© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/03 16. Mai 2003

 
Kraniche in Windrädern gehäckselt
Energiepolitik: Vor der deutschen Nord- und Ostseeküste sollen Windparks entstehen / Kritik von Naturschützern
Adrian Gerloff

Die Ressourcen fossiler Brennstoffe gehen - trotz Entdeckung neuer La-gerstätten - in absehbarer Zeit zur Neige. Um den Energiebedarf zukünftiger Generationen decken zu können und dem Klimawandel entgegenzuwirken, müssen daher regenerative Energieträger weiterentwickelt werden.

Letzte Woche sind die Voraussetzungen für die Erschließung zusätzlicher Standorte für Windkraftanlagen vor den Küsten der deutschen Nord- und Ostsee geschaffen worden. Der Weg für einen zweiten Windpark vor der deutschen Nordseeküste ist frei. Das Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie (BSH) hat vergangenen Mittwoch der Bürger-Windpark-Butendiek GmbH aus Husum erlaubt, 34 Kilometer vor Sylt 80 Windräder aufzustellen.

Das Projekt "Butendiek" soll 20.000 Haushalte mit Strom versorgen. 2001 wurde erstmals ein Offshore-Park bei Borkum genehmigt. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace begrüßte die Genehmigung des Offshore-Windparks, zumal die Anlage abseits von Schiffslinien entstehen soll und die Gefahr einer Kollision gering ist. "Wir fordern den Netzbetreiber Eon auf, das Ziel der Bundesregierung, 3.000 Megawatt Offshore-Wind bis 2010 zu unterstützen, in dem sie die dafür notwendige Kapazität in ihren Stromleitungen speziell für Off-shore-Wind freihalten", erklärte Greenpeace-Energieexperte Sven Teske. "Wenn dafür die küstennahen Atomkraftwerke abgeschaltet werden, müssen keine neuen Hochspannungsmasten gebaut werden."

Inzwischen sind aber auch kritische Stimmen zu vernehmen. Der Naturschutzbund Nabu hat gegen den Off-shore-Windpark "Butendiek" eine Beschwerde bei der Brüsseler EU-Kommission eingereicht. "Wir ziehen damit die Konsequenz daraus, daß der Windpark in einem nach EU-Recht zu schützenden Bereich genehmigt worden ist", sagte der amtierende Nabu-Präsident Christian Unselt. Das betroffene Meeresgebiet in der Nordsee westlich von Sylt müsse wegen bedeutender Vorkommen zahlreicher bedrohter Seevogelarten, insbesondere von Seetauchern sowie Schweinswalen sowohl nach der Europäischen Vogelschutzrichtlinie als auch nach der Fauna-Flora-Habitat (FFH) Richtlinie als Meeresschutzgebiet ausgewiesen werden. Die Bedrohung dieser Arten durch "Butendiek" und einige weitere Windparks sei mit dem EU-Recht nicht vereinbar.

Die EU-Kommission wird nun auf der Grundlage der Nabu-Beschwerde die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesregierung prüfen. "Es ist schmerzlich, ausgerechnet gegen ein eigentlich umweltpolitisch sinnvolles Projekt wie den Windpark Butendiek vorgehen zu müssen", so Unselt. "Aber angesichts ausreichender Meeresfläche außerhalb der auszuweisenden Schutzgebiete, die genauso für die Offshore-Windenergie nutzbar ist, schaden Genehmigungsbehörde und Betreiber durch ihr starrsinniges Festhalten an diesem Standort nur der Zukunft der Windenergie." Unselt bemängelte die ungenügende Steuerung der Offshore-Planungen insgesamt. Dies ist dringend notwendig, das sich anderenorts ähnliche Konflikte abzeichnen.

Direkt vor den Toren des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaften vor der Halbinsel Darß-Zingst soll in 15 bis 20 Kilometern Entfernung zur Küste eine Pilotwindkraftanlage errichtet werden. Die Landesregierung steht hinter dem Projekt: "Wir drücken bei der Genehmigung für die geplante Pilot-Anlage gehörig aufs Tempo", lautet die Devise von Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD).

Jeden Herbst machen zwischen der Halbinsel Zingst und Hiddensee bis zu 60.000 Grau-Kraniche Rast auf ihrem Weg von Skandinavien und der baltisch-sibirischen Region ins Winterquartier nach Spanien, Portugal und Nordafrika. "Das sind rund zwei Drittel des Weltbestandes", sagt Hartmut Sporns vom Nationalparkamt in Born.

Auch anderen Zugvögeln wie der Weißwangengans und der Kanadagans dienen die Inseln Kirr, Barther Oie und Hiddensee als Rastplatz. "Wir dürfen dieses Potential nicht aufs Spiel setzen", warnt Sporns. "Eine Gefährdung hätte internationale Auswirkungen." Jede Störung, bedeutet für die Vögel Verlust von Energie, die sie später dringend brauchen. Löttge befürchtet außerdem, daß die Kraniche in den Windrädern "gehäckselt" werden. "Es hat mir noch niemand erklären können, warum die Anlagen unbedingt vor dem Nationalpark installiert werden sollen."

Die kritischen Stimmen verstummen zum Teil, wenn offenbart wird, daß die steuerlichen Mehreinnahmen den Gemeinden zugute kommen, an deren Ufern die Stromkabel anlanden. Im Spannungsfeld zwischen Naturschutz und wirtschaftlichen Interessen gibt es keine einfachen Lösungen.

Foto: Windpark vor der dänischen Insel Lolland: Bald auch vor Sylt?


 
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