© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/03 28. März 2003

 
Spitzel in Katerstimmung
Verfassungsschutz: Nach dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens steht der bundesdeutsche Inlandsgeheimdienst auf dem Prüfstand
Peter Freitag

Schon bevor das Bundesverfassungsgericht die Weiterführung des Verbotsverfahrens gegen die NPD am 18. März ablehnte und sich das Debakel für die Antragsteller abzeichnete, waren aus der rot-grünen Regierungskoalition Stimmen vernehmbar, die eine Reform des Verfassungsschutzes forderten. Das liegt zum einen daran, daß Politiker - schon um ihre eigene Bedeutung zu unterstreichen - grundsätzlich nach zutage tretenden Fehlentwicklungen besonders aktiv werden, zum anderen, daß auf diese Weise die Verantwortung für das gescheiterte Verfahren bequem von den eigenen Schultern auf die der nachgeordneten Behörden abgewälzt werden kann.

Die Reformvorschläge reichen vom Umzug des Bundesamts für Verfassungsschutz von Köln nach Berlin - so der Innenexperte der SPD-Bundestagsfraktion Dieter Wiefelspütz - bis zur Reduzierung der Anzahl der Landesämter, wie dies der rechtspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion Volker Beck anregte: "Man muß prüfen, ob 17 Ämter noch Sinn machen". Beck kritisierte, daß die untereinander nicht abgestimmte Entsendung von Spitzeln in die NPD den Eindruck entstehen ließ, die Partei existiere nur, "weil sie vom Verfassungsschutz beobachtet wird". Becks Fraktionskollege Christian Ströbele fordert nach den V-Mann-Pannen eine grundsätzliche "Prüfung der Geheimdienste" und deren stärkere Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG). Ströbele scheint jedoch im Zuge des gescheiterten Verbotsverfahrens seine seit langem bestehende Fundamentalkritik gegen jegliche Nachrichtendienste durchsetzen zu wollen, die er in der tageszeitung im Juli 1999 auf die bündige Formel brachte: "Abschaffung der Dienste".

Ströbele ist für die Abschaffung der Dienste

Wiefelspütz dagegen warnt davor, Verfassungsschutz und BND in die "Schmuddelecke" zu verdammen. Sie gehörten zum Instrumentarium des demokratischen Rechtsstaates, sie abzuschaffen, "wäre absurd". Es sei abwegig, dem Verfassungsschutz die Schuld für das Scheitern in die Schuhe zu schieben, so Wiefelspütz. Eine Überprüfung ihrer Tätigkeit müsse unabhängig vom NPD-Verfahren vollzogen werden. Daß das Thema aber ausgerechnet jetzt auf die Tagesordnung kommt, erhärtet den Verdacht eines direkten Zusammenhangs mit der V-Mann-Affäre der Verfassungsschutzämter. Dennoch ist Wiefelspütz beizupflichten, daß die Verantwortung dafür in erster Linie die Politik trägt.

Die Kompetenzabgrenzung der Landesämter mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz ist erst im Dezember 1990 in der Neufassung des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) aktualisiert worden. Demnach ist es auf Grundlage des föderativen Prinzips vorrangige Aufgabe der Landesämter, Nachrichten und Informationen zu sammeln und sie an das Bundesamt (als Koordinationsstelle) und andere Landesämter weiterzuleiten. Bereits vor der Neufassung des BVerfSchG wurde die Abgrenzung der Tätigkeiten und deren Koordinierung als problematisch erkannt, weswegen das Gesetz um eine "Pflicht zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern" ergänzt wurde.

Eine Reform erscheint also vor diesem Hintergrund obsolet, da entweder die bereits vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen von den Ämtern bloß mißachtet wurden (was entsprechend an den Verantwortlichen in den Ämtern geahndet werden könnte), oder aber die Koordination hat sehr wohl funktioniert, das heißt, die V-Leute in der NPD-Führung sind bewußt von den Ämtern eingesetzt worden, dann wäre auch dies eine Übertretung der bereits verankerten rechtlichen Bestimmungen, für deren Verfolgung die vorhandenen Kontrollinstanzen (PKG oder ministerielle Fachaufsicht) zuständig gewesen wären - und offensichtlich versagten.

In der jetzt angestoßenen Debatte um eine Verfassungsschutzreform innerhalb der Regierungskoalition scheint vielmehr wieder einmal mehr der parteipolitische Utilitarismus federführend zu sein. Bei linksradikalen Grünen wie Ströbele freut man sich unterdessen, bei dieser Gelegenheit das seit Ende der sechziger Jahre ungeliebte Instrumentarium des vermeintlich "starken Staates" beschneiden zu können. Bereits die in der damals rot-grünen Koalition in Niedersachsen 1992 vorgenommenen Reform des Landesverfasssungsschutzgesetzes traten solche Erwägungen in den Vordergrund.

Reformvorschläge beziehen sich nur auf die Verwaltung

Zunächst beschnitt man die Kompetenzen des Landesamtes bei der Beobachtung extremistischer Organisationen und dünnte die Behörde personell aus. Dann wurde die weitere Beobachtung der Republikaner durch den VS auf Grundlage des neuen Gesetzes gerichtlich untersagt, nachdem schon die Behörde selbst das Recht zur weiteren Observation in Zweifel gezogen hatte. Daraufhin wurde das Gesetz wieder geändert und der juristische Rahmen für die Beobachtung politischer Organisationen und Parteien in Niedersachsen dem des Bundes- und anderer Landesverfassungsschutzgesetze angepaßt.

Daß die Bundesländer über eigene Verfassungsschutzbehörden zusätzlich zum Bundesamt verfügen, hat durchaus eine Berechtigung. Das Bundesverfassungsgericht wies den administrativen Verfassungsschutz ausdrücklich der gemeinsamen Erfüllung von Bund und Ländern zu und erlaubte in diesem Bereich eine - sonst untersagte - Mischverwaltung. Eine wie jetzt von Beck geforderte Vereinheitlichung würde die Tendenz der parteipolitischen Opportunität des Verfassungsschutzes eher noch verstärken. Damit wäre die V-Mann-Affäre im NPD-Verbotsverfahren nicht etwa leichter zu vermeiden, sondern nur leichter zu vertuschen gewesen. Verräterisch an all den aktuellen Vorschlägen ist, daß sie sich lediglich auf die Verwaltung und Organisation des Verfassungsschutzes, nicht aber auf die Kernaufgaben und die Inhalte seiner Tätigkeiten beziehen.


 
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