© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/03 28. März 2003


Flächenbrand um Bagdad
Irak-Krieg: Gefährlicher Präzedenzfall mit weitreichenden Folgen
Alexander Griesbach

Seit Donnerstag letzter Woche tobt nun also der seit Monaten seitens der USA und Großbritannien vorbereitete Angriffskrieg gegen den Irak. Dieser läuft bisher, um es mit der im Hinblick auf die Kriegsberichterstattung stets gebotenen Vorsicht zu sagen, alles andere als programmgemäß für die einzige Supermacht USA. Anders als im Golfkrieg des Jahres 1991, als sich eine demotivierte irakische Armee schnell in ihre Bestandteile auflöste und die USA ein leichtes Spiel hatten, kämpft die irakische Armee bisher wesentlich verbissener, als es die Strategen der US-Armee wohl für möglich gehalten haben.

Die Verlustzahlen für die "Koalitionstruppen" sind, ohne daß es bisher in nennenswertem Ausmaß zu den gefürchteten Häuserkämpfen gekommen wäre, unerwartet hoch. Schon zögern die Amerikaner mit der Besetzung größerer Städte. Diese wird ihnen aber nicht erspart bleiben, wenn das Regime von Saddam Hussein zu Fall gebracht werden soll. Häuserkämpfe sind mit Verlusten verbunden, was auch die Iraker wissen. Nur bei diesen Nahkämpfen, die den Amerikanern die Möglichkeit nehmen, ihre High-Tech-Waffen ausspielen zu können, hat die irakische Armee eine gewisse Chance für einen erfolgreichen Widerstand.

Die irakischen Soldaten, und hier nicht nur die im Westen als "Elitetruppe" deklarierten "Republikanischen Garden", teilen offensichtlich die Auffassung ihres obersten Befehlshabers Saddam Hussein: "Dieses Mal sind sie gekommen, um euer Land zu besetzen." Saddam rief die Iraker deshalb auf, das zu tun, was Gott befohlen habe und die Kehlen der Angreifer durchzuschneiden.

Anscheinend haben die Amerikaner damit gerechnet, daß sich für das Regime von Saddam Hussein nur noch diejenigen einsetzen werden, die unmittelbar von diesem System profitieren. Das ist aber ganz offensichtlich nicht so. Noch verhaßter als der Despot Saddam ist inzwischen die US-Regierung, die in der arabischen Welt jeden Kredit verspielt hat. Die Folge: Saddam Hussein, dessen Ansehen unter seinen Glaubensgenossen zuletzt nicht mehr allzu hoch gewesen war, avanciert nun in der Wahrnehmung der arabischen Welt mehr und mehr zum Freiheitskämpfer und zum arabischen Helden.

Die Aussichten der Koalition hingegen stehen und fallen mit der Dauer des Krieges. Eine längerfristige Kriegsdauer ist mit hohen Verlusten und steigendem öffentlichen Druck verbunden, einen derartigen Krieg auch um den Preis eines Gesichtsverlustes zu beenden (Stichwort: "Bring the Boys home!"). Es droht damit eine Parallele zu jenem Krieg, der die Psyche vieler Amerikaner bis heute belastet: zum Vietnamkrieg. "Schauen Sie sich die Kirchen an", sagte vor kurzem Phyllis Bennis, Nahost-Expertin am Washingtoner Institute für Policy Studies. "In Vietnam hat es ein Jahrzehnt gedauert, bis die Kirchen sich klar gegen den Krieg ausgesprochen hatten. Diesmal haben sie schon den Mund aufgemacht, bevor der Krieg überhaupt begonnen hat." Bushs Regierung sei zwar enorm religiös geprägt. Sehr viele Amerikaner mache aber sehr nervös, so Bennis, wenn ein Präsident für sich beanspruche, daß seine Politik "von ganz oben" gedeckt werde.

Diese Vorbehalte könnten durch die fehlende völkerrechtliche Legitimation dieses Krieges weiter Nahrung bekommen. Zahlreiche anerkannte internationale Rechtsexperten betrachten den Angriff der USA auf den Irak als eindeutigen Bruch des Völkerrechts. So brachte die Internationale Juristenkommission (ICJ) mit Sitz in Genf bereits vorvergangenen Dienstag, also zwei Tage vor Kriegsausbruch, ihre tiefe Bestürzung darüber zum Ausdruck, "daß eine kleine Anzahl Staaten dicht vor einer völlig illegalen Invasion des Irak stehen, die einem Angriffskrieg gleichkommt".

"Ohne ausdrückliche Ermächtigung durch eine neue Resolution", unterstrich der Freiburger Staats- und Völkerrechtsprofessor Dietrich Murswiek in der Süddeutschen Zeitung, "ist der Irak-Krieg ein verbotener Angriffskrieg - ein Verbrechen im Sinne des Völkerstrafrechts."

Murswiek weist darauf hin, daß die USA hier einen Präzedenzfall mit weitreichenden Folgen geschaffen hätten. Wenn Bush sage, er brauche niemanden um Erlaubnis zu fragen, liege darin eine Rechtsbehauptung. Denn wenn sich diese Auffassung durchsetze und zu einer neuen Regel des Völkerrechts werde, sei das allgemeine Gewaltverbot praktisch abgeschafft. Entweder, so Murswiek, dürfe dann "jeder Staat gegen jeden Staat Krieg führen, den er für einen 'Schurkenstaat' hält". Dann freilich gebe es keine internationale Sicherheit mehr. Oder die Befugnis zur Führung von Präventivkriegen gelte als exklusives Recht für die USA. Dann würde auch "das Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten" zerstört.

Dieser Krieg hat also in mehrfacher Hinsicht gefährliche Implikationen. Ob sich die Kamerilla um George W. Bush mit diesen hinreichend beschäftigt hat, erscheint fraglich. In diesem Zusammenhang muß auch die Lage im Nordirak angesprochen werden, die sich mehr und mehr zum Pulverfaß entwickelt. Die Türkei verfolgt dort, sehr zum Mißfallen der Amerikaner, ihre eigenen Ziele. Zum einen fürchten die Türken einen eigenen Kurdenstaat wie der Teufel das Weihwasser. Zum anderen haben die Türken die Erdölvorkommen zwischen Kirkut und Mossul im Auge, wo ein Drittel der irakischen Erdölvorräte lagert. Diese in den Einflußbereich der Türkei zu bringen, hieße, neben der Aussicht auf lukrative Geschäfte, auch einem möglichen kurdischen Staat von vornherein die Existenzgrundlage zu nehmen.

Auf diese Ölvorkommen haben es aber auch die Amerikaner abgesehen. Bush warnte die Türkei bereits unmißverständlich vor einem Einmarsch in den Nordirak. Der US-Präsident versicherte der Türkei, daß die USA mit den Kurden zusammenarbeiteten, um sicherzustellen, daß es zu keinem "Zwischenfall" kommen werde, der von der Türkei als Grund für einen Einmarsch betrachtet werden könnte. Dennoch wird sich die Türkei nicht deshalb von einem Einmarsch abhalten lassen, weil es keinen hinreichenden Interventionsgrund gibt. Schon jetzt zeigt sich Ankara als durchaus lernfähiger Kopist der US-Propaganda. Wenn die Türkei im Nordirak interveniere, so war aus türkischen Regierungskreisen zu hören, dann nur aus Angst vor dem Terror oder aus "humanitären Erwägungen" heraus.

Mit Sicherheit würden die Kurden einen derartigen Einmarsch nicht ohne Widerstand hinnehmen. Die dann zu erwartende Auseinandersetzung könnte sich schnell zu einem Krieg im Kriege entwickeln. Der von einigen Experten befürchtete Flächenbrand, den ein Irak-Krieg auslösen könnte, wäre dann Realität geworden.


 
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