© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/03 07. März 2003

 
Mit einer fremden Mentalität konfrontiert
Rußlanddeutsche: In Potsdam wurden auf einem Kongreß Integrationsprobleme und Identitätsfragen diskutiert
Helena Schäfer

Integration ist keine Einbahnstraße, sondern muß von beiden Seiten gewollt und erstrebt werden. Aus diesem Grund trafen sich Deutsche und Rußlanddeutsche am Donnerstag abend zu einer Podiumsdiskussion des "Deutschen Kulturforum östliches Europa" in Potsdam, um Erfahrungen und Erkenntnisse zum Thema "Rußlanddeutsche heute, Identität und Integration" auszutauschen.

Rund 200 Interessierte haben sich zu der von Henning von Löwis of Menar, Redakteur beim Deutschlandfunk, moderierten Gesprächsrunde im ehemaligen Rathaus am Alten Markt in der Landeshauptstadt Brandenburgs eingefunden. Auf dem Podium: Jelena Hoffmann, Bundestagsabgeordnete der SPD, "nicht nur die einzige aus Rußland, sondern auch die einzige im Ausland geborene Abgeordnete im Bundestag", Barbara John, Beauftragte für Migration und Integration des Berliner Senats, Ulla Lachauer, Autorin des Buchs "Ritas Leute. Eine deutsch-russische Familiengeschichte", die Protagonistin des Buchs, Rita Pauls, sowie der Historiker Gerd Stricker.

Die zentralen Fragen drehten sich um die Probleme der Integration und das diffamierende Bild der Rußlanddeutschen in der Öffentlichkeit. John bezeichnete die Rußlanddeutschen als eine unsichtbare Minderheit, die es durch mangelnde Einmischung in öffentliche Angelegenheiten zulasse, daß positive Errungenschaften unbemerkt blieben und Berichterstattungen der Medien sich auf Negativschlagzeilen beschränkten.

Diese latente "Aussiedlerfeindlichkeit" habe verschiedene Gründe. Den Kern des Problems brachte Jelena Hoffmann auf den Punkt: man wisse zu wenig voneinander. Die meisten wüßten nichts über die schicksalhafte Geschichte der Rußlanddeutschen und reagierten mit Unverständnis. Auf der anderen Seite hätten die meisten Aussiedler aus bekannten Gründen nichts mehr von der deutschen Kultur mitbekommen und sähen sich mit einer fremden Mentalität konfrontiert. Einerseits würden sich "die Russen" zu sehr abkapseln, andererseits träte man ihnen nicht gerade mit offenen Armen entgegen. Der Integrationsgrad hinge zudem stark vom Zeitpunkt der Einreise ab. Die schon länger in Deutschland lebenden Russlanddeutschen hätten sich zumeist bereits integriert. Problematisch seien nur die erst vor wenigen Jahren angekommenen Aussiedler, vor allem die Jugendlichen unter ihnen. Während viele Eltern gerade aufgrund der besseren Perspektiven für ihre Kinder in die historische Heimat zurückkehrten, sehnten sich diese nach ihrer alten Umgebung: So bliebben diese unter sich und verpaßten in Deutschland oft den Anschluß. Weil Integration vor allem über den Kontakt mit den Einheimischen stattfindet, waren sich alle Teilnehmer einig, daß man sich verstärkt um einen Dialog bemühen müsse. John plädierte dafür, den Rußlanddeutschen mehr Möglichkeiten zu bieten, kündigte aber gleichzeitig Kürzungen des Senats in diesem Bereich an. Integrationshilfe sei freiwillig und werde meistens als erstes gekürzt.

Die Diskussion verlief unter einer regen Anteilnahme des Publikums und hat durch den Erfahrungsaustausch und die oftmals kontroversen Dialoge vielleicht schon einen kleinen Teil zur Entstehung eines konstruktiven deutsch-rußlanddeutschen Dialogs beigetragen.


 
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