© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/03 30. Mai 2003

 
Kräftiger Bluttransfer am Wahltag
Bremen I: Nur mit einem geschickten Schachzug konnte Bremens SPD-Bürgermeister unerwartet die Wahlen gewinnen
Peter Freitag

Bremen hat gewählt, und wieder einmal haben alle Parteien gewonnen. Die SPD sieht sich mit einem Ergebnis von 42,3 Prozent endlich aus dem Tal der Tränen gehoben und mit einem Sieg belohnt, obwohl auch sie geringe Einbußen gegenüber dem Ergebnis der letzten Wahl von 1999 hinnehmen mußte (0,3 Prozent). Die CDU verlor über 7 Prozent gegenüber 1999 und blieb mit 29,9 Prozent weit hinter der SPD zurück, obwohl (oder weil) die Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden großen Parteien vorausgesagt hatten. Doch in der unionseigenen Interpretation sah man auch hierin einen Erfolg: Denn nicht die Sozialdemokraten, sondern nur ihr Spitzenkandidat Henning Scherf haben die Wahl gewonnen - mit Hilfe eines "Bluttransfers" aus dem Lager der Union.

Die Grünen konnten ihr Ergebnis in der Tat wesentlich verbessern, indem sie um fast 4 Prozent auf 12,8 Prozent zulegten. Wegen der Verkleinerung der Bürgerschaft bleiben ihnen dort aber weiterhin nur 12 Sitze. Und trotz dieser Gewinne schwand schon am Wahlabend ihre Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung an einem rot-grünen Senat. Die FDP freute sich, nach acht Jahren endlich wieder in die Bürgerschaft einziehen zu können, allerdings mit nur einem Abgeordneten. Sie blieb im Land Bremen trotz Zugewinnen (0,7 Prozent) mit 4,2 Prozent unter der FünfProzent-Hürde; es reichte wegen des speziellen Wahlsystems des Zweistädtelandes jedoch der Sprung in Bremerhaven, wo die Liberalen auf 5,7 Prozent kamen. Ähnlich erging es der DVU, die insgesamt nur 2,3 Prozent holte (1999 noch 3,0), jedoch in den traditionellen Arbeiterbezirken Bremerhavens auf sensationelle 7,1 Prozent kam. Ihr dortiger Kandidat Siegfried Tittmann wird also wieder seinen Sitz in der Bürgerschaft einnehmen können und weiterhin der letzte verbliebene Getreue des Münchner Medienunternehmers Gerhard Frey in einem westdeutschen Landesparlament bleiben.

Auch die Schill-Partei verbuchte es als Erfolg, daß sie aus dem Stand auf ein Gesamtergebnis von 4,3 Prozent kam, obwohl ihr ein Einzug in die Bürgerschaft verwehrt blieb. Denn auch wenn es zu Beginn der Hochrechnungen noch anders aussah, verfehlte die Partei Rechtsstaatlicher Offensive auch in Bremerhaven den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde, wenn auch denkbar knapp (4,9 Prozent). Den meisten Zuspruch erhielten die Neulinge unter ihrem Spitzenkandidaten Jan Timke jedoch nicht unter den klassischen Sympathisanten bürgerlicher Parteien (Angestellte, Beamte und mittelständische Unternehmer), sondern vor allem unter den Arbeitern und Arbeitslosen, die mit jeweils sieben Prozent die höchsten Anteile unter den Schill-Wählern hatten.

Bei nüchterner Betrachtung der Fakten läßt sich in der Tat feststellen, daß aus dieser Wahl in erster Linie der Senatspräsident und Bürgermeister Henning Scherf (SPD) als Sieger hervorgegangen ist. Neben den hohen Sympathiewerten und der überwiegend positiven Einschätzung der Arbeit des von ihm geführten rot-schwarzen Senats durch die Wähler war dafür in erster Linie seine überaus geschickte Wahlkampftaktik ausschlaggebend.

Scherf hatte sich zunächst mit seinem Landesvorsitzenden Detlef Albers geeinigt, ohne Koalitionsaussage und nur für die SPD in den Wahlkampf zu gehen. Das war ein Zugeständnis an die linke Parteibasis, die immer wieder mit einem Umschwenken in Richtung der Grünen liebäugelte. Als jedoch die Umfragen einen auf zwei Prozentpunkte geschrumpften Vorsprung vor der CDU ergaben, wechselte Scherf auf eigene Faust die Stoßrichtung. Ihm war klar, daß die SPD nicht als Juniorpartner in einer Koalition unter Führung der CDU eintreten, sondern in einem solchen Fall mit den Grünen eine Allianz schmieden werde. Um eine solche von ihm nicht gewollte Konstellation zu vermeiden, deutete er unmißverständlich an, daß er im Falle einer Niederlage zurücktrete.

Daraus ergab sich: wenn Große Koalition, dann nur mit einem siegreichen Henning Scherf. Das Signal wurde verstanden, und - zum Bedauern der CDU - von deren Wählern am besten. Insofern hat ihr Spitzenkandidat, Finanzsenator Hartmut Perschau, sogar recht, wenn er vom "Bluttransfer" redet. Allerdings muß die Union sich den Vorwurf des ungeschickten Wahlkampfs gefallen lassen. Sie hat sich durch ihre frühzeitige Festlegung auf eine Koalition mit den Sozialdemokraten viel zu schnell zum Askari des Großstimmenjägers Scherf gemacht. Aus diesem Grund konnte sie auch nicht mehr auf Scherfs Umschwenken reagieren, sondern mußte mit ansehen, wie die Wahlkampfarithmetik von ihr den zweiten Platz geradezu verlangte.

Auch wenn Perschau und sein Landesvorsitzender Bernd Neumann zu Recht auf ihren Anteil als Koalitionäre am Erfolg Scherfs hinweisen (und dieser das in generöser Geste bestätigt), haben sie dadurch eine schwächere Position in den Verhandlungen mit der SPD geschaffen. Gerade in den Bereichen Schul- und Finanzpolitik gibt es programmatische Differenzen, bei denen das Argument der Prozente die Genossen auftrumpfen lassen könnte. Der bisherige Innensenator Kuno Böse ist allerdings der einzige prominente CDU-Politiker Bremens, der bereits am Sonntagabend kritisch mit der eigenen Strategie ins Gericht gegangen ist und die eindeutige Koalitionsaussage bemängelte. Lügen gestraft wurde Perschaus Aussage, die SPD werde nicht wegen, sondern höchstens trotz Henning Scherf die Wahl verlieren. Genau das Gegenteil trat ein. Denn der Regierungschef hielt erstaunlich konsequent die Bundespolitik genauso aus dem Wahlkampf heraus wie die (Bundes-)Prominenz seiner Partei, einschließlich des Kanzlers. Damit bestätigt sich der Einwand, die SPD und insbesondere ihr Parteichef könnten sich diesen Sieg mitnichten ans Revers heften; ihr Anteil am Sieg in Bremen besteht darin, sich nicht in die dortigen Geschicke eingemischt zu haben.

So stellte der Essener Parteienforscher Karl-Rudolf Korte auch drei Faktoren als wesentlich für diesen Wahlausgang fest: die Personalisierung auf Scherf, die Regionalisierung auf Bremen und die "Konsensfalle", in welche die CDU tappte.


 
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