© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/03 18. April 2003

 
Genese eines Fememordes
Der Fall Ulrich Schmücker
Thorsten Thaler

Bald dreißig Jahre ist es her, daß der damals 22jährige Student Ulrich Schmücker im Berliner Grunewald tödlich verletzt aufgefunden wurde. In der Nacht vom 4. auf den 5. Juni 1974 entdeckten zwei amerikanische Soldaten, die mit ihrer Einheit eine Nachtübung veranstalteten, den sterbenden jungen Mann. Die herbeigerufenen Sanitäter konnten Schmücker nicht mehr helfen. Sehr schnell legten der Name des Opfers sowie die Umstände der Tat - Schmücker war durch einen Kopfschuß getötet worden - den Verdacht nahe, daß es sich hier um keinen gewöhnlichen Mord handelte, sondern um eine regelrechte Hinrichtung. Bereits am Abend des 5. Juni schickte das Polizeipräsidium Berlin ein Fernschreiben an alle Landeskriminalämter und an das Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Darin hieß es: "Nach Sachlage kann nicht ausgeschlossen werden, daß Schmücker aufgrund seines Verhaltens von Gesinnungsgenossen liquidiert worden ist."

Ulrich Schmücker, 1951 in Hagen geboren, gehörte zum Umfeld der terroristischen "Bewegung 2. Juni". Er beteiligte sich an Bombenanschlägen, wurde von der Polizei gefaßt und erhielt in der Haftanstalt Besuch von einem Mitarbeiter des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, der ihn als V-Mann anwerben wollte. Schmücker erklärte sich zur Kooperation bereit und packte aus. Daraufhin wurde er im Februar 1973 zwar zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, erhielt aber sofortige Haftverschonung. Nach seiner Freilassung geriet Schmücker immer mehr zwischen die Fronten von Verfassungsschutz und Terrorismus - bis er von einem Kommando "Schwarzer Juni" als "Verräter" liquidiert wurde.

Einer, der sich seither immer wieder mit dem Fall Schmücker beschäftigt hat, ist der Journalist Stefan Aust, heute Chefredakteur des Spiegel. Ein Jahr nach der Tat machte er einen Beitrag für das Fernsehmagazin Panorama über die Hintergründe der Ermordung Schmückers, später schrieb Aust unter dem Titel "Kennwort Hundert Blumen" ein erstes Buch über den Fall.

Jetzt hat er die Ereignisse von damals erneut aufgerollt. Herausgekommen ist eine minutiös recherchierte Kriminalgeschichte, die insbesondere die Machenschaften des Verfassungsschutzes - bis hin zu einer Mitschuld am Tod Schmückers - bloßlegt.

Stefan Aust: Der Lockvogel. Die tödliche Geschichte eines V-Mannes zwischen Verfassungsschutz und Terrorismus. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002, 383 Seiten, geb., 19,90 Euro


 
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