© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/03 07. März 2003

 
Die Gemeinschaft der Unwilligen
Irak-Konflikt: Die Ukraine und Weißrußland stehen vor der Wahl zwischen Europa und Amerika
Tatjana Montik

Während die offizielle Antikriegshaltung in Rußland auf den ersten Blick eindeutig formuliert erscheint, wird selbst innerhalb der schwächelnden Weltmacht, der einst gute Kontakte zu Saddam Hussein nachgesagt wurden, in breiten öffentlichen Kreisen, in den Massenmedien, im Internet und im Fernsehen darüber diskutiert, wie sich Rußland bei der kommenden Abstimmung im Uno-Sicherheitsrat verhalten sollte: mit einem Veto oder doch mit einer Enthaltung (was politisch gesehen diplomatischer und nicht so folgenträchtig wäre).

Rußlands Nachbarn und seine ehemaligen strategischen Partner, die Ukraine und Weißrußland, haben es in dieser Hinsicht noch schwerer: Obwohl ihre Regierungen offiziell die Haltung Rußlands unterstützen, werden diese Länder von weit auseinandergehenden und breitgefächerten Stimmungen beherrscht und dabei teilweise von unterschiedlichsten Motiven geleitet.

Der an der südwestlichen Grenze zu Rußland liegenden Ukraine fällt es offenbar schwer, eine eindeutig Moskau-nahe Position zu beziehen. Und das aus einem einfachen Grund: Die Ukraine hat sich immer noch nicht entschieden, mit wem sie am liebsten mitschreiten will, mit ihrem slawischen und eher dominant auftretenden Bruder Rußland oder mit dem fernen, vielversprechenden und wirtschaftlich mächtigen Amerika. Das Schicksal wollte es so, daß in der jüngsten Vergangenheit einige auf die USA gerichtete Hoffnungen enttäuscht wurden. Die Ukraine fühlte sich von dem "großzügigen und allmächtigen amerikanischen Onkel" politisch und wirtschaftlich vielfach im Stich gelassen. Konfliktgrundlage boten zahlreiche Unstimmigkeiten zwischen den USA und dem Nachfolger der einstigen "Weizenkammer der Sowjetunion".

Die Ukraine fühlt sich von den USA im Stich gelassen

Die Ukraine wurde im vorigen Jahr von den Vereinigten Staaten bezichtigt, dem Irak heimlich Radaranlagen geliefert zu haben. Auch wurden von den USA mehrere strittige Fragen im Zusammenhang mit dem Schutz des geistigen Eigentums aufgeworfen, wobei erklärt wurde, die Ukraine hielte die Autorenschutzrechte (Stichwort: Massenverkauf von Raubkopien vor allem aus der Musikbranche) nicht ein. Dazu kam die Kritik der Amerikaner, daß die Ukrainer den notwendigen Kampf gegen die Geldwäsche nicht ausreichend unterstützen würden. Die USA weigerten sich außerdem, der ukrainischen Wirtschaft den Status einer Marktwirtschaft anzuerkennen, was den Beitritt dieses Landes in die Welthandelsorganisation (WTO) weiterhin verhindert.

Dies ist nur ein Teil der konfliktträchtigen Themen in den ukrainisch-amerikanischen Beziehungen, die den jungen postsowjetischen Staat dazu bewogen haben, seine Hoffnungen und Erwartungen erneut dem alten "größeren russischen Bruder" (Bezeichnung aus der Sowjet-Epik) zuzuwenden.

Während des Gipfeltreffens der GUS-Staaten Anfang Februar in Kiew wurde der ukrainische Präsident Leonid Kutschma für seine Treue zu Moskau ausgiebig belohnt: Auf Initiative seines russischen Amtskollegen Wladimir Putin wurde er zum Vorsitzenden des höchsten GUS-Gremiums gewählt und hat demzufolge auf diesem Posten den russischen Präsidenten abgelöst. Somit steht er als erster Nicht-Russe an der Spitze dieses wichtigen politischen Organs. Eine hohe Anerkennung, der er erst noch gerecht werden muß.

Die in Kiew geäußerten Freundschaftsbekundungen zwischen zwei slawischen Brüdern wollten kein Ende nehmen. Zur Freude der russischen Nachbarn trug auch die Tatsache bei, daß der ukrainische Staatschef gewillt war, im offiziellen Verkehr mit dem russischen Präsidenten von seinen Russisch-Kenntnissen wieder einmal Gebrauch zu machen und auf einen Dolmetscher zu verzichten. Die Gastfreundschaft der Kiewer insbesondere gegenüber den russischen Freunden schien beim letzten GUS-Treffen keine Grenzen zu kennen.

Nun scheinen viele wirtschafts- und finanzpolitischen Fragestellungen in der Außenpolitik der Vereinigten Staaten von ihrer militärische Doktrin völlig verdrängt zu sein. Und ausgerechnet jetzt, zu Zeiten, in denen sich die Beziehungen der Vereinigten Staaten zur Ukraine etwas zu glätten scheinen und die Kontakte des offiziellen Kiews zum amerikanischen Parlament und zur US-Regierung einen neuen Aufschwung bekommen, steht dieses postsowjetische Land mit seiner Antikriegshaltung wieder etwas unsicher da: Hat es sich vielleicht doch voreilig entschieden?

Am 15. Februar hat in der ukrainischen Hauptstadt genauso wie in vielen anderen europäischen Metropolen eine Antikriegsdemonstration stattgefunden. Als Massenprotest läßt sie sich jedoch beim besten Willen nicht bezeichnen, in Kiew gingen an jenem Tag gerade mal 1.500 Menschen auf die Straße, um gegen die amerikanische Kriegspolitik zu demonstrieren. Die Vertreter der sozialistischen und der kommunistischen Parteien sowie der ukrainischen Grünen und des "Pro-russischen Blocks" versammelten sich am Hauptboulevard der Stadt, Krestschatik, und zogen dann in Richtung der amerikanischen Botschaft, wo eine Antikriegsmanifestation stattfand.

In den einschlägigen ukrainischen Zeitungen wird die offizielle Antikriegshaltung der Regierung ebenfalls unterstützt. In der als pro-amerikanisch zu bezeichnenden Presse hingegen kommen etwas andere Stimmungsnuancen auf. So zum Beispiel in der Wochenzeitschrift Korrespondent, dem ukrainischen Pendant zum amerikanischen Magazin Newsweek.

Auf der Titelseite dieser Zeitschrift erschien neulich ein Foto Jacques Chiracs bei seinem freundschaftlichen Händedruck mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Dazu gab es einen pikanten Kommentar: "Bin zwar kein Feigling, hab' aber Angst. Die Krise um den Irak nimmt kein Ende. Die USA sind zu Handlungen bereit, während Deutschland und Frankreich Saddam zu viel Nachsicht schenken." Schlauerweise wurde Rußland, wohl aus taktischen Erwägungen, nicht erwähnt.

Das Fazit des Leitartikels lautete: Die Irak-Krise stellt für die europäisch-amerikanischen Beziehungen sowie für das Nato-Bündnis eine Prüfung dar. Nach dieser Prüfung werden in der Weltpolitik möglicherweise völlig neue geopolitische Akzente gesetzt. Die Position der Ukraine in der Irak-Krise wird aufs Schärfste kritisiert: Bereits jetzt sähe man, daß "die Ukraine im Irak-Test durchgefallen ist, indem sie unter Nichtbeachtung der Uno-Sanktionen an Saddam Hussein Radaranlagen verkaufte". Daß für diesen Verkauf keine Beweise gefunden wurden, sei nebensächlich. Diese Tatsache wird mit den bisherigen Resultaten der Uno-Waffeninspekteure verglichen, die auch im Irak bisher keine Beweise für die Produktion von chemischen Waffen erspähen konnten.

In dieser pro-amerikanisch gesonnenen Zeitschrift wird eindeutig Kiews zögernder Einstellung zur Irak-Krise Ausdruck verliehen.

Weißrußland als treuer Freund Saddams?

Noch vor der Demonstration in Kiew hat die sogenannte weißrussische Linke (dazu zählen verschiedene patriotische und kommunistische Vereine) ein Schreiben an den Präsidenten der USA, den amerikanischen Kongreß und das gesamte amerikanische Volk gerichtet, in dem die Regierung der USA dazu aufgefordert wird, für die Irak-Krise eine friedliche Lösung zu finden. Die weißrussischen "Linken" bezeichnen die Politik der USA als aggressiv und treten "für das irakische Volk ein sowie für andere Völker, darunter auch das weißrussische, die zu potentiellen Opfern der Politik der Vereinigten Staaten zählen".

Solche Bekundungen öffentlicher Meinungen dürften dem weißrussischen Diktator Alexander Lukaschenko höchst willkommen erscheinen. Er selbst hat in den letzten Monaten mehrmals seinen Protest gegen die militärischen Handlungen gegen den Irak sowie seine offene Unterstützung dieses Landes und sogar seine Billigung der Politik Nordkoreas bekundet. Dabei fielen diese Äußerungen - im Gegensatz zu denen seines russischen Amtskollegen Wladimir Putin - unverdeckt amerikafeindlich aus.

Da Lukaschenko noch nie als friedliebend galt und seine Handlungen kaum pazifistisch motiviert sein dürften, kommt automatisch eine Frage auf: Was wird ihn dazu bewegen, "katholischer zu sein als der Papst"? In seinen Absichten wird Lukaschenko weder mit Schröder noch mit Chirac etwas verbinden.

Nach Meinung des außenpolitischen Berichterstatters der unabhängigen und nationalistisch geltenden weißrussischen Zeitung Nascha Niva, Andrej Ljachowitsch, sowie des Chef-Redakteurs der Internet-Zeitung "Weißrussische Nachrichten" Alexander Klaskowskij, möchte der weißrussische Präsident mit seinen heftigen verbalen Attacken verschiedene Zielgruppen erreichen. Zum einen wären da die weißrussischen Wähler, die bald wieder um eine Entscheidung über die Verlängerung der Amtsfrist des Präsidenten gebeten werden. Zum anderen wären da Vertreter des einst mächtigen russischen Militärsektors, die Generäle und die oberen Militärränge sowie Vertreter etwaiger nationalistisch-patriotischer Bewegungen, deren politischer Einfluß zwar etwas zurückgegangen, jedoch nicht zu unterschätzen ist. Lukaschenkos Beliebtheit in diesen Kreisen, um die er sich seit dem Beginn seiner politischen Kariere bemüht, kann von den amerikafeindlichen Äußerungen nur profitieren. Zum Dritten, so wird spekuliert, möchte der weißrussische Alleinherrscher die saudiarabischen Scheichs bei Laune halten. Viel Zuneigung, Geld und Öl kann er sich von ihnen zwar nicht erhoffen, aber für seine Unterstützung etwas zu "spenden" werden sie ganz gewiß willig sein.

All diesen Gruppen möchte sich Lukaschenko als ein tapferer und keine Scherereien mit dem mächtigen Amerika scheuender Politiker präsentieren. Wiederum ein billiger Populismus, der sich in Weißrußland bisher fast immer ausgezahlt hat.

Als ein einleuchtendes Antikriegsargument kann man den am 19. Februar veröffentlichten Bericht des Vorsitzenden der Kommission für Wirtschafts-, Haushalts- und Finanzfragen des weißrussischen Parlamentes, Alexej Waganow, einschätzen. Laut diesem Bericht werden mit dem Beginn der militärischen Handlungen gegen den Irak die Weltpreise für Öl in die Höhe schnellen, was die Wirtschaft des von fremden Energiequellen abhängigen Weißrußlands schwer anschlagen würde. Außerdem sei nicht zu vernachlässigen, daß sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Irak und der Republik Belarus in den letzten Jahren sehr stark vertieft haben. Ein Regimewechsel im Irak würde für die weißrussische Wirtschaft Verluste in der Höhe von schätzungsweise 200 bis 300 Millionen Dollar verursachen.

Am 14. Februar wurde in Minsk ein offizieller Brief der irakischen Botschaft an die weißrussische Bevölkerung veröffentlicht. Darin werden die Weißrussen dazu ermutigt, Bagdad im seinem Vorkriegszustand zu besuchen. Der Charter-Flug in das befreundete Land ist für den 7. März geplant, alle anfallenden Kosten will die irakische Seite übernehmen.

Laut Bericht der unabhängigen und in demokratischen Kreisen hoch geschätzten weißrussischen Zeitung Belorusskaja delowaja gazeta bedeutet dieser Aufruf "eine verbrecherische Handlung, deren Ziel die Ausnutzung der Menschen als lebendes Bombenschild während des Krieges ist". In Minsk spricht man derzeit davon, daß diese Einladung Bagdads von einigen Vertretern der offiziellen, regierungsnahen Medien sehr wohl angenommen werden könnte, denn im schlimmsten Fall würde eine Ablehnung dieser Einladung in den Kreisen der präsidialen Administration als "Fahnenflucht" und "Nicht-Pflichterfüllung" verstanden werden und für die Verweigerer fatale Folgen haben.

Für eine ähnliche Aktion hatte die weißrussische Regierung bereits gut geübt: im letzten Krieg in Jugoslawien, als dank den nach Jugoslawien abgeordneten weißrussischen Journalisten die Auftritte von Slobodan Milosevic in den Programmen des weißrussischen Fernsehens genauso oft waren wie die seines besten Freundes Lukaschenko. Nach Auskunft der irakischen Botschaft in Minsk ist der bevorstehende Flug Minsk - Bagdad bis ins kleinste Detail geplant und vorbereitet. Es gibt nur ein kleines Problem: der Mangel an freiwilligen weißrussischen Fluggästen.

Foto: Rußlands Staatschef Putin und der ukrainische Präsident Kutschma: Großer Bruder oder reicher Onkel?


 
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