigen Ostblock darauf bestand, einen Kranz auf einem deutschen Soldatenfriedhof niederzulegen - flankiert von seinen Piloten, Luftwaffenoffizieren in Uniform. Auch Konrad Adenauer hat bei seinem Moskau-Besuch 1955 einen Kranz auf deutschen Soldatengräbern niedergelegt - es waren zwar Tote des Ersten Weltkriegs, aber jeder wußte, daß auch die Opfer des Zweiten gemeint waren. Die politische Klasse der Deutschen hat sich zu einer radikalen Leugnung der eigenen Herkunft entschlossen. Vom jetzigen Außenminister ist das Wort überliefert, deutsche Helden gehörten - Hunden gleich - totgeschlagen. Daß man damit auch seine eigenen Väter totschlagen müßte, wurde zu spät bemerkt. Aber bevor man in die Zukunft schreiten kann, muß man seine Vorfahren in Würde bestatten - sonst ist man nicht frei.


 
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