© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/03 21. Februar 2003


Deutschland
Werden wir endlich erwachsen!
Dieter Stein

Am vergangenen Samstag sammelten sich eine halbe Million Menschen im Tiergarten und am Alexanderplatz in Berlin, um gegen die Irak-Politik der USA zu demonstrieren. Es soll die größte Anti-Kriegsdemonstration der Nachkriegszeit in Deutschland gewesen sein. Viele Teilnehmer waren vielleicht sogar das erste Mal in ihrem Leben auf einer Demonstration. Während seine Partei, die SPD, bei Umfragen bei 25 Prozent liegt, sieht sich Bundeskanzler Schröder von einer Welle der Zustimmung für seine Außenpolitik getragen.

Inzwischen hat die Diskussion über den möglicherweise kommenden Krieg im Irak fast schon einen Sättigungsgrad erreicht. Die Regierungen haben erkannt, daß die Öffentlichkeit alarmiert ist, nun steuern wir aber einer Hysterie entgegen. Eine gewisse Ermüdung setzt bei manchen ein, viele können das Thema schon nicht mehr hören, wie beim Fernsehen wird "weggezappt", es können ruhig wieder andere "Knaller" auf die Tagesordnung kommen.

Dennoch ist fraglich, was von dieser diffusen "Anti-Kriegs"-Stimmung, vom trotzigen Aufbegehren gegen den übermächtigen Verbündeten USA bleibt. Eine Umfrage des Magazins Spiegel unter 1.000 Befragten in Deutschland brachte verblüffende Zahlen zutage. Demnach teilen 69 Prozent die Haltung von Bundeskanzlers Schröder. Die von manchen Politikern aufgeworfene Frage, ob die Deutschen den Amerikanern dankbarer sein sollten für ihren Einsatz "beim Wiederaufbau Westdeutschlands" und den militärischen Schutz, wird von 62 Prozent verneint. Von wem "die größte Gefahr für den Weltfrieden" ausgeht, beantworten die Befragten eindeutig: 53 Prozent sehen in den USA das Hauptproblem, gefolgt vom Irak (28 Prozent) und Nordkorea (9 Prozent).

Derzeit wissen die Deutschen vor allem, was sie nicht wollen: Krieg, Militäreinsätze außerhalb Europas, amerikanische Bevormundung. Diese Haltung artikuliert die Bundesregierung offensichtlich zur Zufriedenheit einer Mehrheit der Bürger. Wohin aber langrfristig die Reise in Deutschland und Europa gehen soll, ist den meisten schleierhaft.

Es kursieren derzeit Meldungen, die USA hätten einen Totalstopp von Investitionen in ihre deutschen Militärstützpunkte verhängt. Von einem massiven Rückbau der Militärpräsenz, von Truppenabzug ist die Rede. Großartig, kann ich nur sagen. Nach dem Mauerfall in Berlin die beste Nachricht seit zwölf Jahren.

Nur: Dies bedeutet, daß Deutschland, daß die Mitte Europas endlich militärisch auf eigenen Füßen stehen muß. Dafür ist ein Preis zu zahlen. Die Entmilitarisierung Deutschlands, die Zerschlagung und Herunterwirtschaftung der Bundeswehr und der deutschen Rüstungsindustrie müssen gestoppt werden. Wenn wir uns von den USA emanzipieren wollen - gut! Dann müssen wir aber politisch erwachsen werden. Ansonsten werden wir uns bei nächster Gelegenheit (unter Kanzlerin Merkel?) wieder an die amerikanischen Rockschöße klammern.


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