© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/03 04. April 2003

 
Kolumne
Realitätssinn
Heinrich Lummer

Wie sich die Zeiten ändern. Wenn jemand vor zehn oder fünfzehn Jahren auf die überdurchschnittliche Ausländerkriminalität, insbesondere die jugendlicher Ausländer hinwies, dann war er zwangsläufig ein Rechtsaußen. Denn selbstverständlich seien Ausländer in Sachen Kriminalität nicht auffälliger als Deutsche. Zunächst kam die Begründung, die Polizeistatistik weise die Verdächtigen, nicht aber die Verurteilten aus. Man unterstellte, Ausländer würden in Deutschland eher verdächtigt und weniger verurteilt. Aber die Verurteilten-Statistik zeigte schließlich das gleiche Bild. Dann meinte man, die Kriminalität der Ausländer entspreche der vergleichbaren sozialen Gruppe der Deutschen (jung und unterprivilegiert). Auch das erwies sich als falsch. Und nun liest man in vielen Gazetten von der überdurchschnittlichen Kriminalität ausländischer Jugendlicher. Im Berliner Tagesspiegel, der sich dem Motto hingibt: rerum cognoscere causa, ist jüngst in einem fünfspaltigen Aufmacher gar die Rede von einer "ganz großen Koalition", die das Faktum allzu hoher Ausländerkriminalität feststellt und Kritik an ausländischen Eltern übt, die nichts für die Integration ihrer Kinder tun. Und diese Koalition reiche von der PDS bis zur CDU. Sicher, wenn die Wahrheit sich spät durchsetzt, ist das besser als gar nicht. Aber warum nur sind die nüchternen Statistikleser zehn Jahre lang geprügelt worden?

Hier wurde nicht der durch das Leben bestraft, der zu spät kam, sondern diejenigen, die die Wahrheit rechtzeitig sahen. Aber die ideologischen Bretter vor den Köpfen der Linken, die nach dem Palmström-Motto handelten, daß "nicht sein kann was nicht sein darf", haben unserem Land schweren Schaden zugefügt. Wie besser könnte PISA aussehen, wenn man vor mehr als zehn Jahren das Problem angegangen wäre? Ein ausgemachter Jammer. Aber diese vernagelten Ideologen wollten in dem unkontrollierten Zustrom von Ausländern ohne Integration nichts als eine Bereicherung im multikulturellen Sinne verstehen. Und das war ein folgenschwerer Irrtum. Innerer Frieden und leistungsfähige Schulen sichert man nur durch Integration. Die aber ist nur möglich, wenn man sie steuert und die Zahl der Zuwanderer nicht zu hoch werden läßt. Weder die zu hohe Zahl noch die Qualität der unkontrollierten Zuwanderer waren eine Bereicherung Deutschlands. Ganz im Gegenteil. Und selbst wenn die Massenzuwanderung eine Bereicherung gewesen wäre, könnten wir ein Schild aushängen, auf dem zu lesen stände: Wegen Reichtum geschlossen.

 

Heinrich Lummer, Berliner Innensenator a. D., war bis 1998 Bundestagsabgeordneter der CDU.


 
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