© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/03 14. März 2003


Geschichtslos
von Carl Gustaf Ströhm

Was für ein Bild von deutscher Geschichte haben die Repräsentanten unserer politischen Klasse? Was die Linke betrifft, ist es oft antideutsch und gegen das eigene Volk gerichtet. Leider steht es mit der Union auch nicht besser. Beim Passauer Aschermittwoch erklärte Edmund Stoiber, es dürfe nie wieder einen "deutschen Sonderweg" geben, weil dieser bereits zweimal in die Katastrophe geführt habe. Gewiß war Hitler ein "deutscher Sonderweg" - wenn aber der CSU-Chef nicht nur den Zweiten, sondern auch noch den Ersten Weltkrieg als deutschen Sonderweg bezeichnet, bekommt man Zweifel. Das Kaiserreich war eingebettet in die damalige europäische Staatenwelt. Es mag taktische Fehler begangen haben - aber es war keine aggressive Macht. Kaiser Wilhelm II. mag gelegentlich rhetorisch entgleist sein - aber davon, daß er etwa militärische Angriffe im Sinne hatte, kann keine Rede sein. Frankreich und England gingen damals unheilvolle Sonderwege, indem sie sich mit Rußland verbanden, um das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn zu vernichten.

Es waren die Pariser Revanchepolitik sowie Rußlands Appetit auf den Balkan, die zur Zerstörung Mitteleuropas führten. Bis heute hat sich der Kontinent davon nicht erholt - ohne Sarajevo 1914 hätte es weder Hitler noch Stalin gegeben. Was versprechen sich heutige Unionspolitiker davon, das eigene Volk ohne Grund auf die Anklagebank zu setzen? Es kommt einem der Wiener SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky in den Sinn, der einmal zu einem vorwitzigen Journalisten sagte: "Lernen S' erst mal Geschichte, Herr Redakteur!"


 
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