© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/03 09. Mai 2003


Mai-Krawalle
Die laschen Autoritäten
Dieter Stein

Jedes Jahr das gleiche Ritual. Naht der 1. Mai in Berlin, muß man mit Ausschreitungen und Krawallen rechnen. Nicht-Berliner haben nach den Fernsehbildern oft den Eindruck, die ganze Hauptstadt werde davon erfaßt. Es ist hingegen so, daß die meisten Bewohner an diesem Tag routiniert einen Bogen um Kreuzberg machen und lieber ins Grüne fahren. In der weit auseinandergezogenen Stadt wurde das Sirenengeheul schon einige Straßenzüge vom Geschehen entfernt von den Häuserschluchten verschluckt.

Die Gewöhnung an Hunderte verletzter Polizisten, Dutzende abgebrannter Autos, demolierter und geplünderter Geschäfte mündet spätestens beim Kantinengespräch in die Erkenntnis: "Wer ist auch so blöd und parkt am 1. Mai sein Auto in Kreuzberg." Man hat sich an den jährlichen Amoklauf linksradikaler Chaoten, verwöhnter Halbstarker und ausländischer Jugendgangs gewöhnt wie an die "Loveparade" im Juli.

Die hauptstädtische Politik geht dabei regelmäßig feige nach der Devise "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß" mit einem alljährlich scheiternden lauen Konzept der "Deeskalation" vor. Harte Polizeieinsätze gegen randalierende Flegel und Kriminelle sind politisch nicht korrekt. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit brilliert eben lieber als Partylöwe mit Champagnerkelch auf einer Soiree als mit Fernsehbildern von "prügelnden" Polizeibeamten.

Es ist dabei ein Irrtum zu glauben, man könne am 1. Mai mit harter Polizeistrategie allein etwas grundlegend ändern. Überhaupt sind massive Polizeipräsenz, schwere polizeiliche Bewaffnung und umfangreiche Überwachungsmaßnahmen Zeichen von im Kern schwachen Staaten. Paradox? Je größer der Autoritätsverfall und je unklarer die individuell wahrnehmbare Trennlinie zwischen Recht und Unrecht, je größer der Niedergang des Rechts, um so mehr Energie muß der Staat schließlich darauf verwenden, in Einzelfällen wieder Recht und Ordnung Geltung zu verschaffen.

Wer sind aber diese "Chaoten", die am 1. Mai so "überraschend" durchknallen und nur mit hartem Wasserstrahl und Gummiknüppel zur Räson gerufen werden können? Es sind keine Überraschungstäter, sondern "Kriminelle und gefährliche Gewalttäter", von denen "mehr als die Hälfte bereits wegen verschiedener Delikte polizeibekannt" ist, so Eberhard Schönberg, Chef der Berliner Polizeigewerkschaft.

Unrechtbewußtsein kann nicht entstehen, wenn es generell keinen Begriff mehr von Autorität und Ordnung gibt. Man muß sich nur die lasch erzogenen Kinder in der Grundschule ansehen, die kein "Nein" und keinen eindeutigen Befehl und deren Lehrer kein Durchgreifen und keine Strafe mehr kennen. Oder das Herumlavieren von Sozialpädagogen und Justiz, wenn es um den ersten geklauten Kaugummi und die erste Graffiti-Schmiererei geht: Kaum noch etwas hat klare, harte Konsequenzen in unserem Betreuungsstaat, der einmal den totalitären Überwachungsstaat gebären wird, wenn nicht bürgerliche Vernunft für eine Umkehr sorgt.


 
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