© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/03 30. Mai 2003

 
Gründlich mißraten
Bilanz der Rechtschreibreform
Thorsten Thaler

An Warnungen und Mahnungen hat es nicht gefehlt. In einer "Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform" forderten im Oktober 1996 namhafte Schriftsteller, Journalisten, Verleger, Buchhändler, Bibliothekare, Historiker, Pädagogen und Schüler "die verantwortlichen Politiker" dazu auf, die Rechtschreibreform "umgehend zu stoppen und bei der bisherigen Rechtschreibung zu bleiben". Der zentrale Einwand der Kritiker lautete, die Rechtschreibreform werde "jahrzehntelang Verwirrung stiften" sowie "dem Ansehen der deutschen Sprache und Literatur im In- und Ausland schaden". Die Liste der Unterzeichner reichte von Günter Grass bis Martin Walser.

Mittlerweile sind einige Jährchen seit der Einführung der Rechtschreibreform ins Land gezogen, und die Verwirrung könnte kaum größer sein. Jeder Schreibende, jede Zeitung, jeder Verlag hat sich inzwischen eigene Rechtschreibregeln zurechtgebastelt, es herrscht ein wildes Durcheinander von alter und neuer Rechtschreibung - ganz im Sinne jener Kolumnistin der Wochenzeitung Freitag, die im September 2000 frohlockte: "Schafft ein, zwei, viele Orthografien".

Eine vorläufige Schadensbilanz der Rechtschreibreform hat jetzt die Bayerische Akademie der Schönen Künste in München vorgelegt. In dem Büchlein mit dem Titel "Deutsch. Eine Sprache wird beschädigt" äußern sich die Schriftsteller Reiner Kunze, Herbert Rosendorfer und Albert von Schirnding, der Journalist Hans Krieger, der Linguist und Lyriker Peter Horst Neumann sowie der Gymnasiallehrer Wolfgang Illauer. Sie alle eint die Kritik an einer Reform, die in erster Linie zu einem gravierenden Niveauverlust der deutschen Schriftsprache geführt hat - mit in letzter Konsequenz noch nicht absehbaren Langzeitfolgen für alle Schreibenden und Lesenden. Außerdem enthält der Band eine Stellungnahme der im Frühjahr 2002 gegründeten Forschungsgruppe Deutsche Sprache sowie eine Bewertung der jüngsten Vorschläge der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für eine neuerliche Reform der gründlich mißratenen Rechtschreibreform.

Deutsch. Eine Sprache wird beschädigt. Hrsg. von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Oreos Verlag, Waakirchen 2003, 118 S., geb., 12,80 Euro


 
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