© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/03 02. Mai 2003

 
Zwischen Komissionen und Faktoren
Rentenpolitik: Rot-Grün spielt auf Zeit / Arbeitgeberpräsident Hundt: Beiträge werden weiter steigen / Generationenkonflikt ist programmiert
Paul Rosen

Die Renten, hatte Norbert Blüm zu seinen Amtszeiten als Sozialminister stets gesagt, seien sicher. So einen Satz wagt heute kein Politiker mehr in den Mund zu nehmen. Mit einer Politik, die nur den nächsten Wahltag, aber nicht die Sicherheit der Altersbezüge im Sinn hatte und hat, wird seit mehreren Jahrzehnten an den Rentenkassen herummanipuliert. Dabei ist gar nichts mehr sicher: Die gesetzliche Rentenversicherung ist ebenso von Finanzproblemen geplagt wie die Zusatzversorgungssysteme des öffentlichen Dienstes. Und auch die Beamtenpensionen belasten den Staatshaushalt immer stärker.

Schon zu Beginn dieses Jahres mußte der Beitrag zur Gesetzlichen Rentenversicherung, den sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen, von 19,1 auf 19,5 Prozent angehoben werden. Bei Gutverdienern stieg der gesamte Abgabenblock (Arbeitnehmeranteil) im Januar um etwa 100 Euro - Geld, das dem Konsum nicht mehr zur Verfügung steht. Die Arbeitgeber hatten einen genauso hohen Mehranteil zu zahlen und dürften ihre Mehrbelastungen neutralisiert haben, indem sie Entlassungen vornahmen oder freiwerdende Stellen nicht mehr besetzten.

Außerdem darf nicht vergessen werden, daß die rot-grüne Regierung seit 1999 die Mineralölsteuer erheblich erhöht hatte, um damit die leeren Rentenkassen zu füllen. Etwa 20 Milliarden Euro wanderten so aus den Taschen der Bundesbürger in die Rentenkassen, wo die Mittel zu einer spürbaren Entlastung und Absenkung der Beiträge führen sollten. Doch der gewünschte Effekt trat nicht ein. Die Ausgaben der Rentenkassen stiegen schneller als prognostiziert, die hohe Arbeitslosigkeit ließ die Einnahmen zurückgehen.

Spätestens zu Beginn des Jahres rächte sich, daß Kanzler Gerhard Schröder die kleine Rentenreform von Blüm wieder rückgängig gemacht hatte. Der letzte CDU-Sozialminister hatte einen sogenannten "demographischen Faktor" in die Rentenformel eingebaut. Grundsatz war, daß die Rentenerhöhungen künftig etwas niedriger als der Grundlohnanstieg ausfallen sollten, weil die Deutschen zur Altersvorsorge zwar Beiträge einzahlten, aber der zweite wichtige Beitrag zur Alterssicherung, das Zeugen und Gebären von Kindern, zunehmend in Vergessenheit geriet.

Blüms Nachfolger Walter Riester führte zwar eine weitere Reform durch und die "Riester-Rente" ein. Sie besteht aus zwei Faktoren: Zum einen werden die Ansprüche aus der gesetzlichen Rente etwas gekürzt, und zum zweiten sollen sich die Arbeitnehmer zum Ausgleich bei einem privaten Unternehmen versichern oder betriebliche Zusatzrentensysteme stärker nutzen. Die freiwillige Versicherung erwies sich als nicht besonders lukrativ: Gerade einmal drei Millionen Verträge sollen bisher abgeschlossen worden sein.

Kanzler Gerhard Schröder griff angesichts der verfahrenen Situation zu einem bekannten Mittel: Er setzte eine Kommission ein. Als Vorsitzenden gewann er den unter Renten- und Demographie-Experten angesehenen Darmstädter Professor Bert Rürup. Dessen Kommission kam zu dem Schluß, den alle Experten erwartet hatten: Ab 2011 soll das Rentenalter stufenweise von jetzt 65 auf 67 Jahre heraufgesetzt und in die Rentenerhöhungsformel ein "Nachhaltigkeitsfaktor" eingebaut werden. Dahinter verbirgt sich, wie unschwer zu erraten ist, nichts anderes als Blüms alter "demographischer Faktor", also eine Verringerung der Rentenerhöhungen, so daß bei den Altersbezügen, die in den letzten Jahren ohnehin nicht mehr üppig gestiegen sind, bald de facto Nullrunden zu erwarten sein dürften, falls die Bundesregierung Rürups Konzepte übernehmen sollte.

Groß ist die Neigung in der rot-grünen Koalition, sich des Themas anzunehmen, allerdings nicht. "Ich weiß es nicht", sagte SPD-Fraktionschef Franz Müntefering auf die Frage, ob es vor der Bundestagswahl 2006 wieder eine Rentenreform geben werde. Eigentlich kann das auch egal sein: Es ist ohnehin für eine sozial ausgewogene Reform zu spät. Alle Fehler sind gemacht, Veränderungen an einigen Rechengrößen können das System nicht mehr retten. Auch die Folgen des Geburtenrückgangs lassen sich nicht mehr ausgleichen, egal welche Maßnahmen der Staat ergreifen würde. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt weist darauf hin, daß die Rentenbeiträge bis zum Jahre 2030 auf 25 Prozent des Gehalts steigen werden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt steht jedem jungen Berufstätigen ein Rentner gegenüber.

Damit ist ein Generationenkonflikt vorprogrammiert: Der Senior, der sein Leben lang Beiträge einbezahlt hat, verlangt die Auszahlung seiner erworbenen Ansprüche, und das mit Recht. Und der Junge weist ebenso mit Recht darauf hin, daß er nicht den größten Teil seines Gehalts für Sozialabgaben abliefern will. Der Streit, ob Beiträge in dieser Höhe noch gerecht sind, ist allerdings müßig: Bei 25 Prozent Rentenbeitrag sind deutsche Arbeitsplätze überhaupt nicht mehr wettbewerbsfähig.

Das Suchen nach sprudelnden Steuerquellen, durch deren Umleitung in die Sozialkassen die Systeme stabilisiert werden könnten, dürfte erfolglos bleiben. Ein Vergleich mit den Nachbarländern zeigt, daß in Deutschland in fast allen Bereichen die höchsten Steuer- und Abgabensätze erhoben werden. Von fünf Mark pro Liter Benzin wagen selbst die Grünen nicht mehr zu reden.

Auch die von Rürup und seiner Kommission angestrebte Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist eine Mär. Heute gibt es selbst für die meisten 50jährigen, wenn sie arbeitslos werden, keine neuen Tätigkeiten mehr. Es herrscht ein Mangel an Arbeit in Deutschland und vor allem an bezahlbarer Arbeit. Im Durchschnitt gehen die Bundesbürger mit 62 in Rente, das heutige Rentenalter von 65 wird kaum noch erreicht. Denn was in Deutschland fehlt, ist industrielle Produktion mit wettbewerbsfähigen Gütern auf dem Weltmarkt, was Arbeit schaffen würde. Aber außer Autos und Maschinenbau haben die Deutschen auf den Weltmärkten wenig zu bieten. Es mangelt an innovativen Produkten.

Einen fatalen Ausweg aus der Krise hat der Begründer der modernen Volkswirtschaftslehre, Adam Smith, bereits 1776 gewiesen: "Sofern es überhaupt gelang, die Staatsfinanzen wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen, bediente man sich dazu stets des Bankrotts." Es spricht inzwischen einiges dafür, daß die reformunwilligen Berliner Politiker in späteren Jahren den Ausweg ihrer Zahlungsprobleme in der Inflation suchen werden. Dann werden die Ansprüche der Bürger mit wertlosem Geld bedient.


 
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