© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/03 16. Mai 2003


Hartmut Perschau & Henning Scherf
Die Musterehe
von Peter Freitag

Der Frühling ist Paarungszeit. Was dann zusammenfindet, ist manchmal so verschieden, daß die Vereinigung verwundert. Liegt es daran, daß sich Gegensätze anziehen, spricht man von Liebesheirat, von Vernunftehe dagegen, wenn es eben nicht anders geht. Letzteres kommt in der Politik noch öfter vor als im Zwischenmenschlichen und heißt dann "Koalition".

Eine solche - große zumal - regiert die Freie Hansestadt Bremen seit 1995, geführt von Henning Scherf (SPD) und Hartmut Perschau (CDU). Daß die beiden Politiker konträre Typen sind, ist augenscheinlich. Schon bei der Geburt scheint das Schicksal ihnen das Seßhafte hie, das Getriebensein da, auferlegt zu haben. Während der Bürgermeister und Senatspräsident Scherf im letzten Friedensherbst 1938 in Bremen zur Welt kam, herrschte bei der Geburt seines Innensenators Perschau in Danzig, dreieinhalb Jahre später, schon Krieg. Scherf verließ seine Heimatstadt freiwillig und lediglich für absehbare Zeit, um Rechts- und Sozialwissenschaften zu studieren. Und während der junge Rechtsanwalt als protestantischer Pazifist profilierte (der schon mal zum freiwilligen Einsatz ins sandinistische Nicaragua reist), trat Perschau als Berufssoldat in die Bundeswehr ein. Gemeinsam ist ihnen, daß sie zu Beginn der siebziger Jahre den erlernten Beruf mit dem des Politikers tauschten, Scherf als Bürgerschaftsabgeordneter in Bremen, Perschau in Hamburg.

Perschau führte die CDU-Fraktion von 1980 bis 1989, Scherf ist seit 1978 Senator, unter anderem für Finanzen, sowie Jugend und Soziales. Nachdem er als Bürgermeisterkandidat in Hamburg gescheitert war, ging der außerdienstgestellte Stabsoffizier Perschau ins Europaparlament - eine in der Politik übliche Form der Altersversorgung. Zum "politischen Wandervogel" (Der Spiegel) machte ihn die deutsche Einheit, die ihn als Innenminister nach Sachsen-Anhalt verschlug. Während in Bremen der volksnahe Senator und "Oma-Knutscher" Scherf mit ansehen muß, wie Bürgermeister Klaus Wedemeier die absolute Mehrheit verspielt, beendet 1993 die "Raffke-Affäre" um - vemeintliche - finanzielle Bereicherungen des Magdeburger Kabinetts die Karriere Perschaus. 1995 stiften Verluste der Bremer SPD und Gewinne der Union den Beginn der Beziehung von Scherf und Perschau: an der Spitze des kleinsten deutschen Landes mit sehr hohen Schulden, sehr vielen Arbeitslosen (13,5 Prozent) und sehr schlechten Schülern (PISA). Darum geht es in der Wahl am 25. Mai, und die Koalitionäre geben sich erstaunlich einträchtig, was die Lösungswege betrifft.

Ist das nun Liebe oder Vernunft? Perschau propagiert klar die Fortsetzung der Großen Koalition; Scherf sagt, die SPD werde es allein ohne die CDU nicht schaffen: "Ich werde deshalb nicht schlecht darüber reden." Das klingt in der Politik schon richtig harmonisch und ist sogar mehr, als manches Ehepaar nach acht Jahren von sich behaupten kann.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen