© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/03 07. Februar 2003

 
Die Angst vor den Falken
Kampf gegen den Terror: Der ehemalige CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer benennt die Irrtümer des Westens und kritisiert den Kriegskurs der USA
Günther Deschner

Nach dem 11. September 2001, in den ersten Tagen des Afghanistankrieges, fragten einige Journalisten in der Pressekonferenz des Weißen Hauses, ob auch ein Krieg gegen den Irak möglich sei. Alle anwesenden Vertre­ter der US-Regierung, auch der Spre­cher des Präsidenten, gaben zur Antwort, man müsse sich erst auf die akute Aufgabe konzentrieren, die Terroristen in Afghanistan zu vernich­ten, ihre Einrichtungen zu zerstören und Osama bin Laden, "tot oder lebendig", zu ergreifen. Man könne aber ein künftiges Vorgehen gegen den Irak nicht ausschließen, falls sich heraus­stellen sollte, daß der Irak wissentlich Terroristen beherberge oder unter­stütze.

Die Journalisten hatten deswegen nachgefragt, weil bekannt geworden war, daß Verteidigungsminister Donald Rumsfeld schon am 13. September im Kriegskabinett darauf hingewiesen hatte, der Zeitpunkt sei günstig, das "Problem Saddam" in einem Aufwasch mit zu erledigen. Aber erst, als dem Anti-Bin-Laden-Krieg die Erfolgsmel­dungen ausgegangen und der "Alte vom Berge" den Bombenteppichen, den Präzisionswaffen und den "besten Soldaten der Welt" auf dem Rücken eines Esels entkommen war, gelang es Rumsfeld, seinem Stellvertreter Paul Wolfowitz und dem Chairman of the Defense Policy Board, Richard Perle, das Thema Saddam Hussein zum Top-Thema der US-Außenpolitik zu ma­chen.

Obwohl Saddam seit Jahrzehnten in seiner säkularistischen Politik der "arabischen Wiedergeburt" jede fun­damentalistische Regung mit stalinisti­schen Polizeistaatsmethoden aus­löschte, wurde er in der Presseabteilung der Bush-Regierung bedenkenlos zum Mäzen fundamentalistischer Terroristen um­funktioniert. Eine Flut von "Erkenntnis­sen" über Bagdads Verbindungen zum internationalen Terrorismus wurde willfährigen Medien zugespielt.

Der Krieg gegen den Irak ist beschlossene Sache

Ri­chard Perle, vom Spiegel nicht zufällig als "Prince of Darkness" titu­liert, berichtete laut ("und dementierte leise") über eine Stippvisite des Flug­zeugattentäters Atta bei Saddam Hussein, und eine schnell ausgegra­bene "frühere Geliebte" Saddams durfte sogar über einen persönlichen Besuch bin Ladens bei dem Tyrannen vom Tigris fabulieren. Beobachter fühlten sich an 1991 erinnert, kurz vor dem ersten Golfkrieg, als die US-Propaganda eine sympathische junge Frau vor laufender Kamera erschüt­ternde Berichte über von Saddams Soldaten aus Brutkästen gerissene Babys erzählen ließ. Die "verzweifelte Mutter" stellte sich allerdings hinterher als Nichte des kuwaitischen Bot­schafters heraus und die Geschichte als einer der zynischsten Fälle von inszenierter Irreführung der ganzen Welt.

Inzwischen gilt als gesicherte Erkennt­nis, daß es Verbindungen Bagdads zum fundamentalistischen Terrorismus nicht gibt und in den letzten Jahren auch nicht gegeben hat. Eine kleinere, vagabundierende fundamentalistische Gruppe, die Ansar al-Islam, die sich im Norden des Irak, in der von der alliier­ten Luftwaffe kontrollierten Schutzzone für die Kurden, festgesetzt hat, hat mit Bagdad nichts zu tun und wird seit Monaten von Einheiten des mit Wa­shington verbündeten Kurdenführers Dschalal Talabani zerniert.

Trotzdem ist der Krieg gegen den Irak beschlossene Sache. Offenbar war das schon vor Beginn der UN-Waf­feninspektionen so, und ihr Ergebnis ist auf die Entscheidung der Bush-Männer ohne Einfluß. Schon im Okto­ber letzten Jahres beschied Richard Perle den ihm aus der Zeit der Nachrüstungsdebatte und des Nato-Dop­pelbeschlusses der achtziger Jahre gut bekannten ehemaligen CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer, es gebe "Null Chance", die amerikanische Kriegspo­litik gegenüber dem Irak noch zu beeinflussen. Die Würfel seien längst gefallen. "It is too late - Dafür ist es zu spät."

Über diese Art, mit Krieg und Frieden umzugehen, ist der Amerika in tiefer Freundschaft und Bewunderung ver­bundene Unions-Mann mehr als konsterniert. Der Weg, den Amerika ("dieses wunderbare Land") einzu­schlagen droht, ist für ihn ein Akt verhängnisvoller Willkür. Todenhöfer ist empört, erschüttert und enttäuscht. Und das bringt er, wie es seiner un­verstellten Wahrheitsliebe entspricht, auch zum Ausdruck. In Zeitungsarti­keln, Fernsehauftritten und einem gerade erschienenen Buch greift er die Politik der Bush-Regierung an: "Bush will diesen Krieg. Einen Krieg, der unnötig, kontraproduktiv, unmoralisch und völkerrechtswidrig ist. Aber Recht ist nicht das, was George W. Bush recht ist." Sein Fazit: "Also müssen wir uns diesem Krieg entgegenstellen."

Im Lager der Union, deren Mitglied Todenhöfer noch heute ist, ist eine weniger reflektierte Einstellung ver­breitet. "Right or wrong - my America", scheint dort die Devise zu sein, in der sich das ebenso sachlich richtige, wie tolpatschig plazierte "Nein" des wahlkämpfenden Bundeskanzlers ein wenig spiegelt. Kaum jemand aus dem Uni­onslager, der sich in den letzten Wo­chen zum Thema Irak-Krieg geäußert hat, dürfte sich auf der Höhe der Dis­kussion befinden. Die Merkels, Stoi­bers oder Kohls, die halt eine "Erklä­rung" abgeben (müssen), ohnehin nicht. Aber auch die zu Experten für Außenpolitik ernannten Wolfgang Schäuble oder Friedbert Pflüger wir­ken in TV-Runden sichtlich überfor­dert.

Anders Todenhöfer: Ihm kann nie­mand nachsagen, er verstehe nichts von der Materie. Als Abgeordneter bereiste er in den achtziger Jahren mehr­fach heimlich und unter Lebensgefahr das von der sowjetischen Invasion heimgesuchte Afghanistan, begleitete die Mudschaheddin und wurde sach­kun­dig. Zuhause ging er engagiert gegen die Gleichgültigkeit westlicher Politiker an, organisierte den Protest gegen die Sowjetunion und Hilfe für die geschun­denen Menschen. Im vergangenen Jahr war er zudem im Irak, wo er Repräsentanten internatio­naler Hilfsorganisationen über die Auswir­kungen der UN-Sanktionen befragte und das Gespräch mit den einfachen Menschen suchte.

In seinem Buch gibt Jürgen Todenhöfer dem Leid, das er in Afghanistan und im Irak gesehen hat, Gesichter und Namen: Abdul und Tanaya. Der afghanische Jugendliche Abdul war durch russi­sche Brandbomben hoffnungslos zugerichtet. Durch Vermittlung Toden­höfers konnte er nach Deutschland ausgeflogen und in einer Tübinger Klinik gerettet werden. Ihm stellt er das schlimme Schicksal der 16jährigen Tanaya entgegen, einem Sanktions­opfer, dem er in einem Kinderheim in Bagdad begegnete.

Er verurteilt die Verharmlosung ziviler Opfer, der "Kollateralschäden", die billigend in Kauf genommen werden, wenn - diesmal amerikanische - Falken einzelne Terroristen mit Hilfe ganzer Bomberflotten "fangen" wollen.

Das ist keine selbstverständliche Aktivität für einen Mann, der 1987 die Politik verließ, Verlagsmanager wurde und der heute stellvertretender Vor­standsvorsitzender und damit nach dem Verleger die unumstrittene, meist im Hintergrund bleibende Nummer zwei im Burda-Konzern ist. In der Branchenpresse stößt man auf seinen Namen meist in Verbindung zu ir­gendeiner Bambi-Preisverleihung oder zu einer Top-Personalie aus den Burda-Blättern.

Früher stand der Politiker, der rund zwanzig Jahre als Abgeordneter der CDU dem Deutschen Bundestag angehörte, des öfteren im Rampen­licht. Als Experte für Sicherheits-, Entwicklungs- und Rüstungskontroll­politik arbeitete und verhandelte er auch mit Politikern der USA über die Umsetzung des von Helmut Schmidt initiierten Nato-Doppelbeschlusses, um der Sowjetunion deutlich zu ma­chen, daß die Aufstellung ihrer gegen Westeuropa gerichteten SS-20-Rake­ten nicht hingenommen werden würde. Es wird in dieser Zeit gewesen sein, daß sich seine Sympathie und seine Freundschaftsgefühle für die USA verfestigten.

Die USA kooperieren mit vielen Unrechtsregimes

In der Union galt der verbindliche und versierte Politiker als "rechts" und als entschieden antikommunistisch: Wie seinen Fraktionskollegen Abelein, Jäger (Wangen) und noch ein paar anderen gefiel ihm die pointierte, kämpferische politische Haltung des damaligen Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß besser als der oft ge­sichtslose Kurs und die fatale Neigung zum "Aussitzen" des großen Vorsit­zenden Kohl. Unvergessen sein auf Kohl gemünztes Bonmot "Im Schlaf­wagen kommt man nicht an die Macht."

Die Haltung der heutigen CDU zu Bushs Kriegsplänen macht ihn fas­sungslos. "Die Union", sagt er, "hatte als Regierungspartei offensichtlich weniger Probleme, sich aus Kriegen rauszuhalten. Und jetzt, in der Opposi­tion, schafft sie es nicht, laut Nein zu sagen. Dabei spürt fast jeder Mensch, wie ungesetzlich und unmoralisch dieser Krieg wäre."

Über den politischen Charakter des Saddam-Regimes macht er sich keine Illusionen: Willkür, Polizeimethoden, Mord an politischen Gegnern sind in vielen Staaten des Nahen Ostens gang und gäbe, nicht erst seitdem Saddam Hussein die Bühne der Politik betrat. Seine Überfälle auf Nachbar­staaten, sein Hang zu Massenver­nichtungswaffen - das alles macht den Tyrannen von Bagdad auch in Toden­höfers Augen zu einem verabscheu­ungswürdigen Zeitgenossen.

Trotz seiner unglücklichen Liebe zu Amerika hat sich Todenhöfer doch einen recht klaren Durchblick bewahrt, sonst könnte er so zutreffende, zor­nige, fast verachtungsvolle Sätze wie diese nicht schreiben: "Abgesehen davon, daß Angriffskriege zur Abset­zung von Diktatoren im Völkerrecht nicht vorgesehen sind, spricht die zunehmende Zahl der Unrechtsre­gimes, mit denen die USA seit George W. Bushs Machtübernahme freund­schaftlich kooperieren, gegen dieses edle Motiv. Der Antiterrorfeldzug hat die Zahl der diktatorischen Verbünde­ten der USA sprunghaft steigen las­sen. Zu der 'mächtigen Koalition zivili­sierter Nationen' (Bush) gehören schreckliche Gewaltregime, nicht nur in Tadschikistan und Usbekistan. Noch nie wurden kriminelle Diktatoren von einem amerikanischen Präsidenten so umworben wie nach dem 11. Septem­ber. Man muß schon eine Weltan­schauung aus dem Legoland haben, um diese Unterstützung des Bösen zur Ausrottung des Bösen moralisch nachvollziehen zu können."

Saddam Husseins Irak gemäß den UN-Beschlüssen zu entwaffnen und zu kontrollieren, hält er für völlig richtig - "Aber nicht durch einen Krieg". Als Beleg für die Wirksamkeit konse­quenter Inspektionen zitiert er die deutsche Chef-Inspektorin für Bio-Waffen, Gabriele Kraatz-Wadsack, mit einem einfachen Satz, der die offiziel­len Kriegs-argumente des amerikani­schen Präsidenten entkräftet: "Wir haben mehr Massenvernichtungswaf­fen vernichtet als die Alliierten im Golfkrieg."

Das Land sei noch nie so geschwächt gewesen wie jetzt, die Situation noch nie so günstig, um all die Bedingungen durchzusetzen, die erforderlich sind, um die vermeintliche Bedrohung durch den Irak einzudämmen. "Aber den USA geht es nicht um die Inspektoren. Sie wollen diesen Krieg aus anderen Gründen."

Sie werden von Todenhöfer der Reihe nach sehr faktenreich sortiert und ergeben ein ganzes Bündel: Im Mittel­punkt stehen die rohstoffpolitischen Überlegungen, die auch schon in der Operation gegen Afghanistan eine hintergründige Rolle spielten. Die Etablierung eines gefälligen Systems im Irak und die damit verbundene Kontrolle über die zweitgrößten, viel­leicht sogar größten Erdölreserven der Welt würde die alptraumartige Abhän­gigkeit der USA von Saudi-Arabien verringern und die Reichtümer der die USA wirklich beherrschenden Kreise, Grup­pen und Cliquen auf angenehme Weise mehren.

Wer weint da schon um Abdul und Tanaya und um die paar hundert unserer "fine soldiers", die auch dies­mal wieder beim vollelektronischen Entenschießen im Irak ihr Leben ver­lieren werden - wie üblich bei diesen Kriegen durch Unfälle und "friendly fire"?

Foto: Irakische Mutter mit ihrem Kind am 29. Januar bei einer Anti-Kriegs-Demonstration in Bagdad: "Weltanschauung aus dem Legoland"

 Jürgen Todenhöfer : Wer weint schon um Abdul und Tanaya? Die Irrtümer des Kreuzzugs gegen den Terror. Herder Verlag, Freiburg 2003, 232 Seiten, geb., 19,90 Euro

 

Dr. Jürgen Todenhöfer, am 12. November 1940 im badischen Offenburg geboren, studierte Rechts- und Staatswissenschaften in München, Paris, Bonn und Freiburg. Nach dem juristischen Staatsexa-men und der Promotion war er zunächt persönlicher Referent des CDU-Generalsekretärs Bruno Heck, danach wissenschaftlicher Assistent an der Universität Freiburg. 1972 wurde er Richter am Landgericht Kaiserslautern. Seit 1970 Mitglied der CDU, gehörte er von 1973 bis 1989 dem Deutschen Bundestag an. Er war entwicklungspolitischer und später abrüstungspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Von 1981 bis 1989 gehörte er dem Auswärtigen Ausschuß an. Seit 1990 ist Jürgen Todenhöfer Vize-Vorsitzender der Hubert Burda Media Holding.

 

Günther Deschner war leitender Mitarbeiter der Tageszeitung Die Welt und bereiste häufig die Länder des Nahen Ostens. Er ist Autor mehrerer Bücher zur Kurdenfrage, darunter "Die Kurden". Eine aktualisierte Neuausgabe wird im Sommer im Herbig Verlag erscheinen.


 
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