© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/03 18. April 2003

 
Frisch gepresst

Zionismus. Wer sich mit den im 20. Jahrhundert geschichtsmächtig gewordenen "politischen Theologien" befaßt, kann am Zionismus nicht vorbeigehen. Doch selbst für den versierten Ideenhistoriker ist es sehr schwierig, die Konturen dieser politischen Bewegung zu erkennen, die mit all ihren weltanschaulichen Varianten, organisatorischen Verschachtelungen, multinationalen Ursprüngen und oft im Persönlichen verwurzelten Parteiungen einem Flickenteppich ähnelt. Die heute für Außenstehende kaum zu entschlüsselnde Segmentierung der israelischen Parteienlandschaft hat hier ihre Ursprünge. Zur ersten Orientierung im Dschungel zionistischer Ideen und Parteien sei deshalb die 1994 in erweiterter Fassung publizierte Autobiographie Gershom Scholems empfohlen: "Von Berlin nach Jerusalem", die mit den Anfängen der jüdischen Landnahme zwischen 1920 und 1930 bekannt macht. So vorbereitet darf man sich an die Lektüre des Großporträts über Oskar Cohn wagen, das uns Ludger Heid auf den Tisch legt. Ausgenommen Jugend- und Studienzeit, zeichnet Heid den Lebensweg dieses 1869 in Oberschlesien geborenen sozialistischen Wortführers des Zionismus, der nach 1918 als USPD-Größe zum Haßobjekt der nationalen Rechten wurde, in einer Detailversessenheit nach, die für jeden Entdeckungsreisenden in den Kontinent "vergessener" Lebensläufe vorbildlich sein sollte (Oskar Cohn. Ein Sozialist und Zionist im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Campus Verlag, Frankfurt/Main 2002, 450 Seiten, Abbildungen, 49,90 Euro).

Reich der Mitte. In China hat mit der Wahl Hu Jintaos ein Generationenwechsel stattgefunden. Mit der Nachfolge des langjährigen Partei- und Staatschefs Jiang Zemin hat erstmals kein Vertreter der "alten Garde" die Macht übernommen, obwohl Hu noch als ein Vertreter der kommunistischen Nomenklatur gelten dürfte. Doch der staatliche Wandel von der Planwirtschaft zu marktwirtschaftlichen Strukturen, der schon jetzt deutlich spürbar ist, könnte unter ihm eine weitere Beschleunigung erhalten. Ob damit in Asien ein nicht nur demographischer, sondern auch wirtschaftlicher Riese entsteht, ist für den Sinologen und langjährigen Chinakorrespondenten der Welt und des Standard, Johnny Erling, noch nicht sicher. Zu viele gesellschaftliche Wandlungen, sei es die Überwindung des großen Gefälles zwischen der milliardengroßen Bauernschar und den Städten oder die Forderung nach einem chinesischen "Glasnost", müßten dafür noch bewältigt werden. Dabei stoßen diese Reformen nicht nur auf den Widerstand der kommunistischen Partei, obwohl schon jetzt die Veränderungen, sichtbar an der Wirtschaftsmetropole Schanghai, den "großen Vorsitzenden" Moa Tse-tung im Grabe rotieren ließen. Wesentlich schwieriger wird sich die Überwindung der jahrhundertealten Beamten- und Verwaltungsstruktur gestalten (China - Der große Sprung ins Ungewisse. Ein Report. Herder Verlag, Freiburg 2002, 222 Seiten, gebunden, 19,90 Euro).


 
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