© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/03 23. Mai 2003

 
Auf den Trümmern der Habsburgermonarchie
Südtirol: Der junge Historiker Thomas Pardatscher beschreibt die Geschichte und Symbolik des Siegesdenkmals in Bozen
Ekkehard Schultz

Eine seriöse wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte des italienischen "Siegesdenkmals" in der Südtiroler Landeshauptstadt Bozen zu leisten, ist eine schwierige und zugleich wenig dankbare Aufgabe. Obwohl über kein anderes Denkmal im deutschsprachigen Raum über Jahrzehnte so erbittert gestritten und somit auch eine ungeheure Menge von Artikeln, Aufsätzen und Polemiken verfaßt wurde, lag bislang noch keine wissenschaftliche Aufarbeitung zur Historie, Ikonographie sowie zur Rezeptionsgeschichte des zwischen 1926 und 1928 auf Weisung Mussolinis erstellten Denkmals vor. So ist allein schon der Mut des jungen Südtiroler Historikers Thomas Pardatscher hervorzuheben, sich dieser Thematik zu widmen.

Die Lektüre seiner Studie "Das Siegesdenkmal in Bozen" hinterläßt freilich einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits merkt man dem Buch den großen Fleiß bei der Suche nach geeignetem Material an, das - zumeist gut aufgearbeitet - auch dem mit der Materie Vertrauten eine Fülle von interessanten Informationen bietet. So ist der Autor auf der einen Seite sehr um Objektivität bemüht, auf der anderen Seite - insbesondere im letzten Abschnitt des Buches - wertet er politisch recht einseitig.

Im ersten Teil seines Buches beschreibt Pardatscher die Planungen zum Bau des Siegesdenkmals in ihrem historischen Kontext sowie die Baugeschichte. Ein zweiter Teil widmet sich den architektonischen Elementen des Denkmals und deren Symbolik.

An der Stelle des heutigen Siegesdenkmals - nur wenige Meter entfernt von der Talferbrücke - stand bis Mitte der 1920er Jahre das größte Gefallenendenkmal der k.u.k.-Armee im Südtiroler Raum, das Kaiserjägerdenkmal. Dieses konnte jedoch bis zum Kriegsende 1918 nicht fertiggestellt werden. Der Zweck der Errichtung eines neuen "italienischen" Denkmals am gleichen Ort und mit der Verwendung von dessen Grundsteinen ließ sich nicht mißverstehen: Unmittelbar auf den Trümmern der zerfallenen Habsburgermonarchie sollte ein Denkmal zur Glorifizierung des italienischen Kampfes entstehen und den Deutschtirolern jede Hoffnung auf eine Revision der im Friedensvertrag bestätigten neuen Grenzen genommen werden.

Die Bevölkerung Südtirols sollte italienisiert werden

Zudem erleichterte die politische Instrumentalisierung gerade dieses Ortes die neuen städtebaulichen Planungen: Zur schnellen Zwangsassimilierung und Italienisierung der Bevölkerung Südtirols empfahl sich Bozen als größte Stadt der Region, zumal auch die geographische Lage - schnell vom Trentino erreichbar - für solche Bestrebungen ideale Voraussetzungen bot. Innerhalb des städtischen Raumes war nun wiederum der Platz des einstigen Kaiserjägerdenkmals für das neue Denkmal besonders deshalb geeignet, weil die Fläche westlich des Talfer noch nahezu unbebaut war. So diente diese Fläche als Ausgangspunkt zur Errichtung einer italienisch geprägten Stadt, die das alte Bozener Zentrum schließlich vollkommen verdrängen sollte.

Die architektonische Umsetzung des Siegesdenkmals steht in einem unverkennbar engen Bezug zu den beschriebenen Funktionen: Äußerlich wie ein antiker (römischer) Triumphbogen gestaltet, verfügt es über einen oberirdischen Innenraum sowie eine unterirdische Krypta, in der eine den alten Traditionen entsprechend gestaltete "Wächterin des Vaterlandes" ihren Dienst verrichtet. Die vierzehn Säulen sind in der Form von faschistischen Rutenbündeln gestaltet, eine am Giebel angebrachte Victoriafigur schleudert einen Pfeil in die Richtung der Brennergrenze, gegen Österreich also, und die sich darunter befindliche Inschrift läßt keine Zweifel an der Funktion des Denkmals zu: "Setze hier als Zeichen die Grenzen des Vaterlandes. Von hier haben wir die anderen in der Sprache, den Gesetzen und Künsten unterwiesen". Auch die aufgestellten Büsten dreier Trentiner Irredentisten - die im Kriege wegen Hochverrats von österreichischen Militärgerichten zum Tode verurteilt wurden, jedoch keinerlei nachweisbare Verbindung zu Südtirol aufweisen - verstärken noch diesen Eindruck.

Das Siegesdenkmal wurde seit 1928 zum zentralen Ort politisch-militärischer Zurschaustellung. Regelmäßig fanden hier zwei Veranstaltungen statt: am 4. November eine militärische Siegesfeier mit Kranzniederlegung, am 28. Oktober ein Gedenken an die faschistische Machteroberung. Lediglich im Zweiten Weltkrieg kam es zu einer kurzen Unterbrechung dieser Tradition. Nach 1945 wurde der Termin am 4. November erneut zu offiziellen Feiern am Siegesdenkmal genutzt. Zu diesem Zweck wurde das durch einen Anschlag im Jahre 1943 schwer beschädigte Objekt umfangreich restauriert, eine Prozedur, die zum letzten Mal Anfang der neunziger Jahre wiederholt wurde. Wo einst Faschistenaufmärsche stattfanden, marschierten nun zunächst ihre "antifaschistischen" Gegner und Militärformationen vor italienischen Regierungsvertretern. Später nutzten vor allem die im Südtiroler Landtag vertretene MSI bzw. ihre Nachfolgepartei AN dieses Forum bevorzugt zur Selbstdarstellung.

Mit diesen politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um das Bauwerk und ihrer Rezeption setzt sich der Autor im dritten und umfangreichsten Teil des Buches auseinander. Pardatscher zeigt hier in chronologischer Reihenfolge - von der Planung und Grundsteinlegung bis heute - die Wahrnehmung der Ereignisse um das Siegesdenkmal durch die deutsche, ladinische und italienische Bevölkerungsgruppe und die Positionen der Parteien und Organisationen des Landes auf.

Dem Kapitel ist anzumerken, daß Pardatscher dabei zwar wiederum von der Fülle des bereits veröffentlichten Materials profitiert, doch infolge des begrenzten Seitenumfangs die tatsächliche Vielfalt der Meinungen nur kurz angedeutet und grob skizziert werden kann. Darunter leidet zum einen die seriöse historische Aufarbeitung der einzelnen Quellen, wenn Pardatscher zum Beispiel Äußerungen von ehemaligen Südtirol-Kämpfern wie Peter Kienesberger oder Herwig Nachtmann einfach abwertet, indem er zu diesen ohne eigenen Kommentar Pauschalurteile aus dem vom nicht als allzu seriös geltenden Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) veröffentlichten "Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus" anführt. Zum anderen wird Pardatschers Quellenauswahl in diesem Kapitel zwangsläufig selektiver und damit angreifbarer.

Schließlich fällt, je mehr er sich bei seiner Beschreibung der heutigen Zeit nähert, sein eigener politischer Standpunkt unangemessen ins Gewicht. Zuletzt wird die Position der Südtiroler Volkspartei (SVP) in einem Maße hervorgehoben, das nicht mehr viel mit wissenschaftlichen Maßstäben gemein hat. Die ungenügende Distanz des Autors bezeugt auch seine Zusammenfassung, in der er zum Beispiel die Jahre von 1928 bis 1931 nahezu komplett ausblendet, dagegen die Ereignisse des Jahres 1932 - hier trafen bei der Gedenkfeier am Siegesdenkmal die anwesenden Faschisten mit einer kleinen Abteilung Nationalsozialisten zusammen - in ihrer Bedeutung überschätzt.

Das Siegesdenkmal als Seismograph der Konflikte

Pardatschers Arbeit lenkt das Augenmerk darauf, daß die Beschäftigung mit dem Siegesdenkmal zwangsläufig nicht nur eine mit der Geschichte des Bauwerks ist, sondern - da sich im Denkmal selbst ein wesentlicher Teil der italienisch-zentralistischen wie auch regionalen Tiroler Landesgeschichte verbirgt - ebenso eine Auseinandersetzung mit der Geschichte Österreichs (und Deutschlands) sowie des italienisch-österreichischen Verhältnisses. Das Siegesdenkmal ist wegen seiner polarisierend-trennenden Intentionen letztlich auch zu einem Seismographen der politischen Lage und der nationalen Konflikte in Südtirol überhaupt geworden.

Bei allen Mängeln bietet Pardatschers Buch eine gute Zusammenfassung des bisherigen Forschungsstandes und kann damit als Materialquelle für künftige Arbeiten dienen. Gerade wegen seiner knappen Form ist es auch für den interessierten Laien geeignet. Insgesamt hätte Pardatschers Arbeit jedoch durch eine Beschränkung entweder auf die Rezeption oder auf die Entstehungsgeschichte und Symbolik des Denkmals viel gewinnen können. 

Foto: Siegesdenkmal in Bozen: Forum der Selbstdarstellungen

Thomas Pardatscher: Das Siegesdenkmal in Bozen. Entstehung, Symbolik, Rezeption. Verlagsanstalt Athesia Bozen 2002, 232 Seiten, 19,90 Euro


 
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