© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/03 07. März 2003

 
"Die deutsche Fahne schwenken"
Interview: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche widersetzt sich in der Irak-Frage seiner Fraktion und fordert nationales Selbstbewußtsein statt "Dank für die Befreiung"
Moritz Schwarz

Herr Nitzsche, Sie haben zusammen mit Peter Gauweiler als einziger von 248 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Union, der eine Unterstützung der Irak-Politik der USA fordert, votiert. Warum haben Sie "allein gegen alle" gestimmt?

Nitzsche: Weil ich, ebenso wie meine Kollegen Willy Wimmer und Rainer Eppelmann, die ursprünglich auch den Antrag Peter Gauweilers unterstützt haben, der Meinung bin, daß in dieser Frage die Friedensmahnung des Papstes und der evangelischen Kirchen für die Union Vorrang vor unserer atlantischen Freundschaft haben muß. Bedenken Sie, daß wir Deutsche durch den Bombenkrieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg mindestens 600.000 Opfer zu beklagen hatten - ich sage mindestens, weil mir die offizielle Totenzahl von Dresden mit 35.000 Opfern unglaubwürdig niedrig erscheint -, allzuviele meiner Fraktionskollegen scheinen dieses Leid heute aber vergessen zu haben.

Allerdings kritisieren Sie auch den Mangel an deutscher Souveränität, der durch den Entschließungsantrag unterschwellig zum Ausdruck kommt.

Nitzsche: Ja, denn mit Erschrecken haben viele von uns in den neuen Bundesländern nach 1990 festgestellt, daß viele Menschen in den alten Bundesländern offenbar vergessen haben, wie die deutsche Fahne aussieht! Ich aber habe sie 1989 geschwenkt, und zwar nicht nur für die Einheit unseres Vaterlandes, sondern auch für die Freiheit und den "aufrechten Gang". Für viele Deutsche hier war sie ein Zeichen, endlich das sagen zu dürfen, was man denkt und seinem Gewissen folgen zu können, statt tun zu müssen, was man uns im Namen der angeblichen "Lehren aus der Vergangenheit", - damals war das der Antifaschismus, heute ist es die "Vergangenheitsbewältigung" und der "Dank für die Befreiung" - aufzwingen will. Dafür bin ich schon im Oktober 1989 nicht auf die Straße gegangen, dafür habe ich damals nicht den Demokratischen Aufbruch aufgebaut!

Sie haben Ihren Protest in einem Brief an Angela Merkel deutlich zum Ausdruck gebracht, wie war die Reaktion?

Nitzsche: Laut Satzung bin ich dazu verpflichtet, die Fraktionsführung vorher zu informieren, und man hat meine Position nach einer Unterredung schließlich akzeptiert.

Gab es hinterher Schmähungen oder heimliches Lob für Ihre Entscheidung von seiten der Kollegen?

Nitzsche: Nicht in erwähnenswertem Maße. Natürlich stehe ich grundsätzlich hinter unserer Fraktionschefin Angela Merkel, ich bin aber als Träger eines Direktmandates moralisch genauso den Wählern meines Wahlkreises verpflichtet. Ich kann unserer CDU nur raten, in dieser Frage ihre Politik mehr an den Bedürfnissen der Menschen im Land auszurichten! Mein Wahlkreis ist beinahe einhellig gegen einen Krieg im Irak. Ich habe nicht eine einzige kritische Stimme von dort für mein Abstimmungsverhalten zu hören bekommen, wohl aber viel Zustimmung. Wir sollten nicht vergessen, daß weder Amerika noch die "Vergangenheitsbewältigung" unser Souverän ist, sondern das deutsche Volk. 

 

Henry Nitzsche, 43, von Beruf Forstfacharbeiter und Verwaltungswirt, war 1989 Mitbegründer des Demokratischen Aufbruch, wechselte dann zur DSU und 1993 zur CDU. Er war von 1994 an Landtagsabgeordneter in Sachsen, bis er 2002 für den Wahlkreis Kamenz-Hoyerswerda in den Bundestag gewählt wurde.

 

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