© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/03 16. Mai 2003


Der Offenbarungseid
Rot-Grün erweist sich als unfähig, Deutschland zu reformieren
Paul Rosen

Die Berliner Politik bleibt auf jeden Fall berechenbar, denn die nächste Steuererhöhung kommt bestimmt. Jetzt sind wieder einmal die Raucher an der Reihe, aber angesichts der desolaten Lage der Staats- und Sozialkassen dürfen die Wähler sicher sein, daß unabhängig von allen gegebenen Versprechungen weitere Griffe in die Geldbörsen folgen werden. Geld macht Politiker bekanntlich sinnlich, und eine Steuererhöhung ist leichter zu beschließen als ein großes Reformpaket. Wenn allerdings immer mehr Geld in staatliche Kassen wandert und danach wieder umverteilt wird, bleibt der erhoffte Wirtschaftsstandort aus. Auch die Arbeitslosigkeit sinkt dadurch nicht.

Deutschland im Frühjahr 2003 befindet sich in einer eigenartigen Situation. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Sozialdemokrat Michael Sommer, droht dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Gerhard Schröder offen den Bruch zwischen Gewerkschaften und SPD an. Wütende SPD- und Gewerkschaftsmitglieder protestieren vor und auf den Regionalkonferenzen, zu denen Schröder eingeladen hat, gegen die Reformpläne mit dem irreführenden Namen Agenda 2010. Der völlig überfordert wirkende Finanzminister Hans Eichel (SPD) kann wieder einmal die Maastrichter Neuverschuldungsgrenzen nicht einhalten. Und die ebenfalls vergeblich gegen die Problemberge ankämpfende Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherheit, Ulla Schmidt (SPD), bekommt die Ausgabenexplosion in den Sozialsystemen nicht in den Griff.

Selbst bei einer positiven Betrachtung, die zum Ergebnis kommen könnte, daß die Berliner Politik jetzt endlich durchgreifen und Reformen in Gang setzen will, kommt man doch schnell zu dem Ergebnis, daß alle Akteure nur darauf sinnen, die Einnahmebasis des Staates zu verbreitern und Steuern zu erhöhen. Diesen Geist atmen auch die Forderungen des DGB, der zwar die Steuerreform vorziehen will - doch haben sich die Gewerkschaften zur Gegenfinanzierung eine Reihe von Steuererhöhungen ausgedacht, die besonders Unternehmen betreffen würden. Damit entstehen keine neuen Arbeitsplätze in Deutschland, vielmehr würde die Abwanderung von Firmen und damit auch vieler Bürger beschleunigt. Etwa eine Million Deutsche haben im letzten Jahrzehnt das Land verlassen, weil man im europäischen oder amerikanischen Ausland leichter Geld verdienen kann. Den Marsch in den Schuldenstaat, den der DGB vorschlägt, hat Eichel schon begonnen. Statt 18,9 Milliarden Euro neuer Schulden muß der Finanzminister in diesem Jahr über 30 Milliarden aufnehmen.

Die Gewerkschaften werden, auch wenn sie ein Gespräch mit Schröder platzen ließen, nicht den Bruch mit der SPD riskieren. Die Milieus sind viel zu eng miteinander verwoben, als daß der DGB hier ausscheren könnte. Wohin sollte Sommer sich orientieren? Etwa zur CDU? Das erscheint völlig ausgeschlossen. Natürlich muß die Gewerkschaft den Unmut ihrer Mitglieder kanalisieren. Dazu gehört neben dem lauten verbalen Protest auch die ein oder andere Demonstration. Die DGB-Führung weiß zu gut, daß nur die SPD Garant für die Beibehaltung des Tarifkartells ist, das den Gewerkschaftsführern Einfluß auf einen großen Teil der Wirtschaft sichert.

Daher werden die Gewerkschaften letzten Endes die massiven Belastungen ihrer eigenen Mitglieder mittragen. Allein die Herausnahme des Krankengeldes aus dem Katalog der Krankenkassen und die Pflicht zur vollen Bezahlung durch die Mitglieder kosten jeden Arbeitnehmer zirka 200 Euro im Jahr. Rechnet man die weiteren Belastungen hinzu, die die Sozialministerin Schmidt plant, etwa die volle Bezahlung von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch die Versicherten, wird leicht die Wirkung der angestrebten Beitragssenkung (schätzungsweise bis zu 300 Euro pro Person und Jahr) neutralisiert. Wer raucht, zahlt ohnehin drauf. Sollte der Tabakkonsum nicht zurückgehen, werden etwa vier Milliarden Euro der privaten Verfügungsmasse entzogen und auf den Staat umgeleitet.

Wenn schon aus den bisher bekannten Plänen zur Gesundheitspolitik bestenfalls ein Nullsummenspiel für nicht rauchende Arbeitnehmer wird, so darf nicht vergessen werden, daß es auch in anderen Bereichen massive Probleme gibt. Schon läßt der Schätzerkreis für die Rentenversicherung wissen, daß die Beiträge spätestens im nächsten Jahr erneut angehoben werden müssen. Das wird den privaten Konsum um weitere Milliarden reduzieren und die Wirtschaft nicht auf die Beine kommen lassen, weil die Nachfrage immer geringer wird. Mit der Aufgabe der Deutschen Mark steht außerdem das Mittel der Abwertung nicht mehr zur Verfügung. Dadurch verteuerten sich ausländische Produkte erheblich und die Nachfrage wäre danach geringer geworden. Die Nachfrage hätte sich auf inländische Produkte konzentriert. Statt dessen führt die augenblickliche Schwäche des US-Dollars (die von den Euro-Befürwortern als Euro-Stärke bezeichnet wird) dazu, daß sich deutsche Waren auf den Weltmärkten rasant verteuern, der Absatz einbricht und hierzulande Arbeitsplätze verlorengehen.

Schröder und seine Koalitionäre haben immer noch nicht begriffen, daß Deutschland über seine Verhältnisse lebt. Die Rücklagen sind aufgebraucht, eine konjunkturelle Erholung, die zur Belebung des Arbeitsmarktes Wachstumsraten von drei und mehr Prozent erreichen müßte, ist nicht in Sicht. Die demographische Entwicklung, die nach wie vor ignoriert wird, läßt jede Sozialreform in kürzester Zeit wie eine Seifenblase platzen.

Die rot-grüne Koalition ist reformunfähig. Dies kommt allein dadurch zum Ausdruck, daß eine Gruppe von zwölf SPD-Abweichlern in der Lage ist, Schröders Agenda seit Monaten zu blockieren, weil die Regierung auf die Stimmen dieser Abgeordneten angewiesen ist. Der Verlauf der bisherigen Regionalkonferenzen der Sozialdemokraten läßt die Annahme zu, daß man sich auf dem SPD-Sonderparteitag auf eine weichgespülte Agenda verständigen wird, die eine knappe Mehrheit im Bundesrat erhalten dürfte. Schröder wird jedoch im Bundesrat einer nicht mehr zu brechenden Unionsmehrheit gegenüberstehen. Dann werden Konzepte vermischt, so daß keine in sich geschlossene Gesamtreform entsteht, sondern nur eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner oder auf die Steuererhöhung. Oder die Politik flüchtet sich wieder in höhere Schulden.

Das politische Berlin wirkt erstarrt. Möglich scheinen nur noch Lösungen, die ihren Namen nicht verdienen und Verträge zu Lasten Dritter sind. Entweder werden den Bürgern Steuern und Abgaben erhöht, oder die nächste Generation wird über neue Schulden belastet.


 
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