© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/03 14. Februar 2003

 
Meldungen

Wahr ist, was ankommt und was funktioniert

BONN. Der Philosoph Karl Jaspers konnte Ende der sechziger Jahre noch davon überzeugt sein, daß es in der Wissenschaft um "Wahrheit" gehe. Heute, so der Bonner Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin, gehe es im innerwissenschaftlichen Dialog nicht mehr um Wahrheit sondern "publizistische Resonanz" (Forschung &Lehre, Heft 1/03). Mehrheiten in Gremien bestimmten, was erforscht werde und was nicht - "also das, was künftig als Wissen gesellschaftlich verfügbar ist und was verschwiegen bleibt". Nicht Wahrheit sei regulative Idee, sondern der Erfolg in Gremien. Ladenthin, der den politischen Aspekt dieser Entwicklung unbeachtet läßt, konzentriert sich stattdessen auf die Kritik der allumfassenden Funktionalisierung der Wissenschaften. In den Naturwissenschaften gelte nur noch als wahr, was funktioniere. "Alles, was nicht funktioniert, wird aus dem wissenschaftlichen Dialog verbannt." In den Geisteswissenschaften werde entsprechend Wahrheit durch "Akzeptanz" ersetzt. Öffentliche Akzeptanz werde zum Kriterium für die Qualität von Aussagen. Kein Wunder, wenn die literarische Öffentlichkeit nicht von einem ausgebildeten Germanisten, sondern von einem Mann wie Marcel Reich-Ranicki beherrscht werde, die stolz von sich behaupte, er habe als Autodidakt begonnen und sei es geblieben. Dies zeige in schönster Anschaulichkeit, wie weit die Marginalisierung der Wissenschaft inzwischen fortgeschritten sei.

 

Spätes Stimmrecht für Martin Bucer

HEIDELBERG. Seit über zwanzig Jahren unterstützt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) das Vorhaben der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, die Schriften und Briefe eines heute nahezu unbekannten Mannes zu edieren. Der Kirchenhistoriker Gottfried Seebaß sieht darin ein Stück "Demokratie", wenn auf diese Weise einem Zeitgenossen Luthers, dem Theologen Martin Bucer (1491-1551), ein "Stimmrecht" im zeitgenössischen Diskurs wiedergegeben wird (Ruperto Carola. Forschungsmagazin der Universität Heidelberg, Heft 2/02). Bucer, der vor allem in Straßburg als reformatorischer Streiter für die Sache Wittenbergs kämpfte und dem die Deutsche Post 2001 eine Sonderbriefmarke widmete, ist erst nach 1945 sukzessive wiederentdeckt worden. Zwölf Bände seiner von Seebaß herausgegebenen "Deutschen Schriften" liegen vor. Die Korrespondenz, die man, ebenfalls gefördert von der DFG, an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen zu entziffern versucht, wird wohl erst in Jahren zu lesen sein. Unter dem Aspekt der langen Dauer würden solche Forschungsprojekte in Zeiten knapper Kassen skeptisch betrachtet. Trotzdem, so Seebaß, handele es sich hier um "kulturwissenschaftliche Grundlagenforschung", die allen historischen Wissenschaften und noch weiteren Forschergenerationen zugute komme.


 
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