© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/03 30. Mai 2003

 
Klassenziel verfehlt
Savoir parler: Im Saarland soll Französisch als zweite Amtssprache eingeführt werden
Thomas Paulwitz

Die Saar ist deutsch - oder etwa doch nicht? Saarlands CDU-Ministerpräsident Peter Müller will in dem kleinen Bundesland Französisch als Amtssprache einführen. Es sei denkbar, "daß man schrittweise diesen Zustand herbeiführt und Formulare, die in Zukunft neu konzipiert werden, von vorneherein zweisprachig verfaßt". Das erklärte Müller vor kurzem in einem Gespräch mit dem Saarländischen Rundfunk (SR).

Der SR trat dabei nicht als unabhängiges journalistisches Medium auf, sondern als begeisterter Verfechter der Zweisprachigkeit und Stichwortgeber des Ministerpräsidenten. SR: "Eine Zone der Zweisprachigkeit wäre auf jeden Fall ein Alleinstellungsmerkmal im Wettbewerb mit anderen Regionen. Darüber hinaus könnte das ganze auch im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich - 40 Jahre nach dem Elyséevertrag - ein Projekt sein, das eindeutig in die Zukunft weist." Müller: "Ohne Zweifel. Deshalb wollen wir diesem Projekt ja nähertreten."

Vielleicht ist dieses, wie die Süddeutsche Zeitung es nennt, "erfreuliche Projekt" eine Gegenreaktion Müllers. Im vergangenen Dezember hatte ihm die SPD-Opposition noch vorgeworfen, daß er sich von dem Gedanken der Zweisprachigkeit verabschiede; denn Müller hatte mehr Deutschstunden in der Grundschule durchgesetzt und erreicht, daß Grundschüler mit Lese- und Rechtschreibschwächen vom Französischunterricht entbunden werden. An den saarländischen Grundschulen ist nämlich die Sprache des westlichen Nachbarn (seltener Englisch) ab der 3. Klasse Pflicht. Seit dem Schuljahr 2000/2001 unterrichten muttersprachliche Lehrkräfte an neun saarländischen Grundschulen in einem "Modellprojekt" sogar schon ab der 1. Klasse Französisch, aufbauend auf erstem Sprachunterricht im Kindergarten.

Regierungschef Müller ist auch seit kurzem Bevollmächtigter der Bundesrepublik Deutschland für die kulturelle Zusammenarbeit mit Frankreich, deshalb müßte er die geplante Einführung von Französisch als Amtssprache vor dem besonderen geschichtlichen Hintergrund sehen. Im 20. Jahrhundert wurde das Saarland gleich mehrmals Opfer französischer Machtpolitik, weswegen sich die Bevölkerung an der Saar nicht nur im Widerstand gegen den Separatismus, sondern sogar in zwei Abstimmungen deutlich zur deutschen Nation bekannte.

Am 13. Januar 1935 stimmten 91 Prozent der Saarländer für den Wiederanschluß an Deutschland, nachdem ihr Land im Versailler Vertrag abgetrennt und dem Völkerbund unterstellt worden war. Das Siegerdiktat hatte großherzig zugestanden: "Unter Aufsicht der Regierungskommission dürfen die Einwohner ... ihre Schule und ihre Sprache behalten." So steht es im Abschnitt über das "Saarbecken" (Artikel 45 bis 50), in § 28 des Anhangs.

Wenn man bedenkt, wie in den vom Reich abgetrennten Gebieten Ostdeutschlands verfahren wurde, war das tatsächlich nicht selbstverständlich. Allerdings durfte der französische Staat an der Saar Schulen errichten, in denen der Unterricht ausschließlich auf französisch erfolgte, mit französischen Lehrern und Lehrplänen (§ 14). Die Französisierung schlug jedoch fehl. Für den Anschluß an Frankreich stimmten 1935 nur 0,4 Prozent. Zwanzig Jahre später, am 23. Oktober 1955, entschieden sich über zwei Drittel gegen das sogenannte Saarstatut, welches das Saarland hätte "europäisieren" und damit französisieren sollen.

Erst 1957 trat das Saarland der Bundesrepublik bei, die wirtschaftliche Loslösung von Frankreich dauerte sogar bis 1959, denn Frankreich hatte gleich nach der Übernahme der Besatzungsherrschaft das Saarland eng an sich gebunden. Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg forderte die von Frankreich gesteuerte MRS (Mouvement pour le Rattachement de la Sarre à la France - Bewegung für den Wiederanschluß der Saar an Frankreich) in einem Werbefeldzug die Saarbevölkerung auf, Französisch zu lernen. Dem Saarland ist das Schicksal des Elsasses jedoch erspart geblieben. Dort sprechen heute trotz jahrelanger sprachlicher Diskriminierung immerhin noch 1,5 Millionen Menschen Deutsch, und dennoch ist Deutsch keine Amtssprache.

Das Saargebiet, das bis 1920 zu Bayern und Preußen gehörte, ist keine Heimat französischer Muttersprachler. Dort wird vorwiegend mosel- und rheinfränkisch gesprochen. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes lebten im Jahre 2001 im Saarland 6.469 französische Staatsangehörige. Das sind weniger als Italiener (19.514) und Türken (14.799). Artikel 12 (3) der saarländischen Verfassung legt fest, daß niemand wegen seiner Herkunft und wegen seiner Sprache benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Mit Französisch als Amts- und Behördensprache würden alle anderen ausländischen Gruppen benachteiligt, nur die Franzosen unverhältnismäßig bevorzugt. Nur Deutsch als alleinige Amtssprache kann also die demokratische Gleichberechtigung bewirken.

Die Pflicht, daß jeder im Lande Deutsch können muß, ist die Voraussetzung für friedliches Zusammenleben und ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Wer diese Pflicht aufhebt, fördert die gesellschaftliche Spaltung. Daß es nicht bei Französisch als Amtssprache bliebe und weitere wie Türkisch folgen würden, kann als sicher gelten. Die europäische Ebene verhält sich genau umgekehrt zur nationalen, aus demselben Grund der Gleichberechtigung: In der Europäischen Union ist es notwendig, daß alle nationalen Amtssprachen zur Geltung kommen, damit keine einzelne Sprache - wie zum Beispiel Englisch - bevorzugt wird. Nur wer die Nationen aufheben und einen europäischen Bundesstaat will, kann die Übertragung der EU-Amtssprachenregelung auf die nationale Ebene wollen.

Davon abgesehen sind Fremdsprachenkenntnisse natürlich zu fördern, aber mit der Amtssprache Französisch schießt Müller über das Ziel der Völkerverständigung hinaus. Daß Französisch indes nur der Anfang sein soll, spricht Müller überraschend deutlich aus: "Ich glaube, wir müssen uns bewußt werden, es geht nicht um Englisch oder Französisch, es geht um Englisch und Französisch." Das zeigt sich bereits in Büchern, die für das Saarland werben sollen. Der saarländische Kultusminister stellte nach den Bänden "Radeln", "Wandern", "Family" und "Mystery" kürzlich einen Bildband über das Saarland vor, der den Titel "Savoir vivre" (zu leben wissen) trägt. Allzeit "Savoir parler" (zu sprechen wissen) möchte man da gerne den Saarländern wünschen.

"Lernt Französisch!": Plakat der MRS um 1947


 
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